6. Allgemeine deutsche Burschenschaft. (§ 6)
§. 6.
Daß die seither erwähnten Ereignisse und Umtriebe auch auf die Stimmung eines großen Theils der akademischen Jugend bedeutenden Einfluß übten, kann um so weniger befremden, als zu der Zeit, in welcher jene Macht hatten, die streng verbotene Burschenschaft auf den meisten deutschen Universitäten wieder aufgelebt war, und eifriger je ihr Wesen trieb, - eine Erscheinung, welche von der Pflicht Erfüllung der dortigen akademischen Aufsichts Behörden unvortheilhaftes Zeugniß giebt. Die ersten aktenmäßigen Spuren der Erneuerung dieser allgemeinen politischen Studentenverbindung zeigen sich schon im Herbst 1827, wo die Burschenschaften in Erlangen, Würzburg, Jena und Leipzig zusammen in ein Cartel traten, welcher sich nach und nach auf die Universitäten München, Tübingen, Halle, Bonn, Gießen, Marburg, Kiel und Heidelberg erstreckte, von welcher übrigens später mehrere aus dem allgemeinen Verbande wieder austraten, während die auch aus den Universitäten Breslau, Greifswalde, Freiburg und Rostock bestandenen burschenschaftlichen Vereine so wie bekannt, niemals in dem gedachten Verbande standen. Jene Verbindung der einzelnen Burschenschaften bildete fortan, wie früher, die allgemeine deutsche Burschenschaft, welche eine eigene Constitution hatte, mit der die Statuten jener Lokal-Vereine im Wesentlichen übereinstimmen mussten. Sie wurde repräsentiert durch die sei: Burschentage, d.h. durch periodische Versam[m]lungen, welche von Abgeordneten der einzelnen Burschenschaften zu Berathung und Entscheidung burschenschaftlicher Angelegenheiten gehalten wurden und deren Beschlüsse für die Spezial-Burschenschaft, sofern diese in dem allgemeinen Verband bleiben wollten, verbindende Kraft hatten. In der Zwischenzeit, von einem Burschentage zum andern, besorgte eine hinzu erwählte geschäftsführende Burschenschaft die gemeinsamen Angelegenheiten der Verbindung. Die einzelnen Burschenschaften theilten sich gewöhnlich in einen engeren und einen weiteren Verein, von welcher jener die Vorsteher und die in das politische Treiben tiefer eingeweihten Mitglieder enthielt, welche allein um die auswärtige Correspondenz wissen durften. Als eine Pflanzschule für den weiteren Verein waren die sogenan[n]ten Commentbursche oder Kneipfreunde zu betrachten, nämlich Studenten, welche das Gesellschafts Lokal regekmäßig zu besuchen pflegten und vor der wirklichen Aufnahme in die Verbindung eine Art von Probezeit zu bestehen hatten. Der Sinn der Mitglieder für Politik wurde geweckt und genährt durch die sog: Kränzchen, welche aus kleinen Abtheilungen unter einem Führer bestanden und in denen regelmäßig staatsrechtliche Gegenstände besprochen und politische Schriften gelesen wurden, zu welchen Behufe jede Burschenschaft eine kleine Bibliothek besaß, die, wie sich bei der Untersuchung ergab, gewöhnlich die verderblichsten revolutionäre Schriften enthielt. Den Zweck der allgemeinen Burschenschaft bezeichneten ihre Statuten bis zum Herbst 1831 mit den Worten: „Vorbereitung zur Herbeiführung eines in Freiheit und Staats-Einheit geregelten Volkslebens im „deutschen Vaterlande mittelß sitt„licher Ausbildung.“ – Für diesen Zweck sollten ihre Mitglieder, wie viele derselben ausdrücklich angegeben haben, nicht nur während ihrer Studienzeit, sondern ihr ganzes Leben lang „durch Wort und That“ zu wirken suchen. Unter der Verpflichtung zur „That“ verstanden schon damals Mehrere, selbst eine Theilnahme an ausbrechenden Revolutionen, wogegen Andere sich auf geistige Mittel beschränken wollten. Diese Meinungverschiedenheit veranlaßten in einigen Burschenschaften, namentlich zu Erlangen, Jena und Halle, eine Spaltung der Mitglieder in zwey besondere Verbindungen, von welchen sich die eine, die zu einer entschieden revolutionären Standung sinnigte, Germania, die andere aber Arminia nannte, die letztere, deren Wesen von den Germanen als deutschthümlich pietistisch verspottet und befehdet wurde, konnte sich jedoch nicht lange behaupten, zumal die, ausschließlich von Germanen beschickten, Burschentage sich gegen sie erklärten. Unter dem Einflusse der Zeit-Ereignisse bildete sich die gewaltige politische Standung der Burschenschaft bald weiter aus, und wir haben schon am 29ten Juli 1831 die burschenschaftliche Parthey in Heidelberg den Jahrestag der französischen Revolution mit Festen feyern, während die Germanen in Müchen, ganz gegen die Sitte anderer Studentenvereine, sich mit „liberalen“ Bürgern in Verbindung setzten und Journalisten, wie Doctor Liebenpfeiffer, Pistor und Eisenmann, sowie Mitglieder der ständischen Opposition, wie von Clasen, Schwindel und Kullmann, an ihren Festen und Gelagen Theil nehmen ließen. Durch die Beschlüsse der von den Burschenschaften der Universität München, Erlangen, Würzburg, Jena, Marburg, Gießen, Tübingen, Leibzig und Kiel beschickten Burschentags in Frankfurt (Ende September 1831) wurde jene gefährliche Richtung förmlich funktioniert, und der Zweck der allgemeinen Burschenschaft dahin abgeändert, daß solcher nicht mehr in einer bloßen Verbreitung zur Herbeiführung einer in Freiheit und Staatseinheit geregelten Volkslebens, sondern in der Herbeiführung einer solchen selbst bestehen solle, worauf nun die Burschenschaften von „freisinnigen“ Bestrebungen thätigen deutlich nehmen und revolutionären Bewegungen, sofern solche mit dem vorerwähnten Zweck im Einklang stünden, sich anschließen sollten. Diese Beschlüsse erklären den Eifer und das Interesse, mit welchen die Burschenschaft von da an, den Bewegungen und Umtrieben der deutschen Revolutionsparthei folgte, ihren lauten Entschlus eines für die durchziehenden politischen Insurgenten die allgemeinen Theil, welche der wirth`sche Preßverein auf den meisten Universitäten fand, den zahlreichen Besuch der aber erwähnten Volksversammlungen von Studenten, von welchen Einzelnen selbst aufregende Reden hielten, sowie die Lieferung von Aufsetzen für revolutionäre Zeitschriften, wie z.B. den „Westboten,“ den Wärhter am Rhein“ und den „Schwarzwälder“, endlief das auffallende Bestreben der Burschenschafter, sich gleichgesinnten Bürgern anzuschließen und mit den selben gemeinschaftlicher Sache zu machen, was die Münchner Burschenschaft im Sommer 1832. sogar veranlasste, der damals geschäftsführenden Burschenschaft in Tübingen den /: nicht genehmigten :/ Vorschlag zu machen, den bisherigen formellen Bestand der Burschenschaft aufzulösen und als „ Pfilister“ mit den Bürgern zusammenzuleben. Nach tieferen Blicke in die damals unter der Burschenschaft herschenden Aufregung gestatten die von einigen ihrer ausgezeichnetsten Mitglieder an vertraute Freunde geschriebenen Briefe, aus welchen erfullt, wie sehr die Ideen nicht nur von Revolution, sondern selbst von Fürstenmord sich der jungen Gemüther bemächtigt hatten, und wie sehr in diesem politischen Taumel des wissenschaftliche Studium vernachlässigt wurde. So heißt es in einem, ohne Zweifel nun dem Burschenschafter August Ludwig Rochau aus Wolfenbüttel *.) an seinen Freund Dr. Rüder in Eutin geschriebenen Briefe ddv Jena den 6ten Februar 1832: „Die Wirkung, welche der Durchzug der Polen auf die deutschen Gemüther gemacht, ist ungeheuer; sie wir gewiß nicht so schnell wieder verschwinden. Sie zu erhalten und zu steigern, haben wir Zeit bis zu Ende Juni, dann
*.) Rochau war Vorsteher der Burschenschaft zu Jena und Abgeordneter der selben bei dem Burschentag in Frankfuhrt. Später nahm er an der Meuterei vom 3s April 1833 .. selbst Theil. Nachdem er auf der Flucht von da zu Darmstadt verhaftet worden, schoß er sich mit einer Terzerole in den Mund und versuchte mit einem Jagdmesser sich die Pulsader abzuschneiden, beides jedoch ohne den beabsichtigten Erfolg.
„ aber muss unter jeder Bedingung etwas Entscheidenes geschehen. Bleibt das Unternehmen bis dahin ohne kräftige äußere Stütze; so ist Thüringen der beste Grund auf welchem das Feuer angefacht werden kann. Bedenke die moralische Wirkung, welche sechs oder sieben Entthronungen, ohne große Mühe und Gefahr abgemacht, hervor bringen müssten. Und wenn dann zugleich drei oder vier Messer in Bewegung gesetzt würden? Ueberhaupt fange ich an, wieder einiges Zutrauen zu dieser letzeren Theorie zu fassen, und ich weiß Beute, welche die praktische Anwendung der selben nicht scheuen“ Der selbe Rochau schrieb am 7ten August 1832 aus Wolfenbüttel: „Die Heidelberger arbeiten weiter, nur leider zu weilen etwas unvorsichtig; zwey von ihnen, Brüggemann und Köhler, sitzen auf Hochverrath, doch steht ihrer Befreiung, sobald dieselbe dringend erscheinen wird, nichts im KlageMan lebt dort in dem schönstenHaftungstunnel und erwartet täglich die Sturmglocke und Lärmtrommel zu hören. – die Freiburger verkneipen Haabe und Gut, gleichsam in Erwartung des jüngsten Tages, der sie solcher Bedürfnisse überheben wird.“ Der Student Hermann von der Hude aus Lübeck meldete am 18s Juni 1832 von Heidelberg: „ Unsere Burschenschaft in Heidelberg ist als solche ausgezeichnet; bis auf den letzten Mann entschie den revolutionär gesinnt, kann sie zu jeder Zeit eine gute Freischar abgeben, wenn es zum Kloppen kommt…So interessant nun im Ganzen des politischen Treiben hier in Heidelberg sein mag, so ist es doch auf der anderen Seite zu störend, einst allein für die Studien, sondern über überhaupt für die persönliche Ruhe. Den ganzen Winter hindurch nämlich, bis auf den jetzigen Augenblick haben wir in der steten Erwartungen gelebt, es würde in Rheinbaiern losgehen; und zu dem Glauben kamen wir nicht etwa aus reiner Vermuthung, sondern durch Verbindungen, die wir in Rheinbaiern und namentlich mit den Journalisten. Ja einmal, im Winter war es schon so weit gekommen, daß wir ohne Ruhe des Nachts zu genießen, jeden Augenblick auf befehl zum Aufbruch harrten.“ Ein Brief des Studenten August Wichmann aus Rabenkirchen in Holstein dr= Jena den 25ten Juli1832 schildert die Stimmung der dortigen Burschenschaft nach der Publikation der Bundes- Beschlüsse vom 28n Juni 1892 folgendermaßen: „ Die neusten Bundestags-Beschlüsse erfüllten uns, wie Dich, mit Wuth; daher verbrannten wir sie des Abends auf dem Markte..*.) Hier wird nun das schönste Leben geführt. Da wir jeden Tag erwarten, daß es fortgeht; so ist die Wissenschaft an den Nagel gehängt, und unser künftiger Felddienst wird hinter den Bierbänken auf alle Weise ausgemalt .“ Um dieselbe Zeit ließ der nun flüchtige Heidelberger Burschenschafter Heinrich Köhler aus Itzehoe in Nr 101 des „Wächters am Rhein“ nachstehenden Artikel einreichen: „Alle Anatomen sind der Meinung, daß die Brust eines meineidigen Fürsten sich gar leicht durchbohren lässt; der Brustknochen, die Rippen, die Muskeln derselben sind ebenso beschaffen wie die anderer Menschen.
*.) Diese Angabe hat sich bestätigt. - Von der Heidelberger Burschenschaft wurde um dieselbe Zeit ein ähnlicher Frevel verübt.
„ Wenn man jegliches Rechtsverhältnis aufhebt, so muß man sich auf Gewalt gefasst machen. Es ist leider möglich, dass die Masse des deutschen Volkes dieser Gewalt nicht ausüben wird. Darauf kann man sich aber verlassen, daß es Tausende von deutschen Männern giebt , welche, entschieden in ihrer Gesinnung, zu jeglicher That entschlossen sind, welche eine Schmach der Art mit Blut abwaschen.“ Doch merkwürdiger ist eine unter den Papieren des Heidelberger Burschenschafters Brüggemann aus Höxter gefundener, unvollendeter Brief, welchen der selbe kurz vor seiner Verhaftung im Juni 1832 an die Vorsteher des Preß-Vereins in Zweibrücken als Antwort auf die von jenen durch einen Emissär (von Rauschenblatt) gestellten Fragen, /: verg. §. 4.:/ zu schreiben angefangen hatten, und worin sich nachstehende Stelle befindet: „ fünfund zwanzig bin dreißig junge Männer sind unbedingt bereit, für sich selbstständig irgend ein Wagstück auszuführen, sobald der Befehl dazu von den Männern ihres Vertrauens kommt. Zum Handeln in größerer Masse- bei förmlichen Ausbruche- sind aber wohl zwei bis dreihundert Theilnehmer, und dreißig bis vier zig Anfänger und Signalgeber zu garantieren. Zu Handlungen, die einer auf eigene Faust voll führen soll, dürfte auf acht Männer fest zu bauen sein. - Die Bürger von Heidelberg sind schlecht, doch sind einige reiche darunter, die bei etwaigen Gelegenheiten aus Feigheit ziemlich Ausrüstungssteuer geben würden, und zwar ohne Widerstand. Heidelberg wäre auf einen Tag unser mit allen Kassen, durch die Feigheit der Bürger länger aber könnten wir es schwerlich halten, wenn nicht das Militär anderswo in Schach gehalten wäre. Einige Bürger sind übrigens sehr für uns enthusiasiert, halten auf den benachbarten Dörfern Bauernversammlungen, warthen zu Bewaffnung und thun übzeugt alles, was drei bis vier von uns, denen sie ihr Vertrauen schenken, ihnen befehlen. – So Heidelberg im Allgemeinen.“- Bei einer solchen Stimmung ihrer Mitglieder kann es nicht befremden, wenn die Burschenschaft, welche überdieß auch noch von politischen Emissären, namentlich von den Göttinger Häftling Dr. v. Rauschenblatt und dem unbegirten Freiburger Studenten Wilhlem Obermüller aus Carlsruhe, bearbeitet wurde,- zuletzt in ein förmliches hochverräterisches Complott übergieng. Der Anstoß hiezu erfolgten, als die revolutionäre Plane der Männer sich der Ausführung näherten, von der Burschenschaft in Würzburg, welche mit dem WesterbundsVerein zu Frankfurt in Verbindung gestanden und von diesem veranlasst worden zu sein scheint, wiederholt auf die Einberufung eines Burschentags zu dringen, welcher auf endlich an Weihnachten 1832 in Stuttgart abgehalten ward. Auf diesem Stuttgarter Burschentage, welchem als Abgeordnete der einzelnen Burschenschaften von Tübingen Friederich Böhringer von Maulbrun, von Würzburg Adolph Wieslizennd aus Königssee, von Erlangen, Friedrich August Crämer von Kleinlangheim, von Münschen Friederich Ludwig Arnold aus Werenck, von Heidelberg Karl von Reitztenstein aus Celle und von Kiel Karl Justus Waldemar Müller aus Rensburg anwohnten, und auf dessen Berathungen auf der vorerwähnte Wilhelm Obermüller eingewirkt haben soll, wurde in der Hauptsache beschlossen: 1.)daß der Zweck der Burschenschaften von nun an die Erregung eine Revolution sein sollte, um durch diese die Einheit und Freiheit Deutschlands zu erringen; 2.) daß sich die Burschenschaft dem WesterlandsVerein anschließen, und 3.) daß die Heidelberger Burschenschaft /: wegen der Nähe von Frankfurt :/ die geschäftführende für das Jahr 1833 sein solle. Zugleich wurde, wie mehrere angaben, festgesetzt,: die einzelnen Burschenschaften sollten, über den beobachteten Volksgeist und über vorkommende merkwürdige politische Erscheinungen an die geschäftsführende Burschenschaft periodisch Bericht erstatten; ferner eine jede Burschenschaft könne sich künftig constituieren, in welcher Form sie wolle, wenn es nur in Uebereinstimmung mit den leitenden Grundsätzen und mit den Zwecken den allgemeinen Burschenschaft gestehe, die Burschenschaft solle sich auf den Landsmannschaften nähere, endlich soll eine Gemeinschrift durch Zeichen und Zahlen verabredet worden sein. Die Folgen dieser Beschlüsse, welch etztere auch von der Burschenschaft zu Jena angenommen wurden, werden weiter unter bey Erzählung des Frankfurter Attentats vom 3n April 1833 angegeben werden. Hier, wo zunächst, von der studierenden Jungend die Rede ist, ist nur noch zu erwähnen, daß selbst auf einigen Gymnasien und Lyzeen, wie zu Neubrandenburg, zu Strelitz, zu Münster, zu Görlitz, zu Altenburg, Coburg und Aschaffenburg sich Verbindung der Schüler mit politischer Richtung gezeigt haben.
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