7. Karl V. und die kaiserliche Judenpolitik
Karl V. von Habsburg war der Enkel von Ferdinand dem Katholischen und Isabell von Kastilien. Die beiden spanischen Herrscher besiegten 1492 die Mauren, eroberten Granada und vollendeten damit die sog. Reconquista. Das Herrscherpaar entschied noch im gleichen Jahr, in dem auch Colombos im spanischen Auftrag Amerika entdeckte, alle Juden aus ihrem Herrschaftsgebiet zu vertreiben, sofern diese nicht zum Christentum übertraten. Da sein Vater, Philipp der Schöne, in jungem Alter verstorben war und seine Mutter als Geisteskranke galt, bestieg er den Thron bereits 1516 mit lediglich sechzehn Jahren und wurde König und Herrscher von Spanien, Neapel, Sizilien, der Besitzungen in Afrika und der Eroberungen in Amerika. Als sein Großvater väterlicherseits, Kaiser Maximilian I., 1519 starb, erbte Karl, der im gleichen Jahr zum Nachfolger des verstorbenen Kaisers gewählt wurde, die Habsburgischen Lande im Heiligen Römischen Reich: Österreich, Steiermark, Kärnten, Krain, die habsburgischen Stammlande am Oberrhein und die burgundischen Länder Karls des Kühnen. Gelöscht: zu seinem Herrschaftsgebiet
Die Wahl des spanischen Monarchen verunsicherte die Juden im Reich zutiefst. Denn sie wussten, dass er streng katholisch erzogen worden war und sich als frommer Katholik, in seiner Funktion als Kaiser sogar als den „weltlichen Arm“ der Kirche betrachtete. Der Umstand, dass kein Jude sein Stammland Spanien betreten durfte, und dass dort die Inquisition die verbliebenen, konvertierten Juden zu dieser Zeit noch massiv verfolgte, bereitete den Juden große Sorgen um ihre Zukunft in Deutschland. Die frühere Äußerung des Herrschers zum Reuchlin-Pfefferkorn-Streit schließlich schien diese Befürchtungen der Juden zu bestätigen. Karl schrieb damals an den Papst, dass „wer die Juden begünstige, sich Gottes Strafe zuzieht“.[1]
Schließlich kam der Tag der Königskrönung Karls V. 1520 in Aachen. Die Juden des Reichs schickten ihre Vertreter dorthin, um – wie es damals üblich war – dem neuen Herrscher eine Krönungssteuer (die sog. „Ehrung“) zu überreichen und um neue Privilegien oder die Bestätigung älterer Privilegien zu erlangen. Diese „Ehrung“ folgte dem Grundsatz, der vom König Ludwig von Bayern aufgestellt worden war, wonach die Juden mit Hab und Gut dem König gehörten und deswegen bei der Krönung eine Art fiktiven Loskauf für die Erhaltung ihres Lebens und ihrer Rechte zu zahlen hatten. Traditionsgemäß und traditionsbewusst bestätigte Karl V. Josel und seinem Begleiter die alten Privilegien seines Großvaters Maximilian, die ursprünglich nur den Juden des Elsass galten, und dehnte deren Wirkungsbereich auf das gesamte Reich aus. Darüber, dass der neue König die Krönungssteuer oder andere Zahlungen forderte, gibt es allerdings keine Erwähnung.
Dennoch profitierten nicht nur die Juden von der Großzügigkeit des Königs, sondern auch einige elsässische Städte, die Freiheiten erhielten, nach denen es ihnen erlaubt war, Juden innerhalb der Stadtmauern nicht zu dulden und zu vertreiben. Die elsässischen Juden mussten erneut dem König einen Besuch erstatten und für ihre Rechte plädieren. Karl versprach ihnen dann auch eine Prüfung ihrer Rechte durchzuführen. Damit wurden Vertreibungen verhindert bzw. verschoben (Siehe Josels Bericht über die Ereignisse).
Auf dem Reichstag von Worms 1521, auf dem es vor allem um die Auseinandersetzungen um Martin Luther und die beginnende Reformation ging, schien es, als würde der junge Herrscher in die Fußstapfen seiner Großeltern treten. Die Gewährung der oben erwähnten „Vertreibungsrechte“ und die Bestimmung des Reichstagsabschieds, dass „Juden, die wuchern oder auf Diebesgut leihen, [..] von niemanden gehaust oder gehalten werden, und im Reich keinen Frieden und Geleit haben [sollen]“, dienten in den Augen der Juden als Indizien dafür.
Aber Karl war kein fanatischer Herrscher. Vielmehr genoss er eine humanistische Bildung und war auch seinen jüdischen Untertanen ein gnädiger Herrscher. Aus diesem Grund und aus seinen religiösen Überzeugungen setzte er alte Traditionen fort, wie die der Schutzherrschaft des Kaisers über die Juden. Eine andere Tradition, die Karl fortführte, war die Ernennung eines Reichsrabbiners, der für Recht und Ordnung unter den Juden sorgte – damit war den Juden eine gewisse Autonomie gewährt –, der aber auch den goldenen Opferpfennig von allen Juden eintrieb. Insgesamt unterschied sich die Judenpolitik Karls V. in den ersten Jahren seiner Regentschaft nicht sehr von der seiner Vorgänger. Zwar brachte er den Juden keine besondere Sympathie entgegen. Er verhielt sich aber auch nicht judenfeindlich und betrieb keine restriktive Politik ihnen gegenüber.
1530 kehrte Karl V. nach neun Jahre Abwesenheit ins Reich zurück. Diesmal kam er als erwachsener, machtbewusster und siegreicher Herrscher, der vom Papst in Bologna soeben zum Kaiser gekrönt worden war. Er sah sich vor zwei große Aufgaben gestellt: die Überwindung der durch die Religionsfrage verursachten Spaltung im Reich und die gleichzeitige Bedrohung durch die Türken. Karl wusste, dass er seine Macht im Reich ausbauen musste, um seinen Willen gegenüber den Fürsten durchzusetzen und gleichzeitig deren Unterstützung gegen die Türkengefahr zu sichern. Um seine Strategie zu planen, traf er sich mit seinem Bruder Ferdinand I. und mit seinen Beratern im Vorfeld des schicksalhaften Augsburger Reichstags in Innsbruck. Dort hörte er Josel von Rosheims Verteidigung zugunsten seiner Glaubensbrüder und -schwestern gegen die Beschuldigung, die Juden stünden in einer verschwörerischen Kommunikation mit den Türken, seien also Spione und Verräter. Da Josels Verteidigung ihn überzeugte, gewährte er ihm ein Privileg , das als eine kaiserliche Bestätigung des königlichen Privilegs von 1520 anzusehen ist.
Kurze Zeit später, auf dem Augsburger Reichstag, wurden die Juden mit allerlei neuen Beschuldigungen konfrontiert. Als dem Kaiser eine Schrift von einem bekehrten Juden [2] überreicht wurde, in der die Juden beschuldigt wurden, den Niedergang des Reichs herbeizusehnen und Proselyt [3] zu betreiben, verordnete er eine öffentliche Disputation, in der Josel aufgetragen wurde, diese Beschuldigungen zu widerlegen. Nachdem dieser seinen Gegner, Margaritha, besiegt hatte und dieser versprechen musste, die Stadt nie wieder zu betreten, gewährte der Kaiser der gesamten Judenschaft im Reich ein weiteres Privileg. Es handelte sich dabei um die Bestätigung des Privilegs König Sigismunds von 1415. Karl ermahnte in dieser Privilegserneuerung die Fürsten und städtischen Magistrate, „bei Vermeidung schwerer Strafe und Ungnade, die Bestimmungen der Urkunde zu befolgen, damit die Juden >hinfüro im Heiligen Reiche desto ruhiger sitzen und bleiben mögen<“. [4]
Wie schon 1520 in Worms und 1530 in Innsbruck verlangte der Kaiser auch hier keine Sonderzahlung oder irgendeine finanzielle Versprechen von den Juden. Was ihn zu seiner Entscheidung bewegte, war sein Interesse, die kaiserliche Hoheit über die Juden im Reich als Kammerknechte zu sichern und zu verfestigen. Dies bedeutete zugegebenermaßen auch Steuervorteile für den Kaiser. Aber die Auseinandersetzung mit den Fürsten und Ständen über bestimmte Rechte im Reich stand hier eindeutig im Vordergrund. Karl V. beharrte darauf, dass die Juden schon vom „alten Herkommen des Reichs“ als Knechte der kaiserlichen Kammer galten. Damit trat bei dieser Auseinandersetzung wieder die Traditionstreue des Kaisers zum Vorschein.
Die Kontinuität in der Judenpolitik Karls V. zeigte sich auch in seiner Haltung gegenüber den jüdischen Geldgeschäften. So wie im Reichstagsabschied 1521, wurde auch auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 im Rahmen der Reichspolizeiordnung beschlossen, dass Juden, die wucherische Geschäfte betrieben, nicht geduldet werden sollten. Darüber hinaus sollten Obrigkeiten, die Juden in ihrem Territorium duldeten, über deren Geldgeschäfte wachen. Der Kaiser betrachtete die Frage nach dem Wucher schon immer als eine religiöse Sache. Nach dem kanonischen Recht war es strikt verboten, zu wuchern. Karl V. wollte – wegen seiner katholischen Überzeugungen – den Wucher gänzlich abschaffen, und zwar auch bei den Juden, die ansonsten von dieser Regelung ausgenommen wurden.
So wie bei den oben genannten Privilegien war Karls Judenpolitik auch in den folgenden Jahren von der Steuerfrage losgekoppelt. Der Schwerpunkt lag stattdessen bei der kaiserlichen Schutzherrschaft. Es wurde durch diese Politik eine unmittelbare und überterritoriale Rechtsbeziehung der Juden zum Kaiser konstituiert, obwohl viele Landesfürsten und städtischen Magistrate über Judenregalien verfügten. Es ist unter dieser Prämisse, dass der Kaiser 1541 in einer Bestätigung der beiden Privilegien von 1530 verkündete, dass „die Judischait im Hayligen Reich undt unsern erblichen Fürstenthumben und Landen wohnhaft und gesessen … bey angeregten allen iren Gnden, Freyhaiten, Privilegien undt Briefen, so inen von unsern Vorfaren Römischen Kaysern und Königen, auch uns [und] dem Hayligen Reiche gegeben sein und sie löblichen herbracht haben, mit allen und jeglichen derselben Inhaltungen, Gesatzen, Puncten, Articulen, Meinungen und Begreiffungen gehandthabt, geschützt und beschirmt“ werden solle. [5]
Drei Jahre später, auf dem Reichstag in Speyer, verkündet der Kaiser ein weiteres Privileg zugunsten der Juden, das „bedeutendste[..] dieser Art überhaupt“. Dieses Privileg vom 3. April 1544 , das sich auf eine lange Tradition von Privilegien und Schutzzusagen der Päpste und Kaiser berief, bestätigte alle früheren Privilegien, Freiheiten und Rechte der Juden im Reich, nahm sie in Schutz vor Ritualmordbeschuldigungen sowie Folter, gestattete zum ersten Mal und rechtfertigte das Zinsgeschäft der Juden und versicherte ihnen die freie Religionsausübung und den Erhalt ihrer religiösen sowie gemeinnützigen Einrichtungen. In den folgenden Jahren und Jahrhunderten wurde dieses Privileg immer wieder von den Kaisern bestätigt, was die zentrale Rolle dieser Urkunde für die jüdische Geschichte in Deutschland beweist. Sie wurde nämlich unter Ferdinand I. (1562), Maximilian II. (1566), Rudolf II. (1577), Matthias (1612), Ferdinand II. (1630), Leopold I. (1663) und Karl VI. (1714) bestätigt und erneuert.
Allerdings erzielte das Privileg zu der Zeit seiner Erstellung nicht die gewünschte Wirksamkeit. Bereits am 30. Januar 1548 musste der Kaiser es erneuern, unter der expliziten Bezugnahme auf Beschwerden des Befehlshabers der Judenschaft im Reich, Josel von Rosheim, sodass man davon ausgehen muss, dass dem Befehl des Kaisers keine bzw. nicht ausreichend Folge geleistet wurde. Im gleichen Jahr wurde auf dem Reichstag in Augsburg eine neue Reichspolizeiordnung verabschiedet, in der unter anderem das vereinbart wurde, was Karl in seinem Speyerer Judenprivileg schon beschlossen hatte, dass nämlich das Zinsverbot für die Juden abgemildert werden sollte. Zwar war die Rede nicht von den im oben genannten Privileg gestatteten höheren Zinsen, jedoch wurde zum ersten Mal in einem Reichsgesetz das Recht der Juden auf das Zinsnehmen prinzipiell anerkannt.
Letztendlich fällt es schwer, die Judenpolitik Karls V. zu beurteilen. In den folgenden Jahren wurden die Rechte der Juden nochmals beschnitten, diesmal in Bezug auf ihren Handel mit Schuldscheinen von Christen (1551). [6] Außerdem gewährte der Kaiser ein paar Städten sogenannte privilegia de non tolerandis iudeis (z.B. in Schweinfurt 1555) und damit das Recht auf die Vertreibung der Juden. Es bleibt aber festzuhalten: Karl V. bestätigte den Juden im Reich immer wieder ihre Rechte und Freiheiten und gab ihnen das umfassendste und weitreichendste Privileg von 1544. Dass er diese nicht (zumindest nicht unmittelbar) an steuerliche Vorteile koppelte, zeigt, dass es ihm nicht so sehr um einen finanziellen Profit ging. Wahrscheinlicher erscheint die Annahme, dass der Kaiser aufgrund seiner katholischen Überzeugungen die Juden nicht der Willkür der Zeit und seinen lutherischen Gegnern aussetzen wollte.
(Avraham Siluk)
[1] Stern, S. 61f.
[2] Es handelt sich um Antonius Margarithas „Der gantz Jüdisch glaub“
[3] Der Versuch, Christen ins Judentum überzuführen.
[4] Stern, S. 91.
[5] Zit. Nach Battenberg, 161f.
[6] Das Gesetz aus diesem Jahr verbot den Juden den Handel mit Schuldscheinen christlicher Schuldner.
Literatur:
Battenberg, Friedrich, Die Privilegierung von Juden und der Judenschaft im Bereich des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, in: Das Privileg im europäischen Vergleich, Bd. 1, hg. v. Barbara Dölemeyer und Heinz Mohnhaupt (Ius Commune, Sonderhefte 93), Frankfurt (M) 1997, S. 139-190.
Feilchenfeld, Ludwig, Rabbi Josel von Rosheim. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland im Reformationszeitalter, Straßburg 1898
Stern, Selma, Josel von Rosheim. Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, Stuttgart 1959.
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