Flugschriften der 1848er Revolution aus Hessen
von Roland Müller
"Franzosen! Hochherzige Brüder! Aus mehrjähriger mitternächtiger Stille ist bei Euch plötzlich ein neues Feuer emporgestiegen, dessen Anbruch und Verbreitung wir mit Staunen und Bewunderung gesehen haben. Dreimal hat nun bereits der große Genius Frankreichs seit 1789 ganz Europa in fieberhafte Bewegung gesetzt..." So beginnt eine zweiseitige Lobeshymne auf das revolutionäre französische Volk, die Anfang März 1848 als Flugschrift in Marburg verteilt wurde (Dok. 1.1). Sie stammt von dem Philosophie-Professor Karl Theodor Bayrhoffer.
Die drei Bewegungen, die jeweils in Frankreich ihren Anfang nahmen (1789, 1830 und nun im Februar 1848) waren im Kern gegen die Vorherrschaft des Adels gerichtet. Dem deutschen Adel gelang es aber immer, mit einer Mischung aus Zugeständnissen und militärischer Gewalt seine Vorrechte zu behaupten. Das war auch diesmal nicht anders. Aber dazwischen schuf die Revolution für viele Monate einen Raum, in dem öffentlich mit großem Engagement über die Gestaltung der Zukunft gestritten wurde. Dieser Raum der Möglichkeiten soll hier anhand von Flugschriften aus Kurhessen und bevorzugt aus Marburg betrachtet werden. Sie stammen aus einer Sammlung (Sammlung 16a) im Staatsarchiv Marburg. In diesen Flugschriften wurde informiert, es wurden Bitten und Forderungen formuliert, Unterschriften gesammelt und zu Demonstrationen aufgerufen.
Ein besonderes deutsches Thema war die Zersplitterung in viele kleine Länder. Allein das heutige Hessen beherbergte derer sechs: Die Landgrafschaft Hessen-Homburg, die Freie Stadt Frankfurt, das Fürstentum Waldeck, das Herzogtum Nassau und die beiden Schwergewichte Großherzogtum Hessen im Süden mit Sitz in Darmstadt und das Kurfürstentum Hessen im Norden und Osten mit Sitz in Kassel. Hinzu traten Landflecken, die zu Preußen oder Bayern gehörten.
Die Besonderheit in Kurhessen war: Es verfügte seit 1831 (als Folge der Aufstände von 1830) über eine der fortschrittlichsten Landesverfassungen im Vergleich der deutschen Länder, dafür aber auch über eine herausragend schlimme Verfassungswirklichkeit. Der Kurfürst hatte die Verfassung nur ungern gewährt und anschließend alles dafür getan, möglichst wenige Rechte auch Wirklichkeit werden zu lassen. So garantierte die Verfassung durchaus Meinungsfreiheit, aber gleichzeitig wurde für alle Veröffentlichungen eine strenge Zensur angewandt und Professoren, deren Meinung der Obrigkeit nicht gefiel, wurde die Lehrerlaubnis entzogen, wie etwa auch Professor Bayrhoffer.
Unbeliebt machte die jüngsten beiden Kurfürsten auch ihr außereheliches Sexualleben. Das hatte weniger moralische Gründe, sondern materielle, denn alle unehelichen und damit nicht erbberechtigten Kinder wurden großzügig entschädigt. Das stand in Kontrast zur Armut in Kurhessen. Leinen und Eisen aus eigener Produktion war gegen die industrielle englische Waren nicht konkurrenzfähig. Das Handwerk klagte über Auftragsmangel. Missernten machten Lebensmittel knapp und teuer. Etliche suchten sich Saisonarbeit in Westfalen oder versuchten, in die USA auszuwandern.
Literatur
Stichnothe, Karin (Hg.): Marburg und die Revolution von 1848, Marburg 1999
Böhme, Klaus/Bernd Heidenreich (Hg.): "Einigkeit und Recht und Freiheit." Die Revolution von 1848/49 im Bundesland Hessen, Opladen u. Wiesbaden 1999
Hessisches Landesinstitut für Pädagogik (Hg.): "... und ein helleres und schöneres Licht beginnt den Völkern zu tagen!" Die Revolution von 1848 in Hessen und ihr Scheitern. Projektideen für den Unterricht, Wiesbaden 2002
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