4. Der Reuchlin-Pfefferkorn Streit um die jüdischen Bücher
1509 erhielt der Konvertit Johannes Pfefferkorn ein Mandat von Kaiser Maximilian I., das ihn berechtigte,
bucher vnd schri/fften [der Juden] überal zu uistieren [=visitieren] zu erfaren vnd besehen vnd was darunder befun//den die wider die buecher vnd gesatz moisi auch der propheten weren vnd wie obstet vngegrunt / unser hailigen cristen glauben zu schmach vnd übel richten / die selben alle / doch an iedem ort mit wissen ains raths vnd in gegenwurtigkait des pastors / auch zwaier vom rathe oder der ob//erkait von üch zunemen die aweg zethon vnd zu vnder/(d)rrucken.
Pfefferkorn, der laut eigenen Angaben zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern 1504 vom Judentum konvertiert hatte, war seit 1507 schriftstellerisch im Dienste der christlichen Apologetik tätig. Er verfasste mehrere Traktate gegen seine früheren Glaubensgenossen, in denen er gegen sie polemisierte und von der christlichen Obrigkeit Maßnahmen gegen sie forderte. Seine Hauptforderungen waren das Verbot der Zinsnahme, was er nicht durchsetzen konnte, und die Beschlagnahme und Verbrennung der jüdischen Bücher, allen voran des Talmuds.
Nach Erhalt des Mandats machte sich Pfefferkorn eifrig an die Arbeit. In Frankfurt, wo er zunächst versuchte, sein Vorhaben durchzuführen, stieß er auf Widerstand von Seiten der Judenschaft in der Stadt. Diese wandte sich an den Erzbischof von Mainz Uriel von Gemmingen, der ein Schreiben an den Kaiser schickte, in dem er die Kompetenz und das Urteilsvermögen Pfefferkorns bezweifelte und die Einstellung der Beschlagnahme der Bücher forderte. Der Kaiser wiederum beauftragte den Erzbischof, Gutachten von den Universitäten Mainz, Köln, Heidelberg und Erfurt, sowie von dem konvertierten Priester Viktor von Carben, vom Inquisitor Jakob Hochstraten und dem Juristen Johannes Reuchlin zu holen. Die Gutachten sollten beantworten,
ob solliche bücher so sie über die bücher der zehe gebot Moysi / der propheten vnnd psalter des altten testamennts gebrauchen abzethon / göttlich vnnt loblich /unnd unserm hailigen glauben nützlichen sei / vnd zu merung vnd gütt kommen mög.
Von allen verfassten Gutachtern vertrat nur Reuchlin, ein hochangesehener Humanist, Jurist und Hebraist die Meinung, dass den Juden ihre Bücher nicht weggenommen werden sollten beziehungsweise dürften. Alle anderen Gutachten sprachen sich für die Beschlagnahme der Bücher aus. Mittlerweile wurden die bereits konfiszierten Bücher unter Anordnung des Kaisers den Juden zurückgegeben und der ganze Prozess geriet ins Stocken. Pfefferkorn, der von dem Inhalt des Gutachtens Reuchlins erfuhr, verfasste eine Schmähschrift ‚HAndt Spiegel‘, in der er nicht nur erneut gegen die Juden polemisierte, sondern auch Reuchlin angriff und ihm schwere Vorwürfe machte. Er beschuldigte ihn die Juden zu sehr begünstig zu haben, wobei dies für ihn eine Folge der Verführungskraft der Juden war.
Mit diesen Beschuldigungen eröffnete Pfefferkorn die in der Geschichtsschreibung als Bücherstreit bekannte Kontroverse. Reuchlin antwortete auf dieses Werk mit einer eigenen Schrift, dem ‚Augenspiegel‘, in der er die bisherigen Ereignisse schilderte, sein Gutachten druckte, und 34 Unwahrheiten, die im ‚HAndt Spiegel‘ standen, widerlegte. Dieser Schritt sollte sich als gefährlich für Reuchlin erweisen, weil Pfefferkorn ein Exemplar des ‚Augenspiegels‘ an die Dominikaner in Köln schicken ließ, bei denen er seit einiger Zeit Unterstützung fand. Die theologische Fakultät in Köln, mehrheitlich aus Dominikanern bestehend, beauftragte Arnold von Tongern, den ‚Augenspiegel‘ auf den Verdacht der Ketzerei hin zu überprüfen, weil in der Schrift die Juden zu sehr begünstigt würden und Reuchlin die Lehre der Kirche verletzt haben soll.
Als Reuchlin vom Geschehen in Köln erfuhr, nahm er Kontakt mit Tongern und seinem Freund, dem Humanisten Kollin auf und versuchte, diese von seiner Treue zur Lehre der Kirche zu überzeugen. Trotz aller Bemühungen, den Streit um den ‚Augenspiegel‘ beizulegen, drohten die Kölner Reuchlin mit einem Prozess, da er seine Aussagen nicht widerrufen wollte.
Was darauf folgte, kann man nur als Schriftenkampf bezeichnen, der zum einen zwischen Reuchlin und Pfefferkorn, der weitere sechs Schriften gegen die Juden und Reuchlin veröffentlichte, andauerte, zum anderen nun auch zwischen Reuchlin und der theologischen Fakultät in Köln eröffnet wurde. Im Zuge dieser Auseinandersetzung schaltete sich der Inquisitor Jacob Hochstraten ein und leitete ein Gerichtsverfahren gegen Reuchlin ein.
Ab diesem Punkt nahm der Streit eine neue Dimension an. Der Gerichtsprozess fand kein Ende, weil die Akteure sich immer wieder an höheren Instanzen wandten und Unterstützung bei immer mehr Leuten suchten und fanden, die Einfluss auf den weiteren Verlauf der Verhandlungen nahmen. Diese wurden von Mainz, wo der Inquisitionsprozess zuerst stattfand, nach Speyer und schließlich sogar nach Rom verlagert. Dort zögerte aber der Papst lange mit der endgültigen Urteilsverkündung, vielleicht mit der Hoffnung, die Brisanz der Sache würde mit der Zeit nachlassen und ein Ausgleich könnte dann erreicht werden.
Allerdings sollte es noch einige Jahre dauern, bis der Papst sein Urteil fällte. Während der Verhandlungen meldeten sich immer mehr Gelehrte, Fürsten, Bischöfe und andere Geistliche zu Wort und es bildeten sich zwei Lager heraus. Auf der einen Seite standen die Unterstützer Reuchlins, die mehrheitlich Humanisten waren, und auf der Seite der Gegner waren vor allem die scholastischen Theologen. Auch die Vertreter beider Lager starteten nun eine öffentliche Schriftenschlacht, die ihren Höhepunkt in der Publikation der Satire der „Dunkelmännerbriefe“ erreichte.
Was als eine Initiative eines unbekannten und ungebildeten, getauften Juden begann, wurde zu einer großen Affäre, welche die Gemüter der Gelehrtenwelt des frühen 16. Jahrhunderts sehr erregte. Der Streit darüber, ob man gut daran täte, die jüdischen Bücher zu beschlagnahmen und zu vernichten, verwandelte sich durch die Antwort Reuchlins in eine prinzipielle Frage nach dem Status und nach den Rechten der Juden im weltlichen sowie im kirchlichen Bereich. Dieser Streitpunkt entfachte eine innerchristliche Auseinandersetzung über die Lehre der Kirche und darüber, welche Positionen bezüglich der Juden und deren Bücher noch annehmbar wären. Es entzündete sich also ein Streit über (modern ausgedrückt) Redefreiheit und Zensur. Die Herausbildung der zwei Lager ließ den Streit in den Augen der Zeitgenossen als eine Auseinandersetzung zwischen Humanisten, die die via moderna repräsentierten, und den scholastischen Theologen, welche die via antiqua vertraten, erscheinen.
Die Affäre endete erst zehn Jahre nachdem sie begonnen hatte. Der Gerichtsprozess wurde zuungunsten von Reuchlin entschieden und sein „Augenspiegel“ wurde verboten. Aber in der Sache ging es gar nicht mehr um die jüdischen Bücher oder um die Positionen Reuchlins, welche die Juden begünstigten. Vielmehr waren es die Unruhen im Reich, welche die Reformation mit sich brachte, und als man die ‚Causa Reuchlini’ mit der ‚Causa Lutheri’ in Zusammenhang brachte, sah der Papst keine andere Wahl, als Reuchlin zu verurteilen.
Zur Ausstellung:
Im Folgenden soll der Streit anhand folgender Dokumente dargestellt werden: Zuerst sollen Auszüge aus Pfefferkorns Schrift „Judenfeind “ vorgestellt werden. Diese Schrift gab in zugespitzter Form das wieder, was er in anderen Schriften über die Juden schrieb. Insgesamt enthielten die Schriften Pfefferkorns ein bestimmtes Judenbild, wonach die Juden auf der einen Seite Gefangene der eigenen Tradition und ihrer Rabbiner seien. Auf der anderen Seite seien sie schädlich für die Christen und das Christentum. Pfefferkorn spielte in seiner schriftstellerischen Tätigkeit die Rolle eines Kenners (eines Insiders) des jüdischen Glaubens, der die Schädlichkeit und Erbärmlichkeit der Juden enthüllen will. Dies verlieh seinen Schriften eine relativ große Glaubwürdigkeit.
Als nächstes folgt das Mandat zur Konfiskation der jüdischen Bücher , das Pfefferkorn von Kaiser Maximilian I. erhielt und in seiner Schrift „Zu Lob und Ehre“ 1510 drucken ließ. Das darauffolgende Dokument ist der Brief des Erzbischofs Uriel von Gemmingen an Kaiser Maximilian I., in dem er Zweifel an die Eignung Pfefferkorns zur rechtmäßigen Erfüllung der Aufgabe äußert. Als Antwort darauf erteilte der Kaiser dem Erzbischof die Aufgabe, Gutachten über die Bücher der Juden von mehreren theologischen Fakultäten sowie von verschiedenen Gelehrten aus unterschiedlichen Bereichen zu holen. Dieser Brief Maximilians wurde vollständig in Reuchlins „Augenspiegel“ veröffentlicht. Aus diesem Dokument sollen auch Auszüge aus dem von Reuchlin verfassten 'Ratschlag ' wiedergegeben werden. Diese bieten eine umfangreiche Grundlage für Diskussionen über eine untypische Meinung über die Juden und ihre Rechte im beginnenden 16. Jahrhundert.
Schließlich soll gezeigt werden, dass die Juden nicht ganz untätig blieben, als es darum ging, sich gegen androhende Verfolgungen zu wehren und für die eigenen Rechte zu kämpfen. In diesem Zusammenhang werden folgende drei Dokumente präsentiert: Zuerst wird ein Bericht aus Frankfurt vorgelegt, der die Ereignisse seit dem Eintreffen Pfefferkorns in die Stadt und bis zur Einmischung des Mainzer Erzbischofs aus der Sicht der Juden darstellt. Danach folgt ein Brief Jonathan Zions , des Gesandten der Frankfurter Juden am Hof des Kaisers. Dieser schildert seine Bemühungen am Kaiserhof, den Plan der Konfiskation der Bücher zu vereiteln und berichtet von seinem anfänglichen Erfolg bis zum Eintreffen Pfefferkorns dort. Darüber hinaus liefert er eine Abschrift des Mandats von Rovereto, in dem nach Gutachten von Gelehrten und Universitäten über die jüdischen Bücher verlangt wird (siehe oben). Schließlich soll der gescheiterte Versuch der Frankfurter Juden, andere jüdische Gemeinden zu mobilisieren, anhand eines letzten Dokuments gezeigt werden.
Bearbeitung: Avraham Siluk
Weiterführende Literatur:
Herzig, Arno / Schoeps, Julius H., Reuchlin und die Juden, (Pforzheimer Reuchlinschriften; Bd. 3), Sigmaringen 1993
Martin, Ellen, Die deutschen Schriften des Johannes Pfefferkorn. Zum Problem des Judenhasses und der Intoleranz in der Zeit der Vorreformation. Göppingen 1994
Overfield, James H., A New Look at the Reuchlin Affair, in: Howard L Adelson (Hrsg.), Studies in Medieval and Renaissance History, 8, Nebraska 1971, S. 167-207. (Overfield, A New Look)
Peterse, Hans, Jacobus Hoogstraeten gegen Johannes Reuchlin. Ein Beitrag zur Geschichte des Antijudaismus im 16. Jahrhundert, Mainz 1995. (Peterse, Hoogstraeten gegen Reuchlin)
Rummel, Erika, The Case Against Johann Reuchlin. Religious and Social Controversy in Sixteenth-Century Germany, Toronto 2002
Trusen, Winfrid, Die Prozesse gegen Reuchlins „Augenspiegel“. Zum Streit um die Judenbücher, in: Stefan Rhein (Hrsg.), Reuchlin und die politischen Kräfte seiner Zeit, (=Pforzheimer Reuchlinschriften; 5), Sigmaringen 1998.
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