5. Martin Luther und die Juden
Martin Luther und die Juden - Martin Luther gegen die Juden
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und seit den Nürnberger Prozessen [1] geriet die Lutherforschung und die evangelische Theologie in eine „Erklärungsnot“: War Luther ein Antisemit? Und war er ein Vordenker des Nationalsozialismus? Was bedeuteten Luthers antijüdische Schriften für die evangelisch-lutherische Bekenntniskirche? Mittlerweile ist dieses Forschungsfeld so ausführlich behandelt worden, dass Johannes Brosseder eine ganze Monographie nur über die Interpretationen zu Luthers Einstellung zu den Juden veröffentlichen konnte.
Die Brisanz des Themas und die Tatsache, dass kein anderer Reformator sich so oft und so ausführlich über Juden äußerte, wie Luther es in seinen Bibelkommentaren, Briefen, Traktaten, Tischreden, Predigten und in seinen so genannten „Judenschriften“ tat, führte oft zu Verwirrungen über das Thema. In der Tat umspannte das Thema Juden und Judentum in theologischer, historischer und zeitgenössischer Hinsicht Luthers gesamtes Werk und war ein „Eckstein seiner Theologie“ (Oberman). Der Grund dafür war vor allem, dass die Juden „das Gegenbild dessen, was für Luther Christsein bedeutete“, darstellten (Kaufmann). Welche politischen Konsequenzen er aus seiner grundsätzlichen Einstellung in seinen Schriften zog, und welche Vorschläge er infolgedessen den Obrigkeiten und seinen Glaubensbrüdern machte, hing aber nicht allein von seiner theologischen Haltung ab. In jeder seinen Schriften finden sich Hinweise auf die Motive, die ihn zum Verfassen dieser Werke bewegten. Sie entstanden also in bestimmten politischen und sozialen Kontexten.
Die vielen Studien und Untersuchungen zu Luthers Schriften über Juden belegen: Seine Stellung zu den Juden im politisch-weltlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich kann nicht mit seiner theologischen Haltung den Juden und dem Judentum gegenüber gleichgesetzt werden. Darüber hinaus wurde eindeutig festgestellt, dass Luthers Einstellung zur „Judenfrage“ einen umfassenden Wandel erlebte, während seine Vorstellung von Juden im theologischen Bereich konstant blieb.
Noch vor dem Beginn der Reformation äußerte sich Luther zum Judenthema und zwar im Kontext des Reuchlinstreits. Luther fällt folgendes Urteil über die Juden und ihre Bücher: Aus der Bibel entnahm er,
dass die Juden GOtt und ihren König Christum schmähen und lästern werden. Und ich gestehe, daß der, welcher dies nicht gelesen hat oder nicht versteht, die Theologie noch nicht gesehen habe. Und deshalb nehme ich an, daß die Kölner die Schrift nicht auflösen können, weil es so geschehen und die Schrift werden muß. Und wenn sie es unternehmen sollten, die Juden von Gotteslästerungen zu reinigen, so werden sie das ausrichten, daß die Schrift und GOtt lügenhaft erscheine.[2]
Zu dieser Zeit hatte Luther zwar eine schlechte Meinung über die Juden. Er folgerte daraus aber nicht, dass man ihnen irgendetwas verbieten oder sie in irgendeiner Art und Weise in ihrem Verhalten oder ihrer Religionsausübung behindern sollte oder durfte. Er vertraute völlig auf die Heilige Schrift und darauf, dass nur Gott darüber zu entscheiden habe, was gegen ihre Lästerungen zu unternehmen sei. Denn sie sind durch GOttes Zorn so in verstockten Sinn dahingegeben, daß sie […] unverbesserlich sind, und jeder Unverbesserliche wird durch die Züchtigung ärger und niemals gebessert.
Luther war gegen jede Form von religiösem Zwang. Eine Bekehrung, wenn sie auf Zwang beruhe, konnte seiner Meinung nach deswegen nicht gelingen, weil Gott von Innen wirkt, nicht der Menschen die nur von außen vielmehr spielen als wirken. Eine wahrhaftige Bekehrung konnte sich für ihn nur durch einen innerlichen Vorgang vollziehen, der durch Gott verursacht werde. Dieser Vorgang könne aber durch eine Belehrung und Verbreitung des Wortes Christi gefördert werden.
In diesem Geiste verfasste er seine erste Judenschrift „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ (1523). Darin ruft Luther die gläubigen Christen dazu auf, die Juden in ihre Mitte einzulassen, sie durch gute Nachbarschaft, durch Nächstenliebe und Barmherzigkeit, und durch einen friedlichen Dialog dem Evangelium anzunähern. Dazu müssten alle Diskriminierungen, alle Unterdrückungsformen und jede Art vom Ausschluss den Juden gegenüber beseitigt werden. Nur dadurch bestehe die Möglichkeit, dass sich Juden Gott und dem Christentum öffnen und sich wahrlich bekehren würden. Nicht zu übersehen ist aber, dass Luther seine sehr judenfreundliche Meinung in einer Polemik gegen seine größten Gegner, die „Papisten“ formulierte. Außerdem hätte die Aussicht darauf, dass sich viele Juden durch die neue Politik zur reformierten Religion bekehren lassen würden, ein großer Sieg für die Reformationsbewegung bedeutet. Eine pro-jüdische Einstellung kann hier keineswegs festgestellt werden. (Dokument Nr. 1)
Die durchaus freundliche Haltung, die Luther 1523 den Juden gegenüber entgegenbrachte, wandelte sich radikal in den darauffolgenden Jahren. Schon 1537 gab es die ersten Anzeichen, dass Luther mit der judenfreundlichen Politik brechen wollte, als er Josel von Rosheim einen geärgerten Brief schrieb, in dem er sich beklagt, dass die Juden seine Schrift dafür missbraucht hätten, in ihrer Religion verstockt zu bleiben. Er verweigerte Josel dann die Hilfe, um die dieser bat, die Judenvertreibung aus Sachsen zu verhindern. Darüber hinaus kündigte er an, er wolle eine neue Schrift schreiben, in der er beweise, dass der jüdische Glaube falsch sei. (Dokument Nr. 4)
Letztendlich verfasste Luther nicht eine, sondern insgesamt vier Schriften gegen die Juden, die nicht nur ihren Glauben bezichtigte, sondern die Juden selbst als Feinde der Christen und des Christentums angreift. Die Konsequenzen, die er daraus zog, waren, dass man die Juden mit aller Kraft unterdrücken soll. Man soll alles dafür tun, um die Christen von ihrer angeblichen Schädlichkeit zu beschützen und letztendlich hielt er es für unvermeidbar, dass man die Juden aus den christlichen Territorien ganz vertreiben soll.
In der ersten dieser Schriften, „Wider die Sabbather“ (1538) reagierte Luther auf Gerüchte aus Böhmen, Mähren und Polen, denen zufolge die Juden Christen verführt haben sollen, sich beschneiden zu lassen, daran zu glauben, dass der Messias noch nicht gekommen sei, und sich an die jüdischen Gesetze zu halten, allem voran die Einhaltung der Sabbat als Ruhetag. Diese Schrift war vor allem ein Versuch der Widerlegung des jüdischen Glaubens, um die Neujuden zurückzugewinnen und beinhaltete keine extreme Polemik gegen Juden, wie die folgenden Schriften es tun werden.
Diese Schrift war allerdings nicht die verkündete Schrift aus dem Brief an Josel. Diese kam erst 1543 heraus. „Von den Juden und ihren Lügen“ war Luthers ausführlichste und radikalste, antijüdische Schrift. Der Anlass ist schon bekannt: Die Juden bleiben verstockt in ihrer Religion, benutzen Luthers erste Schrift noch dazu, das zu rechtfertigen und versuchen Christen zu verführen. Hinzu kam der Einfluss der Endzeiterwartungen, welche die Geschehnisse der Zeit als Zeichen für das Jüngste Gericht gedeutet wurden. Luther vertrat in diesem Kontext die Meinung, dass man sich vor Gott schuldig mache, wenn man es zulässt, dass in seinem Lande gegen Gott gelästert und verflucht werde. Wie schon in seiner ersten „Judenschrift“ war der wesentliche Teil eine Widerlegung der jüdischen Glaubensgrundsätze, die aber in scharfen, polemischen Angriffen ausartete. Seine Schlussfolgerung, wie mit den Juden zu halten sei, - die sogenannte „scharfe Barmherzigkeit“ – konnte, wie schon oben angeführt, nicht schlimmer ausfallen. (Dokument Nr. 5 /6)
Noch im gleichen Jahr veröffentlichte Luther eine weitere Schrift gegen die Juden, in der er sie mit dem Teufel selbst gleichsetzte und sie der Zauberei bezichtigte. Diese schwerwiegenden Beschuldigungen fielen in einer Zeit, in der auch Hexen verfolgt wurden, die auch angeklagt wurden, mit dem Teufel im Pakt zu stehen. Die zeitgenössische, herrschende Endzeiterwartung, die von Luther oft angesprochen war, ließ die Juden in diesem Kontext erneut als der Antichrist selbst erscheinen. Solche Vorwürfe verursachten häufig Aufruhr im Volk, der mit Ausschreitungen oft endete. (Dokument Nr. 7)
Die letzte Aussage Luthers zum Thema Juden geschah 3 Tage vor seinem Tod in einer Predigt. In seiner „Vermahnung wider die Juden“ stellt er noch einmal eindeutig seine Forderungen dar: die Juden sollen nicht unter Christen geduldet werden, wenn sie sich nicht bekehren. (Dokument Nr. 10)
Luthers Aussagen über die Juden und seine Vorschläge, wie man mit ihnen umgehen soll, hatten aufgrund seines enormen Einflusses weitreichende Wirkungen. Die Zeit nach Veröffentlichung seiner ersten „Judenschrift“ war durch Annährungsversuche charakterisiert. Es existieren mehrere Flugschriften, die von freundschaftlichen Gesprächen und freundlichem Umgang berichten. Die Frage nach einer Austreibung der Juden aus protestantischen Territorien stand in dieser Zeit selten zur Debatte. Darüber hinaus ist es kaum vorstellbar, dass eine Schrift wie die Osianders in einer anderen Atmosphäre hätte entstehen können. Osiander untersucht die Beschuldigung gegen die Juden. Diese besagt, die Juden würden Christenblut gebrauchen, um ihre Rituelle durchführen zu können. Seine Schrift lehnt diese Beschuldigung so vehement ab und widerlegt sie durch solche überzeugende Argumente, dass man fast von einer Verteidigungsschrift des Reformators reden kann. (Dokument Nr. 3)
Die Vertreibung der Juden aus Sachsen (Dokument Nr. 9) und aus anderen Territorien und Städten (z.B. Hildesheim und Braunschweig) sowie andere Debatten über die Duldung und die Rechte der Juden in protestantischen Territorien (Siehe Ausstellungsraum über Landgraf Philipp von Hessen ) scheinen aber den gleichen Ton wiederzugeben, der aus Luthers späteren, antijüdischen Schriften hervorgeht. Auch spätere Auseinandersetzungen über die „Judenfrage“ zogen oft Luthers Argumentation als Begründung für scharfes Vorgehen gegen die Juden heran. Sowohl in den Berichten über die Pläne für eine Gesamtvertreibung der Juden aus dem Reich (1545), als auch im Speyerer Judenprivileg Kaiser Karls V. (1544) lassen sich Passagen aus Luthers judenfeindlichen Schriften wiedererkennen, die als Beweggründe für oder gegen bestimmte Maßnahmen, die die Juden betreffen, herangezogen wurden (siehe Ausstellungsräume über Kaiser Karl V . und Josel von Rosheim ).
Bearbeitung: Avraham Siluk
[1] Julius Streicher, Herausgeber des nationalsozialistischen Hetzblatts „Der Stürmer“ sah in Luther offensichtlich ein Vorgänger der Nationalsozialisten mit seinen antijüdischen Schriften. Er sagte in seinem Prozess: „Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklageband, wenn dieses Buch [„Von den Juden und ihren Lügen“] von der Anklagevertretung in Betracht gezogen würde“. Zitiert nach: Stöhr, Martin Luther und die Juden, S. 89. Auch der Philosoph Karl Jaspers sah einen Zusammenhang zwischen Luther und dem Nationalsozialismus: „Was Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch Gaskammern“, zitiert nach: Domörs, Arne, ...ob ich villeicht , S. 229. (Siehe Literaturangabe oben)
[2] Luther in einem Brief an Georg Spalatin von 1514. In: Luther, Martin, Sämtliche Schriften, Bd. 21, Dr. Martin Luthers Briefe, Teil 1: Briefe vom Jahre 1507 bis 1532 Incl., hrsg. v. Johannes Georg Walch, Nachdruck der 2., überarbeiteten Aufl. Groß Oesingen 1987, Sp. 9f.
Weiterführende Literatur zum Thema Luther und die Juden:
Brosseder, Johannes, Luthers Stellung zu den Juden im Spiegel seiner Interpreten. Interpretation und Rezeption von Luthers Schriften und Äußerungen zum Judentum im 19. Und 20. Jahrhundert vor allem im deutschsprachigen Raum (Beiträge zur Ökumenischen Theologie, Bd. 8), München 1972.Domörs, Arne, ...ob ich villeicht auch der Juden ettliche mocht tzum glauben reytzen. Martin Luther und die Juden, In: Ders/ Thomas Bartoldus/ Julian Voloj (Hrsg.), Judentum und Antijudaismus in der deutschen Literatur im Mittelalter und an der Wende zur Neuzeit. Ein Studienbuch, Berlin 2002, S. 229-266.
Heiko A. Oberman, Wurzeln des Antisemitismus. Christenangst und Judenplage im Zeitalter von Humanismus und Reformation, Berlin 1981; Bienert, Walther, Martin Luther und die Juden, Frankfurt/M 1982;
Lewin, Reinhold, Luthers Stellung zu den Juden: Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland während des Reformationszeitalters, Berlin 1911.
Kremers, Heinz (Hrsg.), Die Juden und Martin Luther – Martin Luther und die Juden. Geschichte, Wirkungsgeschichte, Herausforderungen, Neukirchen 1985.
Kaufmann, Luthers „Judenschriften“ in ihren historischen Kontexten, Göttingen 2005.
Von der Osten-Sacken, Peter, Martin Luther und die Juden. Neu untersucht anhand von Anton Margarithas „Der ganz Jüdisch Glaub“ (1530/31), Stuttgart 2002;
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