Brieflich geäußerte Bedenken bezüglich der Umsetzung des Code Napoléon als Gesetzbuch des Königreichs Westphalen vom Präsidenten und Regierungsräthe Lewor, vom 04. November 1812.
Die Bedenken des Präsidenten und Regierungsräthe Lewor betreffen vor allem die Umsetzung des Code Napoléons und die damit verbunden Umstellungen innerhalb des Justizwesens. Seiner Ansicht nach ist für ein so kleines Gebiet wie das Königreich Westphalen eine Justizstruktur nach französischem Vorbild nur schwer umsetzbar. Der Code Napoléon enthalte nicht nur rechtliche Lücken sondern sei auch kaum finanzierbar. Die Kosten der geforderten Registrierung der Bürger durch Geburts- und Sterbeurkunden, und die kleinschrittige Justizstruktur würden das Land überlasten. Er bittet darum von der Einführung des Code Napoléon abzusehen oder wenn dies nicht möglich sei, seine Einführung doch zumindest heraus zu zögern um verschiedene Modifizierungen vornehmen zu können.
Transkript (siehe auch PDF):
De Serenissimum
Die: hochfürstliche Durchlaucht haben die Aufnahme des Codex
Napoleon als Gesetzbuch für Höchstders. Fürstenthum Waldeck
und Pyrmont zu beschließen, und die die vorläufige Mittheilung die-
ses Beschlusses an die verschiedenen Justiz – Behörden uns zu befehlen
gnädigst geruht.
Gewöhnt indessen an huldreiche Aufnahme ehrbürtiger Gegen-
vorstellungen, sahen wir und uns auch in diesem Falle zu einer ähnlichen
Demonstration gedrungen, die, ihr Erfolg sey auch welcher er wolle,
hoffentlich bey höchstderselben keine andere Ueberzeugung erwecken
wird, als die: daß nur des reichste Pflichtgefühl sie uns an Hand
gab, und daß wir also dadurch nichts anderes bezwecken, als nur un-
sere Pflicht, welche wir gegen höchstdero. Person und Unterthanen auf
uns haben, ein genüge zu leisten.
Wir müssen gleich anfänglich bemerken, daß das französische
Gesetzbuch in Rücksicht seines inneren Gehalts nicht von der Art ist,
um für alle Staaten das Muster der Gesetzgebung werden zu
können,
können, und wenn gleich einige größere Staaten des Rheinbundes
den Codex Napoleon als Gesetzbuch angenommen haben, so hat
dies doch wie aus einem erst kürzlich erschienenen Werke eines
der geistreichsten Rechtsgelehrten Deutschlands, des Bäyrischen gehei-
men referendars, Feuerbach, ( Themis, oder Beiträge zur Ge-
setzgebung abhandl: 1.) zu erseh[e]n ist, nicht in den Vorzügen des
C: - N: sondern vielmehr in den Wünschen des französischen Kai-
sers seinen Grund. Wäre dieser Wunsch in dringende
Betrachtung gekommen; gewiß hätte man dann, wie Feuerbach
deutlich genug zu versteh[e]n gibt, Frankreichs Gesetze auf Bai-
rischem Boden nicht verpflanzt. Und in der That bedarf es
auch keiner tiefen Kenntniß des C: N:, um mit Grunde behaup-
ten zu können, dass er wegen seiner Unvollständigkeit, wegen
der vielen Lücken, welche er in der Gesetzgebung gelassen hat,
und wegen der richterlichen Willkühr, die aus diesem Grunde
die Stelle die Stelle des Gesetzbuches vertreten muß, mehren anderen Ge-
setzbüchern nachstehet. Aber diese Vorwürfe sind nicht die
einzigen, welche den C. N. treffen: ein weiterer Fehler desselben
besteht
besteht darin, dass er für kleine Staaten gar nicht berechnet ist.
Man darf unter anderem nur die entsetzlich vielen Um-
ständlichkeiten bey Constatirung des Geburts- und Sterbetags, an
die Zuhnahme der Heyraths-Acte g.g. denken, die wegen der größeren
Richtigkeit eines Betrugs in ausgedehnten Staaten, in diesen aller-
dings auf guten Gründen beruhen für kleinere aber, und namet-
lich für die hiesigen Fürstenthümer, in unnötig[e]r und unnütz[e]r
Weitläuftigkeiten ausarten würde, da deren Refohrm , von ei-
nem Ende zum anderen großentheils sich schon kennen, und ge-
wissermaßen nur als eine große Familie zu betrachten sind. –
dies ergiebt ferner die Einrichtung und Verfassung der Ge-
richte.
In Frankreich / und auch in Westphalen / ist für jeden Di-
strict welcher gewöhnlich 70,000 bis 100,000. Seelen zählt, ein
Tribunal erster Instanz, für jedes Departement, dessen Men-
schen – Menge zwischen 300,000 und 500,000. Seelen in sich
begreift, ein Apellations – Hof, und für das ganze Reich,
ein Kassationshof, eingerichtet.
Da ohne die Einrichtung gleicher Anstalten die Aufnahme
des
des C: N: nicht möglich ist, so ist der kleine Staat, welcher wie die
hiesigen Fürstentümer, zusammen genommen, kaum 50,000.
Seelen zählt, genöthigt, alle jene weitläuftigen und kostspieligen
Einrichtungen eben so zu machen: als ob der Staatnoch 6. bis 10.
mal größer wäre. Insbesondere würde für höchstders. Lande
die Constituirung eines eigenen Justiz – Ministrats, oder we-
nigstens eines beständigen Ministral-Referenten in Justiz-
Sachen, die Bildung eines Kassationshofs, und die Bestellung dreyer
(fürstlicher?) Procuratoren schlechterdings erforderlich seyen: - eine Einrichtung
die in gerinsgten Anschlage 8. bis 9,000 Reichsthaler den Fiscus
kosten, und deren Notwendigkeit in der That um so mehr zu be-
klagen seyen würde, als dadurch die Hoffnung zum großen Theil
verlohren ginge, daß manche Diener im Justizfach in Rück-
sicht ihres Einkommens in einer für die Verwaltung der Ju-
stitz höchst erwünschens werthe bessere Lage endlich versetzt wer-
den würden.
Diese Gründe deren wir, wenn uns nicht die Furcht,
zu weitläuftig zu werden, davon abhielt, leicht noch mehrere
hinzusetzen
hinzusetzen könnten, beweisen hoffentlich schon zur Genüge, daß
die Reception des C: N: in hiesigen Landen gewiß nicht wünschens-
wert ist.
Wenn aber wie wir nicht wissen, etewa besondere politische Ur-
sachen die Beherzigung jener Gründe nicht mehr erlauben sollten;
so bitten wir in diesem Falle weiter unterthänist: wenigstens
die Ausführung höchst Ihres Vorhabens auf einige Zeit noch zu ver-
schieben.
Die ganze Einrichtung, welche der C: N. erheischt, ist so ganz
ieu und abweichend, und die Aufnahme desselben wird beynah
in alle Theile der Verfassung des Landes so wesentlich eingreifen,
und solche dergestalt umändern, daß auch bey der größten Um-
sicht, und bey der genausten Kenntniß dieser Verfassung und des C. N.,
eine Menge Verstoße gewiß nicht vermieden werden können.
dies beweißt das Beispiel von Baden, welche Landschaft, nach-
dem Sie den C: N: eingeführt hatte, ihre nach Verlauf eines
halben Jahrs zu suspendieren, sich genöthigt sah; und noch neuer-
lich soll Anhalt Böthe – das einzige kleine Fürstenthum unter
den Rheinbunds – Staaten, welches bis jetzt den C: N: recipirt
hat
hat seine Verfügung wieder aufgehoben haben. [haben ist zuviel] Und welche
Vorsicht bey Einführung des C: N: anzunehmen ist, welche Schwie-
rigkeiten damit verbunden sind, das legt nicht weniger der Ver-
stand uns offen, daß Nassau - Usingen und Darmstadt selbst
durch die Hülfe der hellsten Köpfe über die vielen, in den ver-
tretenden Bedenklichkeiten noch nicht hinweggekommen, sondern
mit deren Beseitigung bis auf diesen Augenblick beschäftigt sind.
Indessen ist doch mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß die
bey diesen genannten beyden Höfen stattfindenden Beratschlagun-
gen, bald ihr Ende erreichen, und deren Resultat, als der Erfolg
der Bemühungen ausgezeichneter Männer, ein sicherer Weg-
weiser für die übrigen kleineren Rheinbund Staaten in diesem
Labyrinth abgeben werde.
Vorzüglich würde Darmstadt, dessen Gerichts- und sonstige
Verfassung mit der hiesigen am meisten übereinstimmt, die sicherste
Ware für her. Hochfürstliche Durchlaucht Lande geben können.
Höchsdieselben bitten wir diesen allen noch dringend
Un-
unterthänigst: die Einführung des C: N. zu Vermeidung aller
Stockung der Justiz – Pflege, und sonstigem nicht ausbleiben können-
der Irrungen bis zu jenem Zeitpunkt ausgesetzt seyen zu laßen,
(…) solche , wie wir den Ausgeführten zufolge, angelegent-
lichst erwünschen müssen, etwa nicht ganz sollte unterbleiben können.
Endlich müssen wir noch anführen, daß, wenn die Justiz
Behörden zur Erlernung des C: N: demnächst aufgefordert
werden sollen, dabey zu bestimmen seyen mögte, ob sie solche
auf das Gesetzbuch allein einschränke oder auch auf die fran-
zösische Proceß – Ordnung ausdehnen soll. Wir dürfen genau
bestimmt voraussetzen, daß her. Hochfürstliche Durchlaucht eine
Einrichtung nicht annehmen werde, die, außer Westphalen, von keinem
deutschen Staate angenommen worden ist, indessen
dürfte doch unseres Erachtens, darunter aus dem Grunde eine
nähere Erklärung nötig seyen, weil manche in dem Wahn
stehen könnten, daß mit dem einen auch das andere ver-
standen und daher das Studium des einen wie des an-
dren
dren zu bethätigen wäre. Arolsen den 4ten= November
1812.
Zu Höchstdero Regierung verordnet[e]r President, Viir -
Canzlar, und Regierungs – Räthe.
Lewor
lHagemann.
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