2. Die Westphälische Verfassung
Schon in dem Friedensvertrag von Tilsit wurde im Art. 19 (des Vertrags zwischen Russland und Frankreich) der Wunsch Napoleons: „dem Königreiche Westphalen eine Grundverfassung zu geben, welche das Glück seiner Völker sichere (…)“. festgehalten. [1] Das Königreich Westphalen soll nach Napoleons Plan ein Modellprojekt werden, mit dem er die Völker Deutschlands für seine Sache zu gewinnen hofft. Der Kaiser ist überzeugt, dass die deutschen Völker sich bereits ungeduldig nach liberalen Reformen wie dem Code Napoleon, rechtlicher Gleichheit und der Abschaffung der Leibeigenschaft [Dokument 7] sehnen. Daher sollen sie, durch den Genuss von Freiheit, Gleichheit und Wohlstand, an das Französische Kaiserreich gebunden werden. So wird schließlich am 7. Dezember 1807 auf Befehl Napoleons durch Jérôme ein königliches Dekret erlassen, welches einen Verfassungstext für das Königreich Westphalen veröffentlichte [Dokumente 2.0, 2.1, 3].
Durch die Verfassung wird Westphalen zur konstitutionellen Monarchie mit Jérôme als König an der Spitze, der seine Regierung auf vier Ministerien, einen Staatsrat [Dokument 4] und die Reichstände stützt. Erstmalig wird in einem deutschen Staat die Ständeverfassung aufgehoben, erstmalig werden einheitliche Maße, Gewichte und Münzen [Dokument 5] und die Gewerbefreiheit eingeführt. Erstmals haben alle Bürger die Möglichkeit als erwähltes Mitglied der Reichstände die eigenen Interessen zu vertreten und an der Staatspolitik teilzuhaben [Dokumente 9, 10]. Erstmals wird der Kleinstaaten- Flickenteppich der Deutschen durchbrochen und eine einheitliche zentrale Regierung eingeführt. Vorallem rechtlich bildete die Verfassung Westphalens einen Neuanfang. Nie zuvor wurden dem einfachen Bürger eines deutschen Staates so weitreichende Rechte zugestanden, wie durch diese Verfassung. Sie verprach unter anderem die völlige Aufhebung von Adelsprivilegien [Dokument 6], freie Eigentumsrechte, sowie öffentliche, vom Staat unabhängige Gerichte.
Die wirklich erfolgte Umsetzung der westphälischen Verfassung ist dann allerdings nicht nur vorbehaltlos positiv zu bewerten. Die Realität ist wie so oft nicht so rosig, wie es das Papier verspricht. Arthur Kleinschmidt urteilt: „So lange Westfalen bestand, war es ein stiefväterlich behandeltes Departement des ungeheuren Kaiserreiches ohne die mindeste Selbstständigkeit, Jérôme ein Roi-Préfet, ein König in partibus, auf dem Napoleon wie ein Verhängnis lastete und dem er eine Verfassung oktrohierte, mit der zu regieren unmöglich war, die ihn lediglich zum Sklaven des Kaisers stempelte.“ [2] Er spielt dabei unter anderem auf den Artikel 7 der Verfassung an, durch den Jérôme, obwohl deutscher König, der französisch kaiserlichen Familie Napoléons unterstellet wird.
Auch war die Mitgliedschaft in den Reichständen längst nicht allen Bürgern gleicher Art zugänglich wie die Verfassung es verspricht, da die politische Betätigung unbezahlt blieb und daher nur reichen Bürgern möglich war, die finanzielle Einbußen verkraften konnten. Auch in vielen Departements blieben die hohen Ämter vom Adel und von wenigen reichen Bürgern besetzt.
Des Weiteren wurden die Reichstände, denen offiziell die Absegnung und Einführung der neuen Staatsgesetze anvertraut waren, im gesamten Bestehen des Königreiches nur zweimal einberufen. All dies zeigt, dass Realität und Modell weit voneinander abwichen.
Dennoch ist die Westphälische Verfassung, immerhin die erste schriftliche Staatsverfassung auf deutschem Boden, schon ein sehr fortschrittliches Werk, wenn man sie mit den absolutistischen Herrschaftsformen der anderen deutschen Staaten vergleicht. Allein ihre Existenz ist für sich schon etwas Besonderes.
[1] A. Kleinschmidt: Geschichte des Königreichs Westphalen, Gotha 1893, S.15.
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