8. Befreiung. erneute Diskriminierungen nach 1945 und Selbstorganisation
Seit dem Frühjahr 1945 wurden große Teile Deutschlands von den alliierten Truppen besetzt und damit vom Nationalsozialismus befreit. Die in den Konzentrationslagern gefangen gehaltenen Häftlinge, darunter auch Sinti und Roma, mussten in dieser Phase des Krieges noch damit rechnen, auf den sogenannten Todesmärschen ermordet zu werden. Ab April 1945 kehrten die Sinti und Roma soweit wie möglich in ihre Heimatstädte zurück, oder wenn sie ihre unmittelbaren Familienangehörigen verloren hatten, zu Verwandten oder Freunden. Zwischen Mai und August 1945 waren die Zielorte in der Regel erreicht. Nun galt es für die einzelnen Sinti und Roma und ihre Familien das Leben neu zu organisieren, denn sie waren nicht nur in die Vernichtungs- und Arbeitslager verbracht worden, auch ihr Hab und Gut war vor Ort bei ihrer Rückkehr nicht mehr vorhanden, nicht mehr auffindbar, zerstört oder auch verkauft. Viele Sinti und Roma standen vor dem Nichts. Hilfe erhielten sie von antifaschistischen Komites, die vor Ort tätig waren.
Aber es zeigte sich bald, dass trotz der Befreiung vom Nationalsozialismus der Antiziganismus noch weit verbreitet war. Bei den Behörden wurden die überlebenden Sinti und Roma zum Teil wiederum erfasst. Als Kennkarten dienten bei der Stadt Fulda zum Beispiel die nunmehr nicht mehr benötigten Karten für die „Fremdarbeiter aus Sowjetrußland“. Statt mit einer Ausweisnummer wurden die Karten mit dem Kürzel „Zig.“ versehen. In Bayern wurde die „Zigeunerdatei“ der Kriminalpolizei als „Landfahrerkartei“ weitergeführt. Die tätowierte Auschwitz-Nummer wurde bei Überlebenden des Völkermordes in dieser Datei aufgenommen.„Wiedergutmachung“ und Entschädigungspolitik
Nach der Sicherung der Existenz ging es ab 1946 auch um Entschädigung und um Wiedergutmachung. Die im Nationalsozialismus Verfolgten mussten hessenweit einheitliche Fragebögen ausfüllen. Die Kriterien des Grades und der Art der Verfolgung rückten in den Mittelpunkt, was sich für Zwangssterilisierte, aber auch für Sinti und Roma negativ auswirkte, weil bei vielen vermerkt war, dass sie auf Grund von "Asozialität" in Konzentrationslager verbracht worden waren. Nach der Verabschiedung des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) veränderten sich die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen zum Teil weiter zu Ungunsten der als „Zigeuner” verfolgten Menschen. Sie mussten immer wieder größte Hindernisse überwinden, um ihre berechtigten Ansprüche durchzusetzen. Dies gelang ihnen zum Teil erst in den 60er, zum Teil sogar erst in den 80er Jahren.
- In Hessen - und wohl auch in anderen Bundesländern - wurden Sinti und Roma - anders als Juden - nach 1946 nicht mehr als rassisch Verfolgte anerkannt. Sie mussten ihre berechtigten Ansprüche im Einzelfall vor Gericht erstreiten.
- Nach 1946/47 hatte Sinti und Roma wieder verstärkt mit Diskriminierungen zu leben.
- Behörden griffen zum Teil bis in die 1950er Jahre bei der Erfassung und Abschiebung auf Gesetze zurück, die während des Nationalsozialismus formuliert worden waren.
Was zunächst noch im Einzelfall als traditionell antiziganistische Diskriminierung bezeichnet werden kann, weitete sich in der Entschädigungs- und Wiedergutmachungsfrage nach 1952 zum Skandal aus, weil zum Beispiel die Polizeimaßnahmen gegen Sinti und Roma während des Nationalsozialismus ihres rassistischen Gehalts beraubt wurden. Das heißt, Sinti und Roma galten demnach als zu Recht - wenn auch hart – bestraft. Der Skandal wurde noch größer, weil Gutachter im medizinischen Bereich zum Teil identisch waren mit denen, die vor 1943 mitgeholfen hatten, Sinti und Roma zu erfassen. Entsprechendes gilt für die Kriminalbeamten.
Bürgerrechte
Der Skandal um die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus und die anhaltende Diskriminierung von Sinti und Roma in der Bundesrepublik waren Ausgangspunkte für vor allem jüngere Vertreter der Sinti und Roma, gegen die Missstände zu protestieren. Sie organisierten ihre Interessen und gründeten u. a. Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre die Verbände Deutscher Sinti und Roma, die im Zentralrat Deutscher Sinti und Roma zusammengeschlossen sind. Menschenrechtsfragen und die Anerkennung des Völkermordes durch die Bundesrepublik Deutschland standen zunächst im Mittelpunkt. Es gelang zum Beispiel in Hessen, die Lage Überlebenden des Völkermordes durch Anerkennung durch das Bundesentschädigungsgesetz und den Hessischen Härtefonds zu verbessern.
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