Auch Martin Luther hatte die wesentliche Voraussetzung des Hexenglaubens vor Augen: Die Vorstellung, dass Hexen sich vom Teufel hatten verzaubern lassen, wodurch sie selbst durch Zauberei Schaden anrichten konnten. Die religiös begründete Ansicht, Menschen könnten durch Zutun des Teufels zaubern, verbreitete sich maßgeblich auf der literarischen Grundlage des sogenannten »Hexenhammers« – des »malleus maleficarum« –, verfasst 1487 von dem Dominikaner Heinrich Kramer. Die Hexenverfolgung war mithin kein Phänomen des ›finsteren Mittelalters‹, sondern der Frühen Neuzeit, der Zeit ab 1500.
Biblisch begründet, nach dem Alten Testament (Exodus 22,17), war die Strafe für Zauberei der Tod. Die Strafe des Feuertods hingegen wurde aus dem Neuen Testament entlehnt (Johannes 15,6) und in die frühe deutsche Rechtsprechung übernommen. Die Hexerei war mit dem konfessionellen wie auch mit dem allgemeinen Glauben an übernatür liche Kräfte verbunden, die Zauberei ermöglichten. Damit war die Vorstellung von der Hexerei ein kulturelles gedankliches Konstrukt, das juristisch als Verbrechen eingestuft wurde und so die Verfolgung von Menschen auslöste. Im Zuge der Aufklärung erst wurde die Verfolgung von Hexen eingestellt.
Auch heute noch gibt es den Glauben an Hexen und Menschen, denen zauberische Fähigkeiten zugeschrieben werden, vornehmlich in Afrika und Südamerika. In westlich geprägten Ländern des 20. Jahrhunderts hat das Bild der Hexe seit dem frühen 19. Jahrhundert eine romantisch verklärte Prägung erfahren, in der die ›böse Hexe‹ der Grimm’schen Kinder- und Hausmärchen der guten Hexe Hermine oder Bibi Blocksberg gegenübersteht.
Die Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit war nicht nur Ergebnis theoretischer Beschäftigung mit der Frage, wie der Teufel Besitz von Menschen ergreift, Auslöser konnten auch Krisensituationen sein. Unwetter konnten zu Missernten führen, die eine Teuerung des Getreides bewirkten, in deren Folge es zu Hungersnöten kommen konnte, die wiederum Seuchen nach sich zogen. In derartigen existenziellen Notlagen neigten Menschen immer wieder dazu, einen Sündenbock zu finden.
Die immer noch präsenten Behauptungen, mit der Verfolgung von Hexen hätten Männer gezielt ›weise Frauen‹ und ihr spezifisches Wissen über natürliche Heilkräfte oder eine Berufsgruppe wie die Hebammen vernichten wollen, lassen sich für Hessen nicht aus den Quellen belegen. Dennoch waren es auch hier vor allem Frauen, die wegen des Vorwurfs der Zauberei in den Hexenprozessen vor Gericht standen.
Dies hatte sicher weniger mit der patriarchal geprägten Gesellschaftsstruktur zu tun. Vielmehr lag es vor allem daran, dass die traditionell weiblichen Tätigkeiten im Haushalt wie das Aufziehen von Kindern, die Krankenpflege, die Versorgung von Menschen und Tieren und das Zubereiten von Mahlzeiten unmittelbare Auswirkungen auf das Befinden von Mensch und Tier hatten. Die Begründung, man fühle sich nicht gut, sei krank, oder es sei jemand gar gestorben nach dem Genuss einer Mahlzeit, eines Getränks oder durch die Berührung einer Person mit zweifelhaftem Ruf, bot Vorstellungen von Zauberwirkungen oder »›Vergiftungen« Raum. Dies konnte auch für Tiere gelten, die krank wurden, für Kühe, die keine Milch mehr gaben oder verendeten. Tatsächlich wurde der Begriff »Vergiftung« weniger konkret verstanden, sondern symbolisch, denn »veneficus«, der Giftmischer, war das Synonym für »Zauberer«.
Die Vorwürfe gegen Angeklagte in den Hexenprozessen hatten ihren Ursprung zumeist in den angesprochenen Alltagssituationen. Sie basierten damit auf einem Unverständnis von Ursache-Wirkung und auf Vorstellungen von Aberglauben. Für die Prozesse war maßgeblich, dass die Zeugenaussagen auf die Weiterführung oder die Einstellung eines formal eingeleiteten Verfahrens einen erheblichen Einfluss hatten. Zumal aus der heutigen Distanz wird zuweilen auch deutlich, dass in den juristischen Verfahren menschliche Schwächen wie das egoistische Wegsehen oder das opportunistische Mitmachen, um nicht selbst in den Sog eines Verfahrens gezogen zu werden, eine Rolle spielen konnten.
Mit dieser Ausstellung leistet das Hessische Staatsarchiv Marburg seinen Beitrag zum Themenjahr »Hexenglaube und Hexenverfolgung in Marburg« der Universitätsstadt Marburg, das sich zum Ziel gesetzt hat, an die von den Hexenprozessen in Marburg betroffenen Menschen zu erinnern. Auf Grundlage des im Staatsarchiv verwahrten Aktenmaterials wurde jedoch die Perspektive über die Stadt Marburg hinaus erweitert. Es ist weiter unklar, wie viele Prozesse im Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen geführt und wie viele davon mit der Hinrichtung der angeklagten Person endeten. Klar ist hingegen, dass für Hessen von einer eher geringen Verfolgungsdichte ausgegangen werden kann, während im Vergleich dazu etwa im fränkischen Teil Bayerns oder in Teilen des heutigen Nordrhein-Westfalens von einer deutlich höheren Verbreitung von Hexenprozessen auszugehen ist.
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