Einführung
Nach dem Sieg über Napoleon bei Leipzig 1813 und dem Ende des Königreichs Westphalen kehrte der Kurfürst Wilhelm I. aus seinem Exil in Prag nach Kassel zurück [Dokument 1]. Er wurde von seinen Untertanen mit Begeisterung empfangen, die zwar die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Gewerbefreiheit und andere Rechte des "Côde Napoléon" durchaus begrüßt hatten, aber die Zeit unter Jérôme Napoléon doch als Fremdherrschaft empfunden hatten. Umso größer war ihre Hoffnung auf eine weise Regierung ihres angestammten Herrschers [Dokument 2, 3].
Zwar ließ der Kurfürst 1816 im Sinne der Wiener Bundesakte eine Landständische Verfassung ausarbeiten; als jedoch die Vertreter, besonders die der hessischen Adeligen, die Paragraphen diskutieren wollten, zog der Kurfürst die schon gedruckte Verfassung zurück und unterband von da an jede Mitsprache der Untertanen. Mit den Aktivitäten der Burschenschaften und dem Mord an dem Dichter August von Kotzebue nahm seine Angst vor einem Umsturz zu, und er befahl eine unauffällige Beobachtung seiner Universität in Marburg [Dokument 4].
Die Karlsbader Beschlüsse [Dokument 5] paßten in sein Regierungskonzept, und die Censur-Commission griff von nun an bis Anfang 1848 energisch durch: Nicht nur die Universität wurde überwacht, auch alle Druckereien, Leihbibliotheken, Buchhandlungen und die Poststellen mit den Listen der Bezieher ausländischer Schriften und Zeitungen [Dokument 6, 7].
Da sich mit den Ereignissen aufgrund der Französischen Revolution von 1830 viele Männer und Frauen öffentlich für eine Änderung der spätabsolutistischen Verhältnisse im Kurstaat einsetzten und sogar eine Landständische Verfassung [Dokument 8] gewährt wurde, verfügte die Regierung über eine Fülle von Namen, so daß von 1833 an die Beschattung dieser Personen fast flächendeckend gelang. Besonders nach dem Sturm auf die Frankfurter Hauptwache (1833) setzte eine Verfolgung der Beteiligten und der unter dem Verdacht der Mitwisserschaft stehenden Personen ein [Dokument 9, 10, 11]. Die Steckbriefe [Dokument 12] und Prozeßunterlagen zeugen von dieser Herrschaft der politischen Polizei. Trotzdem gelang es einigen Mutigen, im Keller der Buchhandlung Elwert in Marburg die zweite Auflage des Hessischen Landboten zu drucken [Dokument 13, 14].
Parallel zu der politischen Unzufriedenheit [Dokument 15] gab es im nördlichen Hessen eine Unzufriedenheit aus sozialer Not, die in den vierziger Jahren durch die Kartoffelkrankheit dramatische Formen annahm [Dokument 16, 17, 18, 19]. Zwar erhofften sich die Regierungsbeamten wie die "arbeitende Classe" eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch den Eisenbahnbau [Dokument 20, 21], doch die im Akkord zu vergebenden Erdarbeiten erhielten meist ausländische Firmen, die erfahrene Arbeiter mitbrachten [Dokument 22]. Die Saisonarbeit der sogenannten Westfalengänger und die Auswanderung besonders nach den USA lösten die Probleme kaum [Dokument 23].
Durch die Gründung des Vereine für hessische Geschichte und Landeskunde im Jahre 1834, zahlreicher Turn-, Gesangs- und Lesevereine und durch Sängerfeste [Dokument 24], die die engen kleinstaatlichen Grenzen sprengen sollten, wurde das Gefühl für die nationale Vergangenheit und der Gedanke an die deutsche Einheit gestärkt.
Die revolutionären Ereignisse im Zusammenhang mit der Nachricht von der Februarrevolution von 1848 in Frankreich bewirkten im Kurfürstentum einen wahren Freiheitstaumel. Für zwei Jahre gab es eine Presse- und Versammlungsfreiheit, die zu einer Fülle von Plakaten [Dokument 25, 26, 27, 28], Resolutionen [Dokument 29], Parteiprogrammen [Dokument 30, 31] und Zeitschriften [Dokument 32] und zur Gründung von Zeitungen führten. Das reaktionäre Regime des Kurfürsten brach vorübergehend zusammen, und der Regent sah sich gezwungen, "Märzminister" zu akzeptieren und den Märzforderungen der Revolutionäre nachzugeben. Die kurhessische Verfassung von 1831 wurde mit Leben erfüllt und in parlamentarischem Sinne ergänzt. Die Auseinandersetzungen zwischen den Abgeordneten der Paulskirche über die Zentralgewalt (Monarchie oder Republik) und über "kleindeutsch" (Preußen) oder "großdeutsch" (Österreich) spiegeln sich in den Aufsätzen und Pamphleten wider.
Nach der Niederschlagung der Revolution [Dokument 33, 34], der Auflösung der Nationalversammlung und dem Zusammentritt der "unbotmäßigen" Abgeordneten im Rumpfparlament in Stuttgart ließ der wiederberufene Minister Hassenpflug die alten Zustände der Vormärzzeit wieder aufleben [Dokument 35] und ordnete eine Festnahme der in Stuttgart beteiligten kurhessischen Abgeordneten an.
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