6. Josel von Rosheim, Führer der Judenschaft im Reich
Josel von Rosheim, Führer der Judenschaft im Reich:
Josel/Joseph ben Geschon aus Rosheim wurde vermutlich 1478 geboren. Er starb 1554. Seine Familie stammt aus Louhans in Burgund, was auf eine verwandtschaftliche Beziehung zu Jakob Jehiel Loans deutet, dem Leibarzt des Kaisers Friedrich III. und einem hochangesehenen Gelehrten, der von vielen Humanisten seiner Zeit geschätzt wurde – darunter auch Johannes Reuchlin, der bei ihm die Grundlagen der hebräischen Sprache lernte. Trotz dieser berühmten Herkunft wurden drei Onkel seines Vaters wegen einer Blutbeschuldigung verbrannt. Josels Eltern entkamen dem Tod nur knapp.
Seine rabbinische Ausbildung genoss Josel bei seinem Verwandten Jochanan ben Aaron Luria. Dass Josel ein begabter Gelehrter war, erkennt man aus seinen Schriften und überlieferten Argumentationen bei öffentlichen Disputationen. Darin zeigte er große Kenntnisse nicht nur in der Heiligen Schrift, sondern auch in der rabbinischen Überlieferung. Über seine säkulare Ausbildung weiß man wenig. Es ist nur bekannt, dass Josel die lateinische Sprache beherrschte und in den humanistischen Studien belesen war.
Josels „politische“ Karriere begann relativ früh in seinem Leben. Schon 1510 wurde er wegen seiner Verdienste bei der Abwendung eines Vertreibungsvorhabens aus Oberehnheim als Vorgänger und Vorgesetzter (Parnos und Manhig) der Juden im Unterelsass gewählt. Josel bekam also sein Mandat von der jüdischen Gemeinschaft und nicht von christlichen Autoritäten. 1515 begegnete er dem Kaiser Maximilian I. mehrere Male, um für die Anliegen seiner Glaubensgenossen einzutreten (Dokument Nr. 1 ). Diese Begegnungen halfen den Juden des Elsass, ein Privileg zu bekommen, das die Verfolgungen gegen sie stoppte (Dokument Nr. 2 ).
Für die 1520er Jahre lässt sich eine Erweiterung und Steigerung des Wirkens Josels feststellen. Seine Tätigkeit beschränkte sich nicht mehr nur auf das Elsass, obwohl dieses Gebiet sein Hauptwirkungsbereich blieb. Josel gelang es in diesen Jahren, vom frisch gekrönten König und späteren Kaiser Karl V. ein Privileg für alle Juden des Reichs zu erhalten. Dies geschah während der Krönungsfeier in Aachen 1520, wie Josel in seinen Memorien berichtet. (Dokument Nr. 3 ) Darüber hinaus sorgte er in verschiedenen Regionen im Reich dafür, dass Ausschreitungen und Verfolgungen gegen die Juden aufhörten. (z.B. verhandelte er während des Bauernkriegs mit den Anführern der Bauern und konnte ihre Erstürmung der Stadt Rosheim abwenden. Zum Dank gewährte die Stadt ihm und seiner Familie daraufhin ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht.)
Den Titel eines Befehlshabers der gemeinen Judenschaft im Reich scheint er während des Reichstags 1530 in Augsburg erworben zu haben. Kurze Zeit vor Beginn der Versammlung erwirkte Josel vom Kaiser Karl V. eine Erneuerung des Privilegs, das er von ihm bei dessen Königskrönung zehn Jahre zuvor bekommen hatte (Siehe Ausstellungsraum Karl V. Dokument Nr. 1 ). Dies geschah, nachdem Josel den Kaiser und dessen Bruder (Ferdinand) von der Unwahrheit der Beschuldigungen, die Juden würden sich mit den Türken gegen die Christen verschwören, überzeugt hatte. Nach Beginn der Verhandlungen des Reichstags war Josel mit schweren Klagen über den Wucher der Juden und ihr Unrecht beim Umgang mit christlichen Schuldnern konfrontiert. Josel organisierte ein Treffen der Vertreter der jüdischen Gemeinden im Reich und verabschiedete mit ihnen zusammen eine „Judenordnung“ (Dokument Nr. 5 ), welche die Geschäftsbeziehungen der Juden mit den Christen regeln und aber gleichzeitig moralische Missstände unter den Juden ausräumen sollte. Die sogenannten „Artikel und Ordnung“ wurde zwar auf dem Reichstag nicht mehr berücksichtigt, aber die Vertreter der jüdischen Gemeinden bemühten sich darum, sie in den jeweiligen Wohngebieten umzusetzen, um dadurch das von den christlichen Herrschern verabschiedete, allgemeine Zinsverbot (Reichspolizeiordnung 1530 ) zu umgehen, weil dieses die Lebensgrundlage der Juden schwer getroffen hätte. Vor allem Josel scheint hier einen gewissen Erfolg gehabt zu haben. (Dokumente Nr. 6 , Nr. 7 und Nr. 8 ).
An diesem Reichstag musste Josel noch eine dritte Gefahr abwehren. Antonius Margaritha (Dokumente Nr. 9 und Nr. 10 ), ein Konvertit aus dem Judentum, veröffentlichte rechtzeitig zur Eröffnung der Versammlung eine Schrift, die schwerwiegende Beschuldigungen gegen die Juden erhob. Der Kaiser, der gerade Josels Verteidigung der Juden in der Türkensache angehört hatte, wurde zornig. Josel musste die Beschuldigungen in einer Disputation mit Margaritha vor einer kaiserlichen Kommission erwidern, was ihm auch gelang. Margaritha wurde aus der Stadt vertrieben und Josel bekam vom Kaiser Karl V. eine Erneuerung des Judenprivilegs Kaisers Sigismund (Dokument Nr. 4 ). All diese Aktivitäten und die Tatsache, dass die „Judenordnung“ unter seinem Namen und seiner Autorität verabschiedet wurde, weisen darauf hin, dass Josel in diesem Jahr oberster Repräsentant und Bevollmächtigter der Juden im Reich wurde.
In der Tat begegnet man Josel in Dokumenten der folgenden Jahre immer häufiger als Befehlshaber und „Regirer“ der gesamten Judenschaft im Reich. In diesen Jahren kämpfte Josel für die Sache seiner Glaubensbrüder unter anderem in Sachsen, wo er viel Mühe investierte, um den Ausweisungsbefehl und das Aufenthaltsverbot des Kurfürsten Johann Friedrichs rückgängig zu machen (Dokumente Nr. 13 , Nr. 14 , Nr. 15 und Nr. 16 ), in Hessen, wo das Wohl der Juden – im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Judenordnung des Landgrafen Philipps – durch den Einfluss Matin Bucers gefährdet war, und in Brandenburg, aus dem die Juden vor etlichen Jahren vertrieben worden waren (Dokumente Nr. 18 , Nr. 19 und Nr. 13 ). In diesen Jahren zeigte sich Josel auch als begnadeter Tröster und Ermutiger für seine Glaubensbrüder. Zudem wurde er immer häufiger von allen Ecken des Reichs gerufen, um bei lokalen Problemen zu helfen und Verfolgungen abzuwenden.
In den 1540er Jahren entwickelte sich die Gefahr einer Gesamtvertreibung der Juden aus dem Reich zu einer realen Bedrohung. Unter dem Einfluss von Luthers antijüdischen Schriften (Siehe Ausstellungsraum über Luther ), wurde die Stimmung im Reich – v.a. in den protestantischen Territorien – sehr ungünstig für die Juden. Josel versuchte, mit relativem Erfolg, dem entgegen zu wirken. So konnte er verhindern, dass Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen “ und später auch „Vom Schem Hamphorasch “ in Straßburg gedruckt werden durften, weil sie sonst Unruhen und Ausschreitungen gegen die Juden verursacht hätten (Dokument Nr. 17 ). Darüber hinaus konnte Josel den Vertreibungsplan der lutherischen Fürsten am Reichstag zu Speyer von 1545 abwenden, indem er sich rechtzeitig mit einem Bittgesuch (Dokument Nr. 20 ) an einen hochrangigen Vertreter der Katholiken wandte, der dann die Vertreibung verhindern konnte.
In diesen Jahren konnte Josel seinen größten Erfolg und seine größte Errungenschaft feiern. Es war die reichsrechtliche Sicherung der jüdischen Rechtsstellung durch das Speyerer Privileg Kaiser Karl V. vom 3. April 1544, das 1548 in Augsburg bestätigt und erneuert wurde. Die Brisanz dieses Erfolgs lag darin, dass die Juden in eine heikle Situation gerieten , die durch die Entwicklungen im Reich verursacht wurde. Es waren vor allem die Tendenzen der Territorialisierung aller Bereiche des Rechts und der Ordnung und die damit zusammenhängende Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Ständen um diese Entwicklung, die selbstverständlich auch die Rechtsstellung der Juden betraf. Oft mussten die Juden nun mit der jeweiligen Obrigkeit von Fall zu Fall ihre Lebenssituation neu aushandeln und oft dabei zugleich den Kaiser um Schutz zur Durchsetzung ihrer Rechte angehen (z.B. Dokumente Nr. 11 und Nr. 12 , die einen weiteren Eindruck darüber verleihen, wie breitgefächert Josels Tätigkeit war). Josel erkannte jedoch den Gegensatz zwischen universalen und partikularen Gewalten im Reich, und stellte sich bedingungslos auf die Seite des kaiserlichen Schutzherrn.
So war es in einer Zeit der großen religiösen Spannungen und politischen und sozialen Veränderungen, dass ein außergewöhnlicher Mann sich besonders hervortat, um seine Glaubensgenossen vor drohenden Gefahren zu bewahren. Als Anwalt, Führer, Tröster und Helfer, aber auch als Apologet, Reformer und Lehrer stellte sich Josel von Rosheim fast 40 Jahre lang in den Dienst seiner Glaubensgenossen. 40 Jahre, in denen er das Reich durchwanderte, um vor Kaisern, Königen, Bischöfen, Markgrafen und städtischen Magistraten die Sache seines Volkes zu vertreten, Beschuldigungen verschiedener Art niederzuschlagen, zum Tode verurteilte zu befreien, Ausweisebefehle aufzuheben, Privilegien und Handelserleichterungen zu verschaffen und Verfolgungen verschiedener Art abzuwenden.
Bearbeitung: Avraham Siluk
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