6. Der Wald im Spannungsfeld von Naturschutz, Erholungsfunktion und wirtschaftlichen Interessen

Auszug aus: Grundmann, Volker: Aktuelle Reformen im hessischen Forstwesen,in: "Weil das Holz eine köstliche Wahre" - Wald und Forst zwischen Mittelater und Moderne, Hg. von Andreas Hedwig, Marburg 2006, S.131-135.
Erinnert werden soll in diesem Zusammenhang auch an die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, als für den Bedarf der Bevölkerung das Holz rationiert werden musste sowie Reparationsleistungen in Holz an die Siegermächte zu liefern waren. Das Ergebnis war der „gefegte Wald“ und ein in Hessen deutlicher, in Niedersachsen drastischer Rückgang der stehenden Holzvorräte.
Holz war der Hauptenergieträger und damit vielfach die Basis für die Lebens-, Arbeits- und Produktionsprozesse. Holzgeldeinnahmen machten in vielen Ländern nennenswerte Anteile am Staatshaushalt aus, in Einzelfällen mehr als 50%. In vielen Schriften früherer Jahrhunderte ist immer wieder von Holznot die Rede; die Forstordnungen waren Regelungsversuche; das Prinzip der Nachhaltigkeit entstand aus dieser Situation.
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Heute sollen die Aufgaben des Staates auch im Forstbereich grundsätzlich auf das unbedingt erforderliche Maß reduziert werden. Dies hat zwei Gründe, zum einen die schlechte forstliche Ertragssituation (Urproduktion in der Preis- Kosten- Schere) bei langfristig prekärer Haushaltslage der öffentlichen Hände, zum anderen den Vorwurf der Unwirtschaftlichkeit beziehungsweise geringer Effizienz staatlicher Betriebe.
Wie reagiert der Staat darauf?
Er verfolgt drei Ziele:
1. Die Ertragssituation ist drastisch zu verbessern (stetiger Preisverfall seit den 60er Jahren).
2. Die Gemeinwohlverpflichtung ist gleichrangiges Ziel (Schutz und Erholung, Waldpädagogik, Wissenstransfer, Naturschutz).
3. Das Wettbewerbs- und Kartellrecht ist zu berücksichtigen (indirekte Förderung des nichtstaatlichen Waldbesitzes, Klage vor dem Europäischen Gerichtshof).
Die profanen Schritte dazu heißen: Reorganisation einschließlich Veränderung der Rechtsform und kaufmännisches Rechnungswesen, Aufgabentrennung (Hoheit), Personalabbau und Funktionalisierung, Outsourcing, Aufgabenabbau und neue Geschäftsfelder, e-Governement usw..
Reorganisation und neue Rechtsform
Betrachtet man die forstlichen Aufgaben von der Forsthoheit über Waldbehandlung, Holzvermarktung, Waldschutzberatung, Forschung und Umweltbildung bis zur Bedeutung des Waldes für die Umweltvorsorge im Rahmen der zu erwartenden Klimaveränderung, die Trinkwassergewinnung, die Lufthygiene in dicht besiedelten Landesteilen, die Biodiversität und den Naturschutz, dann ist das grundsätzliche Festhalten an dem „Einheitsforstamt“ verständlich. Das Einheitsforstamt vereinigt alle forstlichen Aufgaben der unteren Verwaltungsebene in einer Dienststelle, die für den Wald aller Besitzarten auf gegebener Fläche zuständig ist. In mehreren Forststrukturreformen der Nachkriegszeit wurde bis 2001 die Zahl dieser Einheiten von ca. 180 auf 85 reduziert. Die Rechtsform blieb das staatliche Einheitsforstamt, in dem man die höchste Stufe forstlicher Synergien sah.
Zum 1.1.2001 gründete Hessen den Landesbetrieb Hessen-Forst gemäß § 26 der Landeshaushaltsordnung und änderte damit die Rechtsform.
Ein Landesbetrieb ist ein rechtlich unselbständiger abgesonderter Teil der Landesverwaltung, der erwerbswirtschaftlich ausgerichtet ist mit eigener Haushalts- und Wirtschaftsführung außerhalb des Landeshaushalts, ein sogenannter Nettobetrieb; wir hätten das auch gerne so. Damit verbunden ist die Einführung der doppelten kaufmännischen Buchführung mit der Erstellung einer Bilanz.
Gleichzeitig wurde die dreistufige Verwaltungsstruktur (Ministerium, Regierungspräsidium, Landkreis) auf den hoheitlichen Teil beschränkt, lediglich auf der unteren Ebene bleibt ein Teil der Hoheit beim Forstamt, also bei dem Betrieb.
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Personalabbau und weitere Reorganisation
In der Forstwirtschaft kamen Rationalisierungseffekte durch Mechanisierung und Automatisierung später als in anderen Wirtschaftsbereichen, aber sie kamen: z. B. die Motorsäge, die Schälmaschine, der Harvester, die Datenverarbeitung. Bei letzterer hat übrigens die hessische Forstverwaltung Pionierarbeit geleistet, aber das nur am Rande. Sie machten in den vergangenen fünfzig Jahren einen massiven Personalabbau möglich. So schrumpfte die Zahl der Forstämter in dieser Zeit von ca. 180 auf 41 im Jahre 2005, entsprechend die Zahl der Revierförstereien, der Beamten, der Angestellten und der Waldarbeiter. Allein die Forst-Strukturreform zum 1.1.2005 führte zu einer Halbierung der Zahl der Forstämter, zur Reduktion der Reviere um ein Drittel und zur Halbierung der Waldarbeiterzahl. Insgesamt beträgt der Personalabbau zu diesem Stichtag mit Hilfe der Personalvermittlungsbörse 34%. Damit verbunden ist aber auch eine Veränderung des Aufgabencharakters. Der Amtsleiter wird zum Manager, das Forstamt im Kommunal- und Privatwald zum Dienstleister, ein Teil der Förster vom Generalisten zum Spezialisten. Neben dem Revierleiter, dem bisherigen „Allrounder“ im Revier, werden „Funktionsbeamte“ revierübergreifend eingesetzt, so zum Beispiel für Technik, Privatwald, Naturschutz, Öffentlichkeitsarbeit, Waldpädagogik oder die Naturparke. Der Waldarbeiter (Forstwirt, Forstwirtschaftsmeister) wird für die Tätigkeiten eingesetzt, die sich nicht so gut „outsourcen“ lassen oder die eine besondere fachliche Qualität erfordern, wie Pflegemaßnahmen in Jungbeständen oder Wertholzeinschlag.
Eine besondere Form des Personalabbaus ist die Ländergrenzen überschreitende fusionsartige Kooperation der angewandten forstlichen Forschung beispielsweise der Länder Hessen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt oder die Kooperation mit Aufgabenteilung zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Durch die Kooperationen soll die wissenschaftliche Kompetenz in allen forstlichen Fachbereichen für diese Länder erhalten bleiben.
Outsourcing
Die Holzmärkte sind unsteter geworden, wozu auch ihre Globalisierung beiträgt. Der Rationalisierungsfortschritt im Forstbetrieb ist größer, als man wahrzunehmen scheint. So ist es aus betrieblichen Gründen nicht sinnvoll, Personal für 100% der voraussichtlich anfallenden Tätigkeiten vorzuhalten. Heute strebt Hessen-Forst deshalb eine 60%-Abdeckung der anfallenden Arbeiten mit eigenem Personal an. Der Rest wird an Unternehmen vergeben. Auch ein Teil der Waldinventur im Rahmen der Forsteinrichtung wird an forstliche Fachgutachter vergeben. Der größte Teil der Leistungsvergabe findet heute im IT-Bereich statt.
Kaufmännisches Rechnungswesen
Der Schritt aus der Kameralistik in die doppelte kaufmännische Buchführung sollte einer staatlichen Wirtschaftsverwaltung nicht schwer fallen. Auch wenn die hessische Forstverwaltung seit langem eine Kosten-Leistungsrechnung in nennenswerten Bereichen betrieben hat, wird eine Bilanz erst mit der Gründung des Landesbetriebes Hessen-Forst eingeführt und ich muss sagen, wir üben noch.
Die für einen Landesbetrieb vorgesehene Budgetierung erfolgt bisher vor allem im Personalkostenbereich nur bedingt, der Stellenplan ist Teil des Landeshaushalts. Rücklagen können nicht wirklich gebildet werden, da alle Einnahmen natürlich zur Verminderung der Schuldenlast beitragen müssen. Das Instrument für das kaufmännische Rechnungswesen, SAP R3, hat die „Konzernleitung Hessen“ in Wiesbaden für ihre und alle Zwecke der Konzernteile vorgesehen. Dabei scheint das „Schachbrett-Reiskorn-Problem“ zu den späteren Vereinfachungsthesen geführt zu haben und das Subsidiaritätsprinzip bereits auf höchster Ebene zu enden.
Aufgabenverzicht
In den vergangenen 35 Jahren bezog die hessische Forstverwaltung in mehreren Schritten die Erfassung und Berücksichtigung der Schutz- und Erholungsfunktionen des Waldes in ihre Bewirtschaftung ein. Sie kartierte Wald- und Gewässerränder, integrierte die Hessische Biotopkartierung in die Planung, erfasste und produzierte Totholz und berücksichtigte Bodendenkmale im Wald. 1989 wurde die etwas sensiblere Naturgemäße Waldwirtschaft für den Staatswald obligat und im Nichtstaatswald empfohlen. Eine für Europa einmalige Naturwaldreservateforschung konnte als langfristiges Programm zum Biodiversitätsmonitoring des Waldes entwickelt werden. Die Häufung von Witterungsextremen führte zu größerem Beratungs- und Arbeitsaufwand. Die Ansprüche der Gesellschaft auf Waldpädagogik und Wissenstransfer sind gestiegen.
Irgendwie haben wir das mit dem Aufgabenverzicht noch nicht richtig verstanden.
Ausblick
Die derzeitigen Reformen im Forstwesen der verschiedenen Bundesländer zeigen eine große Vielfalt und die Ergebnisse besitzen ein kurzes Leben. Die Stichjahre für Hessen sind 1996, 2001 und 2005. Die Veränderungen werden aber weiter gehen, damit die Wirtschaftsziele schnell und umfassend erreicht werden, ohne dabei die Gemeinwohlziele über Bord zu werfen.
„Im Grunde geht es um die Frage, ob Forstwirtschaft am Standort Deutschland im Spannungsfeld der Anforderungen auf lange Sicht aus sich heraus überhaupt lebensfähig ist. Angesichts der europaweit höchsten Holzvorräte, dem Rückenwind für diesen nachwachsenden Rohstoff und dem vorhandenen forstlichen Know-how sollten sich hier etwaige Zweifel zerstreuen lassen! Den Beweis werden die neu aufgestellten Betriebe entschlossen antreten und damit effektiv der Forstwirtschaft in Deutschland, allen Härten des Umbruchs zum Trotz, neuen Auftrieb geben"2.
- Hauptmerkbuch der Oberförsterei Roßberg, S. 297.
- Nüßlein, in: AFZ – Der Wald 13, 2005, S. 683.
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