6. Ausblicke auf die Entwicklung Westphalens nach Abzug der Franzosen, gezeigt am Beispiel Hessens
Im Zuge der alles entscheidenden Leipziger Völkerschlacht (16. bis 19. Oktober 1813) hatte sich Jérôme am 26. Oktober aus Kassel, wo die Stimmung mittlerweile auch umgeschlagen war, [1] standesgemäß mit einem Hofball verabschiedet.
(…) [2]
Als der König endgültig abgezogen war, suchten auch seine nächsten Untergebenen schleunigst das Weite. Ihre Flucht wurde begleitet von Verwünschungen und Spottgedichten. Besonders gut ist man über die Ereignisse in Marburg unterrichtet. „Der General-Commissär der hohen Polizey, Wolf, belastet mit den Verwünschungen der Stadt und des Landes, fand für gut zu flüchten.“ notierte Wilhelm Münscher lapidar in seiner Chronik unter dem 27. Oktober.
Auch der Präfekt fürchtete den Volkszorn, den er auch noch am eigenen Leibe zu spüren bekam:
„Der Präfekt von Trott, aus besorgniß wegen seiner gegen Czernischef [3] herausgegebenen Proclamation… reiste in der Nacht ab, wurde aber von einigen Metzgern, welche Forderungen an die Regierung hatten, beobachtet, angehalten und beleidigt, und nur mit Mühe gelang es ihm, sich loszumachen.“
(…) [4]
Nicht lange nach der Flucht Jérômes kündigten Proklamationen die Rückkehr des alten hessischen Adels an, der seine Ankunft zugleich mit Kampfaufrufen gegen die französischen Besatzer verband [Dokumente 1, 2]. Nach den Beobachtungen von Muras scheint es so, als wenn ein Großteil der westphälischen Bevölkerungsschichten den Sturz der Regierung begrüßt hätten. Gründe dafür scheinen zum einen die als Schmach empfundene Fremdherrschaft, zum anderen aber auch die hohen Abgaben und die desolate Finanzlage des Königreichs Westphalens gewesen sein.
Die Rückkehr des Kurfürsten Wilhelm I. [Dokument 3] und seines Sohnes Wilhem II. [Dokument 4]wurde von seinen Untertanen auf das Sehnlichste erwartet. Als der Kurfürst am 25. November in Marburg einzog, sollen ihm begeisterte Bürger sogar die Pferde aus der Kutsche gespannt und ihn persönlich in die Stadt gezogen haben. Doch sollte den Hessen die Freude über diese Rückkehr bald vergehen. Wilhelm I. handelte und dachte äußerst konservativ, wie man es auch an dem Kurhessischen Haus- und Staats- Gesetz, vom 4. März 1817 erkennen kann [Dokument 5]. Alles sollte wieder auf den Zustand von 1806 zurück gestellt werden. Alte Standesprivilegien lebten wieder auf und die rechtliche Gleichstellung wurde zurückgenommen. Man unterwarf sich erneut der absoluten Herrschaft des Kurfürsten. Der Modellstaat Westphalen war an dem Konservatismus und dem Patriotismus der Bevölkerung gescheitert. Die Westphälische Regierung fand, trotz der eingeführten Bildungsreformen und der verbesserten Berufsmöglichkeiten für alle Stände, vor allem in der Landbevölkerung wenig Zustimmung. Die hohen Steuerlasten und nicht konsequent umgesetzte Reformen machte sie bei den Bauern unbeliebt und unglaubwürdig. Gerade jene, die am wenigsten zu verlieren hatten und aus den Reformen den meisten Nutzen zogen, konnten nicht für das System gewonnen werden. Ganz allerdings war der Geist der „neuen Zeit“ nicht mehr auszulöschen. In den bürgerlichen Kreisen erwartete man liberale Reformen, die schließlich in der Kurhessischen Verfassung von 1831 mündeten [Dokument 6]. [5]
[1] | Die Kosaken standen zu diesem Zeitpunkt bereits vor den Toren der Stadt. |
[2] | Vgl. U. Muras: Reaktionen auf die napoleonische Herrschaft im Werra-Department des Königreichs Westfalen 1807-1813, (Magisterarbeit) Marburg 1992, S. 116 f. |
[3] | Czernischef ist ein Kommandant der Kosaken. |
[4] | U. Muras: Reaktionen auf die napoleonische Herrschaft im Werra-Department des Königreichs Westfalen 1807-1813, (Magisterarbeit) Marburg 1992, S. 116 f. |
[5] | Vgl. U. Muras: Reaktionen auf die napoleonische Herrschaft im Werra-Department des Königreichs Westfalen 1807-1813, (Magisterarbeit) Marburg 1992, S. 118 f. |
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