8. Der frühneuzeitliche Wald in der Kartographie

Auszug aus: Wolff, Fritz, Der frühneuzeitliche Wald in der Kartographie, in: "Weil das Holz eine köstliche Wahre" - Wald und Forst zwischen Mittelater und Moderne, Hg. von Andreas Hedwig, Marburg 2006, S. 33-59.
Forstkarten sind ein unverzichtbares Arbeitsinstrument der modernen Forstwirtschaft. Bestandskarten, Betriebskarten, Waldzustandskarten, Wirtschaftskarten und andere Spezialkarten1 über Besitzverhältnisse und Nutzungen, das Forstwegenetz, Forstschäden usw. gehören wie die Betriebs- und Einrichtungswerke und ihre Vorläufer, die Exercitien- und Forstlagerbücher, zu den Grundlagen eines geregelten und auf Nachhaltigkeit abgestellten Forstbetriebs. Diese Vielfalt der Forstkartographie ist das Ergebnis einer längeren Entwicklung. Die systematische Vermessung der Forstflächen mit dem Ziel der Schaffung eines Forstkatasters und die damit verbundene Ausdifferenzierung der Forstkarten setzt in Kurhessen (Kassel) nach 1821 in Verbindung mit der allgemeinen Landesvermessung ein, im Großherzogtum (Darmstadt) einige Jahre später, ab 1825 unter J. H. Zamminer2. Ein frühes Beispiel für die Gesamtaufnahme der Waldfläche eines deutschen Territoriums bietet Württemberg mit dem von Andreas Kieser 1680 bis 1688 erarbeiteten Forstkartenwerk (280 Blatt im einheitlichen großen Maßstab 1:8.250)3; Hessen besitzt ein bescheideneres Gegenstück in dem Forst- und Jagdatlas des Landgrafen Ludwig VIII. von Hessen-Darmstadt aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, der unten unter Nr.12 näher beschrieben werden soll.
Lange bevor solche Gesamtaufnahmen in Angriff genommen wurden, schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, gab es Karten, auf denen der hessische Wald erscheint. Allerdings können sie kaum als Forstkarten im modernen Sinne angesprochen werden, obwohl sie manchmal so bezeichnet werden. Sie sind nicht zu Forstbetriebszwecken angefertigt worden, sondern aus ganz anderen Motiven. Hessen ist ein Land voller Wälder und gebirgig – so faßte Luther um 1540 den Eindruck zusammen, den er von seinen Reisen durch das Land mitgenommen hatte4, und so ist es fast unvermeidlich, daß auf jeder hessischen Karte ein Stück Wald größeren oder geringeren Umfangs erscheint, gleichgültig aus welchem Anlaß sie entstanden ist und welches Gebiet sie abbildet. Der Anlaß war im 16. Jahrhundert, als die deutschen Fürsten und ihre Beamten die Karte als nützliches und praktisches Informationsmittel entdeckten5, fast immer eine rechtliche Auseinandersetzung, bei der es um Grenz- und Besitzverhältnisse ging. Neben das Gerichtsprotokoll mit dem Zeugenverhör trat die Karte des streitigen Gebiets, gleichsam mit dem Anspruch „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Und in der Tat waren es oft bildhafte Darstellungen, die die Kartenmaler lieferten, Landschaftsbilder aus der Vogelschau oder aus einem noch flacheren Ansichtswinkel, gelegentlich bis fast zur Augenhöhe herab. Bei der Aufnahme von Waldungen bietet sich dann nicht nur die Ansicht von oben, sondern geradezu der Blick in den Wald hinein, bei dem sogar einzelne Bäume und Baumarten zu erkennen sind. Hinzu kommt, daß man bei größeren Aufgaben gern professionelle Malkünstler beschäftigt hat, oft solche aus der Frankfurter Malergilde6, und von diesen wurden Elemente der Landschaftsmalerei ins Kartenbild übernommen. Der heutige Betrachter solcher nach Format und Maltechnik mitunter schon gemäldeartig wirkenden Bilder wird fragen, ob man sie überhaupt noch als Karten bezeichnen kann – man kann es, wenn man die übliche Definition für „Landkarte“ – die verkleinerte, verebnete und vereinfachte Darstellung eines Teils der Erdoberfläche – darauf anwendet. Zur näheren Charakterisierung werden sie dann in der Fachterminologie als „Bildkarten“ oder als „Augenscheinkarten“ (nach ihrem Entstehungszweck bei der gerichtlichen Inaugenscheinnahme) bezeichnet.
Neben den Prozeß- und Streitkarten, der „forensischen Kartographie“, gibt es noch einen anderen Kartentyp, der für das Thema Wald wichtig ist. Ebenfalls schon im 16. Jahrhundert beginnt man in Hessen mit der Vermessung von Grundflächen zu reinen Verwaltungs- und Wirtschaftszwecken7, auch ohne aktuellen prozessualen Anlaß. Sie reicht von der Aufnahme von Einzelgrundstücken über die größerer Gebietsteile, von Amts- und Gerichtsbezirken, bis hin zu einer umfassenden Landesaufnahme, die schon Landgraf Philipp geplant hatte und die dann unter Landgraf Moritz durchgeführt, wenn auch nicht vollendet wurde. Auch diese „Landtafeln“, wie ein zeitgenössischer Ausdruck lautet, weisen insbesondere bei Karten größeren Maßstabs noch bildhafte Elemente auf, etwa bei den im Aufriß wiedergegebenen Ortsansichten oder bei der Darstellung von Bäumen und Buschwerk; wo aber ein größeres Gebiet aufgenommen wird und damit ein entsprechend kleinerer Maßstab angewendet werden muß, setzt sich eine immer stärkere Verflächung und schließlich die Grundrißzeichnung im Ansichtswinkel von 90° durch. Was vorher Bild war, wird nun zur Signatur verkürzt: Unterschiedlich gezeichnete Baumkronen verschwinden, sie werden für Laubhölzer durch einfache Kugeln oder Dreipässe, für Nadelhölzer durch das spitzwinkelige Dreieck ersetzt.Auf den Landtafeln ist der Umfang der bewaldeten Flächen durch die meist kräftige Grünfärbung leicht festzustellen, mitunter wird schon Laub- und Nadelwald unterschieden, und die Forstnamen sind mit großer Akribie, wenngleich häufig in einer verwilderten Orthographie wiedergegeben. Der Vergleich von Karten, die dasselbe Gebiet umfassen, aber zu unterschiedlichen Zeiten angefertigt wurden, vermag Aufschluß zu geben über Veränderungen in der Ausdehnung und im Bestand des Waldes. Legt man die TK 25, das moderne Meßtischblatt, daneben, so kann man Entwicklungen über mehrere Jahrhunderte verfolgen.
Wie der Wald auf frühneuzeitlichen Karten erscheint, soll im folgenden an einigen Beispielen, jeweils sechs Prozeßkarten und sechs Blätter der Landesaufnahme, gezeigt werden. Die hier präsentierte Auswahl veranschaulicht mögliche Fragestellungen und Aussagen zum Thema.
1. |
Eine zusammenfassende Darstellung der Entwicklung der forstlichen Kartographie gibt es bisher nicht. Das sonst nie versagende Lexikon zur Geschichte der Kartographie, bearb. von I. Kretschmer u. a., 2 Bde. Wien 1986, bringt nicht einmal das Stichwort Forstkarte. Auch die forstlichen Spezialbibliographien von R. Immel, Mainz 1958, und A. Henne, Hann. Münden 1999, weisen s. v. „Karte“ keine Titel zu diesem Thema nach. Die im 19. und 20. Jahrhundert gebräuchliche Terminologie findet sich am ehesten in den Anweisungen zur Ausführung der Betriebsregelungen bzw. zur Vorratsaufnahme, die periodisch als behördeninterne Drucke erschienen sind. |
2. | Vgl. H. Boucsein, Der Burgwald, Marburg 1955, S. 187 f., und L. Zögner, Hessen, in: Lexikon zur Geschichte der Kartographie (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 292. |
3. | Vgl. R. Oehme, Geschichte der Kartographie des deutschen Südwestens, Konstanz 1961, S. 43 ff., dazu Abb. 30. |
4. | M. Luther, Tischreden (Weimarer Ausgabe), Bd. 4, Nr. 4182. |
5. | Vgl. G. Leidel, Die Anfänge der archivischen Kartographie im deutschsprachigen Raum, in: Archivalische Zeitschrift 85, 2003, S. 85-146, mit weiterführenden Literaturangaben |
6. | Einige Hinweise auf Frankfurter Maler, die in Hessen und den benachbarten kleineren Territorien als Kartographen tätig waren, bei F. Wolff, Elias Hoffmann, ein Frankfurter Kartenmaler und Wappenzeichner des 16. Jahrhunderts, in: ZHG 94, 1989, S. 71-100, hier S. 73 und 8 |
7. | Vgl. L. Zimmermann, Der Ökonomische Staat Landgraf Wilhelms IV., Bd. 1, Marburg 1933, S. 126 ff., und L. Zögner, Hessen (wie Anm. 2) |
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.