23. Die Verfassung - Programm und Wirklichkeit: 6.2. Sozialisierung im Widerstreit
Die Sozialisierung bestimmter Wirtschaftszweige, wie sie in Art. 41 der Hessischen Verfassung vorgesehen war, gehört zu den umstrittensten Kapiteln der hessischen Nachkriegsgeschichte. Dabei war die Forderung nach Vergesellschaftung bestimmter Großindustrien und Konzerne nach dem Kriege zunächst außerordentlich populär. Sie wurde nicht nur von der SPD im Rahmen ihrer Konzeption einer Wirtschaftsdemokratie gefordert, sondern z. B. auch von katholischen Intellektuellen und Gewerkschaftlern in der CDU. Selbst in der LDP wurde die Frage diskutiert, wie dem Mißbrauch politischer und wirtschaftlicher Macht durch Großkonzerne zu begegnen sei.
Ausgelöst wurde diese Diskussion durch die Erinnerung an das demokratiefeindliche Verhalten von Konzernherren der Ruhrindustrie während der Weimarer Republik sowie durch die Rolle der Rüstungsindustrie unter dem NS-Regime; namhafte Wirtschaftsführer waren aus diesem Grund vor dem Alliierten Militärtribunal in Nürnberg angeklagt und verurteilt worden. Angesichts der Demontage deutscher Fabriken und der alliierten Pläne zu einer empfindlichen Einschränkung der deutschen Industrieproduktion erschien die Sozialisierung von Schlüsselindustrien damals auch ein geeigneter Beitrag zu sein, um den Friedenswillen der deutschen Bevölkerung zu demonstrieren. Daher enthielten die meisten Verfassungen der westdeutschen Länder in der Nachkriegszeit mehr oder weniger präzise Ermächtigungsklauseln, die die Sozialisierung von Großunternehmen ermöglichten. Die Hessische Verfassung ging indessen darüber hinaus, indem sie in Art. 4l bestimmte, daß Bergwerke sowie Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, der Energiewirtschaft und des an Schienen oder Oberleitungen gebundenen Verkehrswesens sofort mit Inkrafttreten der Verfassung in Gemeineigentum zu überführen seien.
Gleich nach der Volksabstimmung über die Hessische Verfassung wurden daher für die betroffenen Betriebe zunächst staatliche Treuhänder bestellt. Wirtschaftsminister Harald Koch plante für diese Betriebe eine neue Unternehmensform. Sie sollten nicht einfach verstaatlicht, sondern in einer besonderen Rechtsform als „Sozialgemeinschaften" geführt werden, um durch „rationelle Gestaltung des Wirtschaftsprozesses die bestmögliche Deckung des allgemeinen Bedarfs zu sozial gerechten Preisen" zu erreichen sowie durch besondere soziale Einrichtungen und die Fürsorge für ihre Belegschaftsmitglieder ein Modell für die übrige Wirtschaft darzustellen. In ihrem Verwaltungsrat sollten vor allem Vertreter der Industrie- und Handelskammern, der zuständigen Gewerkschaft sowie des Betriebes selbst sitzen.
Doch die Verwirklichung der Pläne Kochs stieß von Anfang an auf große Widerstände. Größere hessische Betriebe gehörten meist Konzernen, die außerhalb Hessens ihren Sitz hatten, oder - wie die hessischen Kalibergwerke - rasch ihre Verwaltung nach Niedersachsen verlegten. Daher blieb neben kleineren und größeren Braunkohlebergwerken und Lokalbahnen als einziger größerer Betrieb im wesentlichen nur Buderus in Wetzlar übrig. Nachdem die amerikanische Militärregierung im Jahr 1948 ihr Veto gegen die Sozialisierung des Ruhrbergbaus eingelegt hatte, stand Hessen mit seinen Bestrebungen allein.
Die CDU, die 1946 mit der SPD für die Sofortsozialisierung nach Art. 4l gestimmt hatte, versagte vier Jahre später dem Gesetzentwurf über die „Sozialgemeinschaften" ihre Zustimmung. Dazu trugen sicherlich auch Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der sozialisierten Betriebe bei. Diese wurden in den folgenden Jahren teils als Landes- oder Kommunalbetriebe weitergeführt, teils - wie Buderus -später wieder privatisiert.
Ausgelöst wurde diese Diskussion durch die Erinnerung an das demokratiefeindliche Verhalten von Konzernherren der Ruhrindustrie während der Weimarer Republik sowie durch die Rolle der Rüstungsindustrie unter dem NS-Regime; namhafte Wirtschaftsführer waren aus diesem Grund vor dem Alliierten Militärtribunal in Nürnberg angeklagt und verurteilt worden. Angesichts der Demontage deutscher Fabriken und der alliierten Pläne zu einer empfindlichen Einschränkung der deutschen Industrieproduktion erschien die Sozialisierung von Schlüsselindustrien damals auch ein geeigneter Beitrag zu sein, um den Friedenswillen der deutschen Bevölkerung zu demonstrieren. Daher enthielten die meisten Verfassungen der westdeutschen Länder in der Nachkriegszeit mehr oder weniger präzise Ermächtigungsklauseln, die die Sozialisierung von Großunternehmen ermöglichten. Die Hessische Verfassung ging indessen darüber hinaus, indem sie in Art. 4l bestimmte, daß Bergwerke sowie Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, der Energiewirtschaft und des an Schienen oder Oberleitungen gebundenen Verkehrswesens sofort mit Inkrafttreten der Verfassung in Gemeineigentum zu überführen seien.
Gleich nach der Volksabstimmung über die Hessische Verfassung wurden daher für die betroffenen Betriebe zunächst staatliche Treuhänder bestellt. Wirtschaftsminister Harald Koch plante für diese Betriebe eine neue Unternehmensform. Sie sollten nicht einfach verstaatlicht, sondern in einer besonderen Rechtsform als „Sozialgemeinschaften" geführt werden, um durch „rationelle Gestaltung des Wirtschaftsprozesses die bestmögliche Deckung des allgemeinen Bedarfs zu sozial gerechten Preisen" zu erreichen sowie durch besondere soziale Einrichtungen und die Fürsorge für ihre Belegschaftsmitglieder ein Modell für die übrige Wirtschaft darzustellen. In ihrem Verwaltungsrat sollten vor allem Vertreter der Industrie- und Handelskammern, der zuständigen Gewerkschaft sowie des Betriebes selbst sitzen.
Doch die Verwirklichung der Pläne Kochs stieß von Anfang an auf große Widerstände. Größere hessische Betriebe gehörten meist Konzernen, die außerhalb Hessens ihren Sitz hatten, oder - wie die hessischen Kalibergwerke - rasch ihre Verwaltung nach Niedersachsen verlegten. Daher blieb neben kleineren und größeren Braunkohlebergwerken und Lokalbahnen als einziger größerer Betrieb im wesentlichen nur Buderus in Wetzlar übrig. Nachdem die amerikanische Militärregierung im Jahr 1948 ihr Veto gegen die Sozialisierung des Ruhrbergbaus eingelegt hatte, stand Hessen mit seinen Bestrebungen allein.
Die CDU, die 1946 mit der SPD für die Sofortsozialisierung nach Art. 4l gestimmt hatte, versagte vier Jahre später dem Gesetzentwurf über die „Sozialgemeinschaften" ihre Zustimmung. Dazu trugen sicherlich auch Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der sozialisierten Betriebe bei. Diese wurden in den folgenden Jahren teils als Landes- oder Kommunalbetriebe weitergeführt, teils - wie Buderus -später wieder privatisiert.
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