1. Von der Karolingerzeit bis zu den Kreuzzügen
Jüdische Existenz im Mittelalter: Pogrome und Privilegien (I)
Die Geschichte des Judentums unterscheidet sich von der anderer Weltreligionen maßgeblich in einem Ereignis: der Diaspora oder der Verstreuung. Nach der Zerstörung Jerusalems und des Herodianischen Tempels durch die Legionen des Titus im Jahr 70 flohen die Juden in weite Teile der Welt, vor allem nach Frankreich, Spanien, Nordafrika, Syrien, Babylonien, Persien und Kleinasien. Weiterhin fühlten sie sich dennoch als ein jüdisches Volk. Diese Verbindung mit der Welt und auch die Kontakte zur arabischen Kultur eröffneten später den europäischen Juden eine ideale Basis als Fernhändler, Ärzte, da diese der arabischen Heilkunde mächtig waren, und Gelehrte, denen sich durch die Beherrschung der Sprache der Horizont der arabischen Wissenschaften eröffnete.
Mit der Anerkennung des Christentums als Staatsreligion im Römischen Reich entwickelte sich die Rechtsbasis des Judentums zurück. Beide Religionen standen bereits seit der Etablierung des Christentums, das sich anfangs als eine Abspaltung des Judentums entwickelt hatte, in Konkurrenz. Bereits der Kirchenvater Augustin (354-430) deutete die Diaspora als Gottesstrafe für die Ermordung Jesu. Von den Juden selbst wurde sie als notwendige Vorbedingung für die Ankunft des Messias angesehen.
Die Bestimmungen des Codex Theodosianus von 438 schränkten die noch vorher herrschende Gleichstellung der Juden deutlich ein. Juden durften keine öffentlichen Ämter mehr wahrnehmen und auch keine militärischen Posten besetzen. Die Laufbahnen in beiden Bereichen waren im traditionellen römischen System die einzige Möglichkeit, auch politische Macht auszuüben. Juden sollten keine christlichen Sklaven erwerben dürfen. Wenn aber ihre Sklaven zum christlichen Glauben übertraten, so sollten sie freigelassen werden. Da für diesen Fall kein finanzieller Ausgleich vorgesehen war, verursachte diese Regelung eine starke wirtschaftliche Beeinträchtigung.
Obwohl die Quellen zu den Juden in Europa in der Spätantike wenig Material bieten, finden sich darin früh Hinweise auf jüdischen Bevölkerungsanteile. Bereits 321 ist für Köln in Dekreten Kaiser Konstantins an den Kölner Magistrat eine jüdische Gemeinde belegt. Unter Karl dem Großen (reg. 768-814) lebte der erste namentlich in den Quellen belegte Jude in Deutschland: Isaac, ein Großkaufmann. Während der Regierungszeit Karls des Großen bildeten sich zahlreiche neue jüdische Gemeinden und der Fernhandel begann zu blühen. Etwas später erließ Ludwig der Fromme (reg. 814-40) Privilegien , die die Einschränkungen Theodosians II. nahezu aufhoben. Taufwillige Sklaven mussten nun beispielsweise zusätzlich freigekauft werden. Dieser Erlass sorgte für weitere Konflikte zwischen Amtskirche und Kaiser. Zusätzlich betonte und festigte Ludwig den kaufmännischen Status der Juden und garantierte die Autonomie ihrer Gemeinden.
In Spätantike und Frühmittelalter gab es durchaus auch gute nachbarschaftliche Verhältnisse zwischen jüdischen und christlichen Familien im Frankenreich. Juden arbeiteten häufig als Kaufleute, Ärzte, Weinbauern oder Münzmeister. Zwar war die Bevölkerung von der hebräischen Sprache, die die Juden oft auch außerhalb der Synagoge sprachen, und durch ihre teilweise für die europäischen Christen nicht nachvollziehbaren Traditionen befremdet. Die Entfremdung bekam jedoch klare Konturen, als Kreuzzugsprediger im 11. Jahrhundert den Hass auf Andersgläubige schürten und stärker noch im Spätmittelalter, als sich ghettoisierte Wohnstrukturen durchzusetzen begannen und die Herrscher ihre direkte Herrschaft über die Juden immer öfter aus der Hand gaben. Jüdische Ghettos waren anfangs meist nicht erzwungen, sondern ergaben sich aus der alltäglichen Praxis. Die Nähe zur Synagoge und zum Marktplatz bestimmte die jüdischen Siedlungsbereiche in den Städten von Anfang an.
Im 10. und 11. Jahrhundert wanderten vermehrt Juden aus Südfrankreich und Italien in die rheinischen Städte ein. Die wichtigsten Siedlungsschwerpunkte sind zuerst Worms und Mainz, etwas später auch Speyer. Als Zentrum des jüdischen Glaubens im Frankenreich jener Zeit sind sie als SCHUM-Gemeinden bekannt; eine Abkürzung, die aus den Anfangsbuchstaben der hebräischen Namen der drei Städte gebildet ist.
Viele Juden trieb der Handel in ferne Länder, denn sie hatten gute Beziehungen zum Orient, besonders natürlich zu Palästina. Der Fernhandel des fränkischen Reiches lag bis ins späte Mittelalter vor allem in jüdischen Händen. Daraus ergab sich ihre Ansiedelung in großen Städten und ihre Nähe zum Herrscherhof. Vor allem Adlige und hohe Geistliche benötigten die Luxusgüter der Levante.
Die Ottonen und Salier knüpften an die für die Juden insgesamt recht günstigen Privilegien an. Aus den Privilegien Heinrichs IV., Friedrichs I. sowie Friedrichs II. ist ersichtlich, dass die Haltung der Herrscher zu den Juden generell positiv war. In Krisenzeiten fehlte ihnen allerdings die Macht, den Schutz, den sie den jüdischen Gemeinden versprochen hatten, durchzusetzen. Die aufgewiegelte christliche Bevölkerung zur Zeit der Kreuzzüge war schwer zu bändigen und einige Male gelang es den Bischöfen nicht, die Juden vor den Verfolgungen und Übergriffen zu bewahren. Den Pogromen des ersten Kreuzzuges 1096 fielen trotz Schutzprivilegien Tausende Juden zum Opfer.
Die Gesamtzahl der Juden wird am Vorabend der Kreuzzugspogrome auf etwa 20-25.000 Personen geschätzt. Auch die Zahl der Siedlungsorte stieg weiter an – so waren es vor den Kreuzzugsverfolgungen 13 Siedlungsorte. Diese Zahl stieg bis zum Jahr 1348 in dem zum Deutschen Reich gehörenden Mitteleuropa auf 1000 Orte an, an denen Juden kürzer oder länger gelebt haben.
Nach dem ersten Kreuzzug 1095 kam es zu einem tiefgreifenden Wandel in der gesellschaftlichen und rechtlichen Stellung der Juden. Die wachsende Feindlichkeit gegenüber der jüdischen Minderheit seitens der christlichen Bevölkerung führte zu gewaltsamen Übergriffen, Vertreibung und Mord. Die Ursachen für diesen Wandel sind vielschichtig. Antijüdische Tendenzen waren wohl trotz der breiten Akzeptanz schon immer Vorhanden. Die kirchliche Doktrin, aber auch das Unwissen über die fremde Kultur, waren wahrscheinlich die Hauptursachen der Feindseligkeiten in der christlichen Umwelt.
Teresa Traupe
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