Die Zehn Artikel, die in Augsburg 1530 beschlossen wurden.
Am Reichstag zu Augsburg 1530 wurden neben religiösen und politischen auch wirtschaftliche Themen diskutiert. Vor allem das Zinsgeschäft stand im Zentrum der Debatte. Das Zinsgeschäft war zu der Zeit auch von vielen führenden Gelehrten wie Martin Luther, Erasmus von Rotterdam und vielen anderen mehr in die Kritik geraten. Jedes Zinsgeschäft wurde mit Wucher gleichgesetzt und als das größte Übel denunziert.
Auch der jüdische Geldhandel stand unter einer massiven Kritik. Zwar waren die Juden zu der Zeit nicht mehr die großen Geldleiher im Reich. Dies übernahmen die großen christlichen Bankgesellschaften der Fugger und Welser, die nun die Fürsten und den Adel mit Anleihen bedienten. Allerdings betrieben die Juden kleinere und zugleich riskantere Geldgeschäfte mit ärmeren Christen, die auch hohe Zinsen erforderten. Dies alles führte zu einem wachsenden Groll gegenüber der Juden und deren angeblichen Wucher.
Am Reichstag 1530 wurde eine Kampagne von einer Reihe von Reichsstädten gegen den Wucher gestartet. Ihre Forderungen waren, das allgemeine Verbot des Wuchers der Juden (jedweden Geldgeschäfts) und die Anhaltung der Juden zur Handarbeit, was allerdings die Praxis des Ausschlusses der Juden aus den Zünften vollkommen ignorierte. Darüber hinaus sollte die Praxis unterbunden werden, wonach die Juden ihre Schuldner nicht vor heimische Gerichte klagten, sondern vor auswärtige, wo letztere kaum Chancen hätten, den Prozess zu gewinnen. Zudem sollten zwielichtige Methoden wie versteckte Anleihen und Zinseszinsen strikt verboten werden. Schließlich warb man gegen das sogenannte „jüdische Hehlerrecht“.
Dieses beruhte auf einem Privileg Heinrichs IV. von 1090 den Juden von Speyer. Demnach war es den Juden gestattet – zum Schutz ihres Handels – gestohlenes aber gutgläubig erworbenes Gut nur gegen Erlangung des Kaufpreises zurückzugeben. Es handelte sich also um Pfände, welche die Juden als Versicherung für ihr verliehenes Geld entgegennahmen. Diese mussten sie dem rechtmäßigen Besitzer nicht zurückgeben, wenn dieser keine Entschädigung dafür zahlte.
Die beiden Ausnahmen – des Zinsgeschäfts und des Hehlerrechts – erregten große Empörung gegen die Juden. Josel, der zum Reichstag angereist war, um Privilegien bei Kaiser Karl V. erneuern zu lassen (siehe Dokument Nr. 4 ), hörte die große Aufregung und entschied sich, etwas zu unternehmen. Er rief Vertreter der jüdischen Gemeinden vom gesamten Reichsgebiet, nach Augsburg zu kommen, um sich zu beraten. Nach langen Besprechungen wurde ein Dokument verfasst, das 10 Artikel beinhaltete, die Missbräuche im Handel zwischen Christen und Juden zu unterbinden versuchte. Die versammelten Vorsteher der jüdischen Gemeinden einigten sich darauf, die Einhaltung der Artikel in ihrem jeweiligen Bezirk zu kontrollieren. Darüber hinaus bevollmächtigten sie Josel, diese Artikel vor den Ständen zu präsentieren.
Leider dauerten die Beratungen der Vertreter der Juden zu lange und der Reichstag endete, nach Verabschiedung der Reichspolizeiordnungen, ein paar Tage später, ohne dass Rücksicht auf dieses Dokument genommen wurde. Die versammelten Judenvorsteher beschlossen nichtsdestotrotz, das Dokument sowohl an die jeweiligen lokalen Herrscher zu überreichen als auch ihren jüdischen Gemeinden zu präsentieren.
Die verabschiedeten Artikel versuchen, eine Antwort auf die Kritik gegen den jüdischen Geldhandel zu geben. Durch Zugeständnisse und vereinbarten Verhaltensänderungen sollten die Christen umgestimmt werden. Es sollte auch dazu beitragen, dass die Juden in Zukunft nicht kollektiv bestraft würden, wenn einer von ihnen etwas verbreche. Gleichzeitig diente das Dokument auch der innerjüdischen Reflexion. Es war also auch eine Selbstkritik an den bisherigen Umgang der Juden mit ihren christlichen Nachbarn. Ähnlich wie Luthers erste Judenschrift bietet also die vereinbarte „Ordnung“ eine Möglichkeit zu einem neuen unbelasteten Umgang der beiden Bevölkerungsgruppen.
Zwar sind einzelne lokale Erfolge bei der Implementierung der Artikel zu vermelden, wie Josels Bemühungen in seinem Wohn- und Hauptwirkungsgebebiet zeigen (Dokumente Nr. 6 und Nr. 7 ). Allerdings konnte das Dokument keine für das gesamte Reich umfassende Gültigkeit erlangen. Und auch dort, wo die 10 Artikel umgesetzt wurden, wurden sie oft von Seiten der Juden wie von Seiten der Christen bzw. christlichen Obrigkeiten übertreten und/oder missachtet (siehe Dokument Nr. 8 ). Deswegen kann auch kaum die Rede davon sein, dass die Beziehungen zwischen Juden und Christen sich verbessert hätten.
Der Versuch der jüdischen Führung – unter der Regie Josels von Rosheim –, die Geschäftsbeziehungen der Juden mit den Christen neu zu ordnen, so dass kein Missbrauch und kein Ärger mehr entsteht und dass dadurch die drakonische Maßnahme des totalen Verbots der Geldgeschäfte der Juden überflüssig gemacht würde, erreichte nicht die gewünschte Wirkung, auch wenn er nicht gänzlich scheiterte.
(bearbeitet von: Avraham Siluk)
Literatur:
Selma Stern, Josel von Rosheim. Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, Stuttgart 1959.
Chava Fraenkel-Goldschmidt, The Historical Writings of Joseph of Rosheim. Leader of Jewry in Early Modern Germany, Brill-Leiden-Boston 2006.
Aufgaben:
1. Analysieren Sie die einzelnen Artikel. Sind sie eine direkte Antwort auf die Kritik der Stände und Städte oder sind sie aus einer "Eigeninitiative" der Juden als eine Art Selbstkritik entstanden?
2. Kommen die Juden mit diesem Beschluss den Forderungen der Christen ausreichend nach oder gehen sie zu weit und schaden dadurch den eigenen Interessen?
3. Könnte man, ihrer Meinung nach, dieses Dokument als eine "jüdische Judenordnung" ansehen?
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