3. Das neue Justizwesen und die Einführung des Codes Napoleon als bürgerliches Gesetzbuch des Königreichs Westphalens
„Die Wohltaten der Revolution von 1789 entschädigten die Deutschen für die ihnen vom Militärdespotismus auferlegten Opfer. Die bürgerliche Gleichheit (…) wird im westfälischen Volke ins Leben treten, ohne dass es ihm Revolution, Schreckensregiment, Bürgerkriege und Blutbäder kostet. Das Kaiserreich wird vorübergehen, die übermäßige Konskription, die Kriegskontributionen, die gebieterischen Forderungen des welschen Cäsar werden vorübergehen; aber die einmal ins Gesetz eingetragene Gleichheit wird bleiben.“ [1]
Mit diesen Worten drückte schon Rambaud 1872 in seinem Werk „Revue des Deux Mondes“ seinen Respekt gegen über den Errungenschaften des neuen Justizwesens des Königreichs Westphalen aus. Ein wichtiger Mann für den Aufbau der neuen Justiz war der Minister für Justiz und Inneres Siméon. Dieser hatte seit 1808 die Justiz in seinen Händen, kannte sich bestens mit der Gesetzgebung und Verwaltung Frankreichs aus, und war ein fähiger Staatsmann und liberaler Politiker. Die so, durch die westphälische Verfassung und Einführung des Code Napoléons [Dokument 4] als Bürgerliches Gesetzbuch (am 1. Januar 1808), geschaffene Justiz bildete einen völlig neuen Rechtsraum. Durch die Abschaffung aller bisherigen Personalfronde und willkürlichen Dienstforderungen, des Gesindezwangrechts und der Heirats- und Sterbeabgaben an die Herrschaft wurde in Westphalen die Bauernbefreiung realisiert [Raum 2, Dokument 7]. Am 28. März 1809 wurden zusätzlich auch alle Lehen zu völlig freiem Eigentum erklärt und so von allen Abgaben befreit und zu Privatbesitz erklärt, der nun auch verkauft werden durfte. Einzig und allein so genannte Kommunalfronde zum Nutzen der Gemeinden blieben erhalten. Jeder Bürger konnte nun in gleichem Maße Eigentum erwerben und frei darüber verfügen. In Folge der Einführung der Patentsteuer fielen Zünfte, Gewerke und Juranden weg. Ein Dekret vom 16. Mai 1809 beseitigte vom 1 Juli an die bisher nichtansässigen Bewohnern auferlegte Personalsteuer, was einen großen Schritt in Richtung Gewerbefreiheit darstellte.[2]
In Folge der Einführung des Codes Napoléons wurde zudem die Verfassung der Gerichtshöfe [Dokumente 1, 2] neu geregelt. So wurde in Kassel ein Appellationsgericht mit 26 Richtern, 3 Präsidenten, 1 Generalprokurator und 2 Substituten, in jedem Departement ein peinlicher Gerichtshof, in jedem Distrikt ein Zivilgericht erster Instanz und in jedem Kanton ein Friedensgericht errichtet.
Eine echte Neuerung war auch die flächendeckende Einführung von Personalurkunden [Dokumente 5, 6, 7, 8, 9, 10] für die Zivilbevölkerung, in denen Geburten, Sterbefälle, Hochzeiten und vieles weitere vom Staat offiziell erfasst und beglaubigt wurde. Ein solch umfassender Verwaltungsaufwand war den Bürgern im Königreich Westphalen bisher unbekannt. Die einzelnen Landesfürsten waren stets nach Belieben und eigenem Gutdünken verfahren. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Einführung des Code Napoleons nicht ganz reibungslos verlief [Dokument 3] und sich im Königreich Westphalen auch lange nach seiner Einführung noch mancher Widerspruch regte [Dokument 11].
Anmerkungen:
[1] | Rambaud, Revue des Deux Mondes, 1872, zitiert nach: A. Kleinschmidt: Geschichte des Königreichs Westphalen, Gotha 1893, S.149. |
[2] | Vgl. A. Kleinschmidt: Geschichte des Königreichs Westphalen, Gotha 1893, S.149 f. |
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