7. Zusammenstehen in der Not: 2.3. Alltag in Trümmern
Der Hunger war bei weitem nicht das einzige Problem. Die Zerstörungen, die der Krieg besonders in den Städten hinterlassen hatte, sprengten alle vorstellbaren Größenordnungen. Erst jetzt konnte Bilanz gezogen werden: Darmstadt, Frankfurt und Kassel waren zu mehr als 75% zerstört. Nur Wiesbaden als vierte hessische Großstadt war mit einem Zerstörungsgrad von 33% relativ glimpflich davongekommen. In den mittelgroßen Städten sah es nicht viel besser aus: in Rüsselsheim lagen 50%, in Gießen 65% und in Hanau, das noch am 19. März 1945 von einem britischen Luftangriff schwer getroffen worden war, 87% der bebauten Fläche in Trümmern.
Hunderttausenden Menschen fehlte ein Dach über dem Kopf. Die Lage hatte sich bereits in den letzten Kriegsjahren verschlechtert. Aus kriegsgefährdeten Gebieten und insbesondere den zerbombten Großstädten, auch außerhalb Hessens, waren zehntausende „Evakuierte" auf das flache Land gezogen oder verschickt worden. Nach Kriegsende war ihnen eine rasche Rückkehr in die zerstörten Heimatstädte meist nicht möglich, da diese in der Notsituation Zuzugsgenehmigungen nur dringend benötigten Arbeitskräften erteilten. Zudem beschlagnahmte die Besatzungsmacht mitunter ganze Straßenzüge für eigene Zwecke und versah sie mit „Off limits"-Schildern.
Viele Menschen mußten mit einer behelfsmäßigen Unterkunft vorlieb nehmen. Aber selbst eine provisorische Bleibe wollte im Winter beheizt sein. In seiner Botschaft an das deutsche Volk vom 6. August 1945 erklärte Eisenho-wer: „Für die Beheizung von Wohnhäusern wird in diesem Winter keine Kohle zur Verfügung stehen." Der amerikanische General erteilte den Rat, „in den nächsten Monaten genügend Holz zu fällen und einzusammeln". Hier zeigte sich - wie ein amerikanischer Offizier bemerkte -, daß die US-Zone zwar aus „schönen Landschaften" bestand, aber die britische Zone über die Ruhrkohle verfügte. Die Braunkohle aus hessischen Gruben konnte nur einen Bruchteil des Bedarfs decken.
Da an die Wiederingangsetzung von Zentralheizungen unter diesen Umständen nicht zu denken war, behalf man sich überall mit eisernen Öfen und Herden, deren Abzugsrohre, war kein Schornstein vorhanden, durch die Wand oder ein Fenster gelegt wurden. Aber auch Ofen waren Mangelware, und so wurden für Bedürftige in zahlreichen Städten eigens Wärmestuben eingerichtet.
Bevor an den Wiederaufbau von Wohnhäusern gedacht werden konnte, mußten die Trümmer beseitigt und die wichtigsten Versorgungseinrichtungen wieder in Gang gesetzt werden. Zu den Aufräumungs- und Instandsetzungsarbeiten wurden zunächst vor allem ehemalige Nationalsozialisten und deutsche Kriegsgefangene herangezogen. Die Stadtverwaltungen erkannten aber bald, daß nur durch massenhaften Bürgereinsatz den immensen Trümmerbergen zu Leibe zu rücken war. So organisierten sie, einige schon nach wenigen Wochen, sogenannte „Bürgereinsätze" oder „Ehrendienste" zur Trümmerbeseitigung. Die brauchbaren Steine wurden gleich vor Ort zur Wiederverwendung gesäubert, der verbleibende Schutt hingegen per eigens aufgebauter Trümmerbahnen zu Verwertungsanlagen geschafft und dort zu neuen Steinen verarbeitet.
Nach einigen Monaten war bereits viel geleistet worden. Straßen und Wege waren Ende 1945 zu 95% geräumt, Kanalisation, Müllabfuhr funktionierten wieder und auch die wichtigsten Elektrizitäts- und Gaswerke, die allerdings aus Mangel an Gas und Kohle nur wenige Stunden am Tag betrieben werden konnten. Doch die Trümmerberge in den Städten verschwanden nicht von heute auf morgen. Die Hinterlassenschaften des Bombenkrieges blieben noch lange Jahre alltäglicher Anblick in den hessischen Städten.
Wegen der unzureichenden Industrieproduktion fehlte es darüber hinaus an sämtlichen Gütern des täglichen Bedarfs. Nur über Bezugsscheine, welche die Wirtschaftsämter ausgaben, waren Treibstoffe, Kohlen, Spinnstoffe, Textilien, Leder, Schuhe, Möbel, Haushaltswaren aus Metall, Glas, Keramik und Porzellan sowie Lampen zu haben. Eine andere Möglichkeit, an die begehrten Waren zu kommen, bot der Schwarzmarkt - allerdings nur gegen horrende Preise oder die geläufigen „Ersatzwährungen" wie Zigaretten, Kaffee oder Nylonstrümpfe.
Da so nicht einmal die dringendsten Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen waren, versuchte man über die Einrichtung amtlicher Tauschzentralen, wie z. B. im Kaufhof auf der Frankfurter Zeil, eine legale Alternative zum Schwarzmarkt zu schaffen. Ein anderer Weg waren Tauschangebote per Kleinanzeige in den Zeitungen.
Aber es blieben immer noch viele, die nicht in der Lage waren, durch Eigeninitiative das Überleben sicherzustellen und der Unterstützung bedurften: Alte und Kranke, Kinder in Heimen, Flüchtlinge und Ausgebombte. Zur Linderung wenigstens der schlimmsten Not wurde immer wieder zu Spenden aufgerufen. Damit die Hilfsorganisationen auf diesem Gebiet nicht gegenseitig konkurrierten, wurde ein einheitliches Vorgehen vereinbart und der Landes-Wohl-fahrtsausschuß gegründet, dem sich die meisten großen Wohlfahrtsverbände anschlössen. Gesammelt wurde alles, was unmittelbar gebraucht oder sonstwie verwertet werden konnte: Kleider, Schuhe, Hausrat, Geld, Altpapier und Lumpen.
Hunderttausenden Menschen fehlte ein Dach über dem Kopf. Die Lage hatte sich bereits in den letzten Kriegsjahren verschlechtert. Aus kriegsgefährdeten Gebieten und insbesondere den zerbombten Großstädten, auch außerhalb Hessens, waren zehntausende „Evakuierte" auf das flache Land gezogen oder verschickt worden. Nach Kriegsende war ihnen eine rasche Rückkehr in die zerstörten Heimatstädte meist nicht möglich, da diese in der Notsituation Zuzugsgenehmigungen nur dringend benötigten Arbeitskräften erteilten. Zudem beschlagnahmte die Besatzungsmacht mitunter ganze Straßenzüge für eigene Zwecke und versah sie mit „Off limits"-Schildern.
Viele Menschen mußten mit einer behelfsmäßigen Unterkunft vorlieb nehmen. Aber selbst eine provisorische Bleibe wollte im Winter beheizt sein. In seiner Botschaft an das deutsche Volk vom 6. August 1945 erklärte Eisenho-wer: „Für die Beheizung von Wohnhäusern wird in diesem Winter keine Kohle zur Verfügung stehen." Der amerikanische General erteilte den Rat, „in den nächsten Monaten genügend Holz zu fällen und einzusammeln". Hier zeigte sich - wie ein amerikanischer Offizier bemerkte -, daß die US-Zone zwar aus „schönen Landschaften" bestand, aber die britische Zone über die Ruhrkohle verfügte. Die Braunkohle aus hessischen Gruben konnte nur einen Bruchteil des Bedarfs decken.
Da an die Wiederingangsetzung von Zentralheizungen unter diesen Umständen nicht zu denken war, behalf man sich überall mit eisernen Öfen und Herden, deren Abzugsrohre, war kein Schornstein vorhanden, durch die Wand oder ein Fenster gelegt wurden. Aber auch Ofen waren Mangelware, und so wurden für Bedürftige in zahlreichen Städten eigens Wärmestuben eingerichtet.
Bevor an den Wiederaufbau von Wohnhäusern gedacht werden konnte, mußten die Trümmer beseitigt und die wichtigsten Versorgungseinrichtungen wieder in Gang gesetzt werden. Zu den Aufräumungs- und Instandsetzungsarbeiten wurden zunächst vor allem ehemalige Nationalsozialisten und deutsche Kriegsgefangene herangezogen. Die Stadtverwaltungen erkannten aber bald, daß nur durch massenhaften Bürgereinsatz den immensen Trümmerbergen zu Leibe zu rücken war. So organisierten sie, einige schon nach wenigen Wochen, sogenannte „Bürgereinsätze" oder „Ehrendienste" zur Trümmerbeseitigung. Die brauchbaren Steine wurden gleich vor Ort zur Wiederverwendung gesäubert, der verbleibende Schutt hingegen per eigens aufgebauter Trümmerbahnen zu Verwertungsanlagen geschafft und dort zu neuen Steinen verarbeitet.
Nach einigen Monaten war bereits viel geleistet worden. Straßen und Wege waren Ende 1945 zu 95% geräumt, Kanalisation, Müllabfuhr funktionierten wieder und auch die wichtigsten Elektrizitäts- und Gaswerke, die allerdings aus Mangel an Gas und Kohle nur wenige Stunden am Tag betrieben werden konnten. Doch die Trümmerberge in den Städten verschwanden nicht von heute auf morgen. Die Hinterlassenschaften des Bombenkrieges blieben noch lange Jahre alltäglicher Anblick in den hessischen Städten.
Wegen der unzureichenden Industrieproduktion fehlte es darüber hinaus an sämtlichen Gütern des täglichen Bedarfs. Nur über Bezugsscheine, welche die Wirtschaftsämter ausgaben, waren Treibstoffe, Kohlen, Spinnstoffe, Textilien, Leder, Schuhe, Möbel, Haushaltswaren aus Metall, Glas, Keramik und Porzellan sowie Lampen zu haben. Eine andere Möglichkeit, an die begehrten Waren zu kommen, bot der Schwarzmarkt - allerdings nur gegen horrende Preise oder die geläufigen „Ersatzwährungen" wie Zigaretten, Kaffee oder Nylonstrümpfe.
Da so nicht einmal die dringendsten Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen waren, versuchte man über die Einrichtung amtlicher Tauschzentralen, wie z. B. im Kaufhof auf der Frankfurter Zeil, eine legale Alternative zum Schwarzmarkt zu schaffen. Ein anderer Weg waren Tauschangebote per Kleinanzeige in den Zeitungen.
Aber es blieben immer noch viele, die nicht in der Lage waren, durch Eigeninitiative das Überleben sicherzustellen und der Unterstützung bedurften: Alte und Kranke, Kinder in Heimen, Flüchtlinge und Ausgebombte. Zur Linderung wenigstens der schlimmsten Not wurde immer wieder zu Spenden aufgerufen. Damit die Hilfsorganisationen auf diesem Gebiet nicht gegenseitig konkurrierten, wurde ein einheitliches Vorgehen vereinbart und der Landes-Wohl-fahrtsausschuß gegründet, dem sich die meisten großen Wohlfahrtsverbände anschlössen. Gesammelt wurde alles, was unmittelbar gebraucht oder sonstwie verwertet werden konnte: Kleider, Schuhe, Hausrat, Geld, Altpapier und Lumpen.
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