Acta Pacis – Bündnisse und Friedensschlüsse in Hessen
Von Karl Murk
„Acta Pacis“ – damit verbinden Historiker ein mittlerweile auf weit über 40 Bände angewachsenes Editionsprojekt, das seit 1962 sorgfältig ausgewählte und kommentierte Quellentexte zur Geschichte des Westfälischen Friedenskongresses vor allem aus dem Zeitraum 1643 bis 1648 darbietet. Die hier dokumentierte Ausstellung, die vom 9. Oktober 2013 bis 30. Mai 2014 im Foyer des Staatsarchivs Marburg gezeigt wurde, spannte den zeitlichen Bogen weiter und zeigte „Acta Pacis“ vom 14. bis ins 20. Jahrhundert. Dabei wurde Wert auf die Präsentation eines möglichst breiten Spektrums an einschlägigen Schrift- und Bildquellen aus den reichhaltigen Beständen des Staatsarchivs Marburg gelegt. Leihgaben stellte auch das Archiv der Philipps-Universität Marburg zur Verfügung. Bei der Auswahl kam es nicht nur auf den Inhalt und die politische Relevanz, sondern auch auf den exemplarischen Charakter oder den ästhetischen Reiz einer Urkunde, eines Aktenschriftstücks oder Druckerzeugnisses an. So wurden neben wichtigen diplomatischen Noten, Depeschen, Denkschriften und Verträgen auch Friedensallegorien, deren Symbolgehalt sich dem heutigen Betrachter nicht mehr ohne weiteres erschließt, oder Chiffrierschlüssel und Reisepässe, die den diplomatischen Alltagsbetrieb illustrieren, präsentiert.
Die Themenblöcke sind chronologisch gegliedert: Auf unterschiedliche Formen der Streitschlichtung und Friedenssicherung im 14. und 15. Jahrhundert folgen ausgewählte neuzeitliche Friedensschlüsse vom 16. bis ins 20. Jahrhundert, wobei jedem Säkulum je eine Vitrine zugestanden wurde. Das Spätmittelalter ist mit Gottes-, Land- und Burgfrieden vertreten, das 16. Jahrhundert mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, das 17. Jahrhundert mit dem Westfälischen Frieden von 1648, das 18. Jahrhundert mit zwei Friedenspaketen, den Friedensschlüssen von Utrecht, Rastatt und Baden (1713/14) und dem Doppelfrieden von Hubertusburg und Paris (1763), das 19. Jahrhundert mit der Wiener Kongressakte von 1815, das 20. Jahrhundert mit dem Versailler Vertrag von 1919. Die Aufzählung zeigt: Es geht um große Politik, um Verhandlungen und Verträge von reichs- und europaweiter, mitunter sogar von globaler Bedeutung. Bei fast allen Friedensschlüssen handelte es sich um epochale Ereignisse, die die Geschicke Deutschlands, Europas und der Welt für Jahrzehnte, mitunter gar für Jahrhunderte bestimmten, die lange und blutige Kriege, wie den Dreißigjährigen Krieg, den Spanischen Erbfolgekrieg, den Siebenjährigen Krieg oder den 1. Weltkrieg, beendeten, Glaubensstreitigkeiten einhegten, dynastische und nationalstaatliche Machtkonflikte lösten, manchmal aber auch Rachegefühle weckten und zu neuen Metzeleien führten.
Der Geltungsbereich der hier dokumentierten Friedensschlüsse wird von Jahrhundert zu Jahrhundert oder von Abschnitt zu Abschnitt ausgeweitet. Geht es in den 1399 bzw. 1439 geschlichteten Fehden zwischen den Grafen von Ziegenhain und Landgraf Hermann II. von Hessen (Dok. 1.3) bzw. zwischen den Grafen von Waldeck und Erzbischof Dietrich von Mainz (Dok. 1.4) noch um Streitgegenstände von lokalem oder regionalem Zuschnitt, so treten mit dem auf dem Wormser Reichstag von 1495 verkündeten „Ewigen Landfrieden“ (Dok. 1.5) die reichsweiten Bezüge in den Vordergrund. Um den Reichsfrieden ging es auch 1555 in Augsburg und zwischen 1643 und 1648 in Münster und Osnabrück. Im Westfälischen Frieden von 1648 brachte die völkerrechtliche Garantie der deutschen Reichs- und Religionsverfassung durch Frankreich und Schweden Europa ins Spiel. Um eine kontinentale Friedensordnung rangen die Diplomaten auf den Kongressen in Utrecht, Rastatt und Baden (1713/14) und in Wien (1814/15). Die Pariser Friedensschlüsse von 1763 und von 1919/20 beendeten kriegerische Auseinandersetzungen mit Weltkriegscharakter, den siebenjährigen Kolonialkrieg zwischen England und Frankreich, der u. a. in Nordamerika, der Karibik und Indien ausgefochten wurde, bzw. den 1. Weltkrieg, und bezogen mehr oder weniger erfolgreich auch die außereuropäische Welt in die europäische Friedensordnung mit ein.
Fast jeder Friedensschluss stand unter einer bestimmten Leitidee, die der Epoche ihren Stempel aufprägte. Im Gottesfrieden, den Wilderich von Vilmar 1377 mit Graf Ulrich von Hanau verabredete (Dok. 1.2), manifestiert sich die für das Mittelalter charakteristische enge Verbindung zwischen weltlicher und geistlicher Machtsphäre in der Form, dass Friedensbruch mit geistlichen und weltlichen Strafen geahndet wird. Der „Ewige Landfrieden“ von 1495 (Dok. 1.5), der ein absolutes Fehdeverbot im Reich verhängte und jede gewaltsame Selbsthilfe mit der Reichsacht bedrohte, war ein Markstein im Prozess der Verrechtlichung des Reiches und der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols. Auch die großen Friedensschlüsse der Neuzeit waren nach einem oder mehreren übergreifenden Ordnungsprinzipien gestaltet: Der Augsburger Religionsfriede vom 25. September 1555 und der Westfälische Frieden vom 24. Oktober 1648 schufen eine paritätische Reichs- und Religionsverfassung, ohne die das aus unterschiedlichen Glaubensrichtungen bestehende Heilige Römische Reich als Rechts- und Friedensordnung nicht hätte fortbestehen können. Die gegen die französischen Hegemonialbestrebungen zunächst Ludwigs XIV., dann Napoleons gerichteten Friedenskongresse von Utrecht, Rastatt und Baden (1713/14) und von Wien (1814/15) basierten auf dem Grundsatz des Gleichgewichts der Kräfte, zielten auf die Schaffung eines fein austarierten Machtausgleichs in einem pluralistischen Staatensystem, das in der zeitgenössischen Diplomatensprache als „europäisches Konzert“ bezeichnet wurde. Nach den Turbulenzen, die die Französische Revolution und die napoleonische Machtexpansion in Europa ausgelöst hatten, erfolgte die Restauration und Neugestaltung Europas auf dem Wiener Kongress 1814/15 sowohl in außenpolitisch-dynastischer Hinsicht als auch im Hinblick auf die innere Staats- und Gesellschaftsordnung der beteiligten Mächte unter dem Schlagwort der Legitimität. Die Pariser Vorortverträge von 1919/20 schließlich waren maßgeblich geprägt vom Nationalitätenprinzip in Form des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Dass dies Recht dem besiegten deutschen Reich nicht oder nicht konsequent zugebilligt wurde, trug mit dazu bei, das Friedenswerk in Deutschland in Misskredit zu bringen.
Auch wenn es in unserer Ausstellung nicht oder nicht primär um hessische Landesgeschichte geht, spiegelt die Quellenauswahl doch zwangsläufig auch die spezifisch hessische Sichtweise auf die Ereignisse wider. Die Instruktionen und Gesandtenberichte geben Auskunft darüber, ob und inwieweit die Landgrafen von Hessen bzw. Hessen-Kassel, späterhin die Kurfürsten von Hessen in die Friedensverhandlungen involviert waren. Bis zum Verlust der staatlichen Eigenständigkeit 1866 war dies fast immer der Fall, mal mehr, mal weniger. Mangels Macht und Ressourcen agierte man nur selten an vorderster Front. Die hessischen Bevollmächtigten saßen im Konzert der Großen meist am Katzentisch oder verfolgten das Geschehen von den Besucherrängen. Ihre Verhandlungspositionen ergaben sich aus der Glaubenszugehörigkeit des Herrscherhauses, aus dynastischen, finanziellen und sicherheitspolitischen Erwägungen, aus der strategischen Lage des Territoriums, das als Durchgangsland von Nord- nach Süddeutschland immer wieder Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen war.
1555 begegnet uns ein zögerlicher, von der für ihn demütigenden kaiserlichen Haft gezeichneter Landgraf Philipp, der bei der Unterstützung seiner Glaubensgenossen auf dem Augsburger Reichstag Vorsicht walten lässt und jede Konfrontation mit dem Kaiser und König vermeidet (Dok. 2.2). Ganz anders 1648 Landgräfin Amalie Elisabeth, deren Geschäftsträger in Münster und Osnabrück (Dok. 3.4 - 3.6) forsch gegen die Machtpositionen der kaiserlich-katholischen Partei anrennen, maßgeblichen Anteil an der Gestaltung des Reiches im ständischen Sinne und an der Einbindung Schwedens und Frankreichs in das Vertragswerk haben. 1713/14 legt Landgraf Karl in Utrecht, Rastatt und Baden großen Wert auf die „securitas imperii“, die Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen des Reiches gegenüber Frankreich, auf Geldzahlungen, die es ihm ermöglichen, sein stehendes Heer beizubehalten, sowie auf die erb- und eigentümliche Übertragung der Festung und des Amtes Rheinfels (Dok. 4.2, 4.8). Gut einhundert Jahre später ist sein Urenkel Wilhelm I. nach dem Schiffbruch, den das Kurfürstentum 1806 erlitten hat, auf dem Wiener Kongress vornehmlich darauf bedacht, die mit Glück zurück gewonnene Herrschaft zu stabilisieren und rangmäßig gegen die süddeutschen Könige und die Darmstädter Großherzöge abzusichern (Dok. 51). 1866 verschwindet Kurhessen von der Bühne der großen Politik, das Land wird preußische Provinz. Das schlägt sich auch in unserer Quellenauswahl nieder: Die Dokumente zum Friedensschluss von Versailles wurden Akten entnommen, in denen sich die Probleme der preußischen Provinzbehörden bei der Umsetzung der Vertragsbestimmungen oder die geistig-mentalen Nachbeben, die der Friedensvertrag in der Region auslöste, widerspiegeln. Letztere fanden ihren Niederschlag u.a. in studentischen Entschließungen „gegen das Versailler Diktat“ und für die „Wiederherstellung der deutschen Ehre“ (Dok. 7.11) oder – ein ganz finsteres Kapitel – in Hetzkampagnen gegen jüdische Mitbürger, die vermeintlichen „Nutznießer des deutschen Todfriedens“ (Dok. 7.3).
Im letzten Ausstellungsabschnitt verlassen wir das diplomatische Parkett und wenden uns den Friedensfesten zu. Die sorgfältig inszenierten Feiern anlässlich von Friedensschlüssen preisen die Wiederherstellung von Sicherheit, Ruhe und Ordnung. Sie tragen damit sowohl den stabilisierenden Intentionen der jeweiligen Obrigkeit als auch den in der Bevölkerung verbreiteten Stimmungen und Gefühlen Rechnung. Lang aufgestaute Friedenssehnsucht, Erleichterung und Freude über das Ende von Tod und Zerstörung, Hunger, Not und Elend manifestieren sich in Menschenaufläufen und Jubelszenen auf öffentlichen Plätzen (Dok. 8.2), in Gottesdiensten und Fackelumzügen (Dok. 8.8), Feuerwerken (Dok. 8.4; 8.5), Ehrenpforten (Dok. 8.6), Konzerten (Dok. 8.11) und Zechgelagen. Die symbolpolitisch aufgeladenen Feierrituale sind immer auch Dankbekundungen gegenüber dem friedensstiftenden Landesherrn und Lobpreisungen Gottes.
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