4. Die Weltwirtschaftskrise und der Übergang zum Präsidialsystem
Der „Schwarze Freitag" an der New Yorker Börse am 24. 10. 1929 beendete scheinbar abrupt die Phase der weltwirtschaftlichen Stabilisierung der Zwischenkriegszeit. Es zeigte sich jetzt, daß die von führenden Wirtschaftsexperten der 20er Jahre vertretene Prognose einer dauerhaften Prosperität zu optimistisch gewesen war. Der Zusammenbruch der Weltwirtschaft und des Weltwährungssytems in der Großen Depression 1929-1933 muß vor allem auf Strukturfehler im Nachkriegsaufbau zurückgeführt werden. Dazu gehörten: die tiefgreifenden Störungen im internationalen Waren- und Kapitalverkehr durch Zollprotektionismus und Reparationsleistungen, eine weltweite strukturelle Krise in der Landwirtschaft, die Überproduktion in der Industrie und eine Überschätzung der Aufnahmefähigkeit der Märkte.
Die politischen Rückwirkungen der Großen Krise in Deutschland dokumentierten sich in einer Zuspitzung der Interessengegensätze zwischen den tragenden gesellschaftlichen Gruppierungen der Republik: Aus dem dramatisch eingeschränkten Verteilungsspielraum folgte der Bruch der Großen Koalition von Sozialdemokratie und bürgerlichen Parteien im März 1930 mit einer gewissen inneren Logik. Die ökonomische „Zwangslage" war aber, wie neuere Dokumente bestätigen, nur ein Teilaspekt der Gesamtproblematik. Einflußreiche Kreise um den Reichspräsidenten Hindenburg hatten schon vor Einsetzen der Krise Planungen entwickelt, die die Wiederherstellung einer autoritären Staatsordnung zum Ziele hatten (s. Quellen S. 69-72). In dem Zentrum-Führer Dr. Brüning fanden sie den Kanzler, der bereit war, diese Vorgaben umzusetzen. So ist weithin unstrittig, daß Brüning seine rigorose Sparpolitik nicht primär auf eine Überwindung der wirtschaftlichen Not in Deutschland orientierte, sondern für sein weltgespanntes Restaurationskonzept instrumentalisierte (s. Quellen 56 u. 68). Kontrovers diskutiert wird allerdings die Frage, ob eine andere, antizyklische Konjunkturpolitik überhaupt hätte erfolgreich sein können - und ob nicht der Grundfehler in Wirklichkeit in einer ökonomischen Überlastung der Republik durch die ausgedehnte Sozialpolitik der 20er Jahre gelegen habe.
Unabhängig davon ist festzustellen, daß die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in Deutschland, so gravierend sie im einzelnen sein mochten, im internationalen Vergleich keine absolute Besonderheit beanspruchen konnten. Der Weg in den autoritären Staat war von daher nichtzwangsläufig, dies belegen nicht zuletzt die Diskussionen im Sommer 1930 und nach der Reichstagswahl vom 14.9.1930 (s. vor allem Quellen 61, 62, 64-66). Vielmehr ordnete sich die im Laufe des Jahres 1930 vollziehende Wendung zum Präsidialsystem ein in die schrittweise Lösung aus den Versailler Bindungen und den so neu gewonnenen Handlungsspielraum nach innen: Die entscheidenden Schritte nach rechts folgten jeweils unmittelbar auf außenpolitische Entlastungen (s. u. a. Quelle 58). Dabei bot allerdings erst die Krise die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine Realisierung obrigkeitsstaatlicher Restaurationspläne. Die Polarisierung der politischen und sozialen Kräfte in Deutschland leistete einer zunehmenden Verselbständigung der präsidialen Exekutive Vorschub, die so auch grundlegende historische Weichenstellungen gegen das Votum maßgeblicher gesellschaftlicher und politischer Kräfte vollziehen konnte.
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.