44. 180 Wolfhagen 2312: Jüdische Gewerbebetriebe sowie Beschlagnahmung jüdischen Eigentums, Plünderungen im Zuge der Judenpogrome des Jahres 1938, 1934-1938
Die in diesem Ausstellungsraum enthaltenen Dokumente stammen aus der Landratsamtsakte 180 Wolfhagen 2312: Überwachung der Juden und ihrer Gewerbebetriebe sowie Beschlagnahmung jüdischen Eigentums, Untersuchungen über die Plünderungen im Zuge der Judenpogrome des Jahres 1938, 1934-1938. Die Akte enthält Schriften aus der Zeit von 1934 bis 1938 (1939), welche Dokumente zur Judenverfolgung im Allgemeinen und den Plünderungen im Rahmen der Reichspogromnacht enthält. Anhand einiger ausgewählter Dokumente sollen diese Themenbereiche exemplarisch dargestellt werden.
So berichtet ein Schreiben des Reichswirtschaftsministers von Dezember 1934 von geplanten Boykott-Aktionen gegen jüdische Geschäfte zu Weihnachten (Dokument 2). Darin heißt es, diese Aktionen gingen nicht überein mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Beamtentums“ und seien aufgrund ihres Wirtschaftschädigenden Charakters nicht zulässig. Die Angst vor einer ausländischen Kritik der deutschen antijüdischen Politik spiegelt sich in den Bestimmungen zur Aufstellung antisemitischer Schilder und Tafeln wider. Die Staatspolizeistelle Kassel warnt so im Jahr 1936 vor einer Aufstellung von provokativen Tafeln besonders mit Hinblick auf der in dem Jahr stattfindenden Olympiade (Dokument 9).
Mit dem Erlass der Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 und den Reichsbürgergesetzen vom 14.November 1935 erreichte die Diskriminierung der Juden einen neuen Höhepunkt, was sich anhand dieser Akte auch auf Bezirksebene dokumentieren lässt. So berichtet die Staatspolizeistelle Kassel am 27.09.1935 von dem Verbot des außerehelichen Verkehrs zwischen Juden und deutschen Staatsangehörigen (Dokument 4). Ebenfalls von der Staatspolizeistelle Kassel stammt ein Schreiben vom Juni 1937, wonach die Mitgliedschaft im Paulus-Bund fortan nur noch „Mischlingen ersten und zweiten Grades“ erlaubt sei (Dokument 13).
Die Hetzkampagne gegen die Juden gipfelte im Jahre 1938 mit der Reichspogromnacht. Die in dieser Akte enthaltenen Dokumente lassen unter anderem erkennen, welche Schritte nach diesem Gewaltakt gegen die jüdische Bevölkerung unternommen wurde. So verfügt zum Beispiel die Gestapo Kassel am 19.11.1938, dass Plünderer festzunehmen und dem Haftrichter vorzuführen sind (Dokument 17). Das Beispiel der Jüdin Rosa Hiersteiner aus Wolfhagen veranschaulicht die dramatischen Auswirkungen dieser Plünderungen auf einzelne Personen (Dokument 21.3).
Aus dem Jahr 1939 stammt eine Verfügung des Beauftragten für den Vierjahresplan Hermann Göring, wonach die jüdischen Bürger gezwungen wurden, Gold, Juwelen, Platin und Perlen dem Staat zum "Ankauf anzubieten", weshalb eine Zentralstelle für den Ankauf und die Verwertung von Juwelen und Edelmetallen gegründet wurde. Deren Ziel war es, "die aus Judenbesitz stammenden Juwelen und Gegenstände aus Gold, Platin und Silber zu erfassen und durch deren Verwertung zur Beschaffung der für staatspolitische und kriegswichtige Aufgaben notwendigen Devisen und Goldreserven beizutragen" [1]. Auf die Verordnung Görings wird auch in dieser Akte eingegangen und die jeweiligen Bestimmungen festgehalten (Dokument 25).
Weiterhin gewährt diese Akte teilweise Einblick in die Zwangsausweisung der Juden aus dem deutschen Reich. Das Dokument zum Transport jüdischer Kinder ins europäische Ausland von 1938 beweist, dass die „Auswanderung“ keineswegs immer freiwillig gewesen ist und von oberster Stelle gelenkt wurden (Dokument 19). Darüber hinaus ist dieses Dokument ein Hinweis darauf, dass nach der Reichspogromnacht und nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland die Gestapo immer brutaler bei dem Versuch vorging, Juden zum Auswandern zu bewegen. Aus "mittelbarem Zwang" wurde somit "Anwendung unmittelbarer Gewalt" [2]. Aus diesem Dokument geht auch hervor, dass England gerade nach der Reichspogromnacht viele Juden, darunter ganz besonders die Kinder, im Land aufnahm und dadurch tausenden das Leben retten konnte [3].
Bearbeitet von Anne Lammers
[1] Benz, Wolfgang (Hg.), Die Juden in Deutschland 1933-1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft, München 1988, S. 277.
[2] Kropart, Wolf-Arno, Kristallnacht in Hessen. Der Judenpogrom vom November 1938, Wiesbaden 1988, S.18.
[3] Benz, Wolfgang, Der Holocaust, München 1995, S. 32.
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