12. Die Hepp-Hepp Unruhen 1819: Die Schattenseite der Judenemanzipation
Während der politischen Umwälzungen der Napoleonischen Kriege hatten die Juden in den unter französischem Einfluss stehenden Gebieten weitestgehend die rechtliche Gleichstellung mit der christlichen Bevölkerungsmehrheit erhalten. Nach der Niederlage Napoleons und der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1815, die mit einer teilweisen Restaurierung vorrevolutionärer Herrschaftsverhältnisse einherging, nahmen viele Herrscher die volle rechtliche Emanzipation der Juden zurück. Juden waren fortan zwar prinzipiell anderen Bevölkerungsgruppen gleichgestellt, wie etwa die kurhessische Verordnung vom 14. Mai 1816 in § 1 festsetzt, sahen sich aber erneut bestimmten rechtlichen Beschränkungen ausgesetzt.
Von einer Rückkehr zu den repressiven Judenordnungen des 18. Jahrhunderts und dem Konzept des „Schutzjudens“ kann allerdings trotz mancher rechtlicher Repression nicht die Rede sein. Mit der Einführung von Verfassungen in zahlreichen Teilstaaten des Deutschen Bundes und dem damit verbundenen rechtlichen Übergang vom Schutzjuden zum jüdischen Vollbürger behielten die Juden Freiheiten und Rechte, die ihnen während der Revolutionszeit zugestanden wurden. So wurden etwa viele Niederlassungsverbote in Städten aufgehoben. Viele Juden konnten davon ökonomisch profitieren und sozial aufsteigen.
Gegen diese Entwicklung entstand im Laufe der Zeit unter Studenten und Angehörigen der Mittelschicht Süd- und Mitteldeutschlands eine Protesthaltung, die sich 1819 in vielen Städten in gewaltsame antijüdische Ausschreitungen entlud. Tiefer liegende Gründe waren die Unzufriedenheit über die sozioökonomischen Veränderungen der Zeit und über die aufkommende jüdische Geschäftskonkurrenz sowie festsitzende antijudaische Vorurteile gegen die Juden. Da die Initiatoren und Teilnehmer dieser Ausschreitungen vielerorts den Hetzruf „hepp hepp“ verwendeten, gingen diese Unruhen als Hepp-Hepp-Krawalle in die Geschichte ein. Die staatlichen Stellen versuchten die Krawalle zu unterbinden, setzten das Militär ein, das zeitweise in jüdischen Wohngegenden patrouillierte, und leiteten Untersuchungen gegen die Initiatoren und Teilnehmer der Krawalle ein (siehe dazu das Vorgehen der kurfürstlichen Regierung gegen den Studenten Valentin Heyn, vermutlich Verfasser eines antijüdischen Flugblattes, in den Dokumenten 9-13). Die Krawalle breiteten sich jedoch sehr rasch von Würzburg ausgehend über Bamberg, Bayreuth nach Mannheim, Frankfurt, Fulda und Marburg bis nach Hamburg aus und verliefen in den verschiedenen Orten nach ähnlichen Mustern: Meist wurden anonyme Flugblätter verteilt, die zur Vertreibung der Juden aus der jeweiligen Stadt aufriefen. Häufig versammelte sich spontan eine Gruppe von aufgebrachten Menschen vor jüdischen Häusern und Geschäften und zerstörte Fensterscheiben. Teilweise wurde auch jüdischen Passanten Gewalt angetan. Die Ausschreitungen waren immer von dem genannten Hepp-Hepp-Hetzruf begleitet, dessen Bedeutung auf mehrere Weisen erklärt werden kann: als Akronym für die Namen der größten biblischen Judenfeinde: Haman, Esau und Pharao; als Akronym für „hierosolyma est perdita“ (Jerusalem ist verloren; eigentl. „sunt perdita“), ein Schlagwort aus den Kreuzzügen (die Juden haben angeblich mancherorts mit „jepjep“ geantwortet: „jesus est perdita“); „Hepp“ als Aufforderung zum Springen, Davonlaufen, vor allem im Umgang mit Tieren, oder als lautmalerische Umschreibung für das Meckern von Ziegen.
Die im Folgenden ausgestellten Dokumente befassen sich mit den Hepp-Hepp-Unruhen in Hessen, vor allem in der Stadt Fulda, in der Mitte August 1819 antijüdische Ausschreitungen ausbrachen. Wie in vielen Dokumenten deutlich wird – unter anderem an einem anonymen Circular an die Bürger Fuldas – betrachteten die anonymen Initiatoren der gewaltsamen Proteste die Krawalle in Würzburg als Fanal für die Vertreibung der Juden aus den Städten. Dass sich die Krawalle in Windeseile von Würzburg nach Fulda und in andere deutsche Städte verbreiteten und dort auf viel Zustimmung und Bereitschaft zur Nachahmung stießen, lässt auf ein allgemeine wirtschaftliche Unzufriedenheit und eine weit verbreitete Judenfeindlichkeit in weiten Teilen Deutschlands schließen. Dass allerdings die staatlichen Behörden die Gewalt gegen Juden nicht unterstützten, sondern im Gegenteil zu verhindern versuchten, zeigen die Protokolle der Fuldaer Polizei. So lässt sich an den verschiedenen Berichten des Fuldaer Polizeidirektors an den Kurfürsten nicht nur im Detail nachvollziehen, welche Form und Verlauf die antijüdischen Proteste in Fulda annahmen und welche Bevölkerungsgruppen sich daran beteiligten. Auch der Versuch der Polizei und des Militärs, die Krawalle einzudämmen und zu beenden, ist dort genau dokumentiert.
Dass die Hepp-Hepp-Unruhen weit reichende Folgen nicht nur für die Sicherheit der Juden selbst, sondern auch für das reibungslose Funktonieren der Wirtschaft im Allgemeinen hatten, zeigen zwei Berichte der Zeitung „Der Korrespondent“ vom 11. September 1819. Dort wird deutlich, dass viele jüdische Händler die Reise zur Messe in das von Hepp-Hepp-Krawallen heimgesuchte Frankfurt scheuten – aus Angst vor gewaltsamen Übergriffen. Der Erfolg der Messe wurde dadurch geschmälert.
Sebastian Haus
Literatur:
Erb, Rainer/Bergmann, Werner: Die Nachtseite der Judenemanzipation. Der Widerstand gegen die Integration der Juden in Deutschland 1780-1860, Berlin 1989.
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