Editorische Vorbemerkung: Die DigAM-Dokumentation "Die Republik von Weimar. Demokratie ohne Demokraten?" ist die erweiterte Online-Version des gleichnamigen Quellenheftes von Reinhard Neebe aus der Reihe "TEMPORA Quellen zur Geschichte und Politik", Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1987, Nr. 490250. Die Internet-Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Klett-Verlags.
EinführungDie Frage nach den Ursachen für das Scheitern der Weimarer Republik gehört zu den Grundfragen der deutschen Geschichte, und sie steht zu Recht in einem Mittelpunkt des historischen und politischen Interesses. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie zwischen 1918 und 1933 darf dabei allerdings nicht auf eine bloße „Vorgeschichte” der Machteroberung Hitlers am 30. Januar 1933 reduziert werden. Die Weimarer Republik war trotz aller besonderen Belastungen nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
Jene Epoche, die mit einer Weichenstellung von weltpolitischer Tragweite endete, stand im Schnittpunkt von zwei gegensätzlichen Entwicklungssträngen der deutschen und europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, nämlich einer liberal-parlamentarischen, demokratischen Traditionslinie einerseits und einer obrigkeitsstaatlichen, vorbürgerlich-feudalen Kontinuität andererseits. Der Sieg des Nationalsozialismus in Deutschland war in diesem Sinne nicht nur im Selbstverständnis des „Dritten Reiches” zugleich auch die erfolgreiche Gegenrevolution gegen die Grundideen der Aufklärung und der bürgerlichen Revolutionen, also gegen Demokratie, Parlamentarismus, Liberalismus und Legalität.
Gewiß waren die Rahmenbedingungen für die Weimarer Demokratie vergleichsweise ungünstig: Die Republik hatte die wirtschaftliche und politische „Erblast” der nicht akzeptierten militärischen Niederlage des kaiserlichen Deutschland im Ersten Weltkrieg zu tragen, und sie war durch den als „Diktat” empfundenen Friedensschluß von Versailles und die Tributzahlungen" der Reparationen innen- und außenpolitisch gehandicapt. Sie sah sich ferner mit den Problemen des rapiden sozialen Wandels im Übergang zwischen einer nach wie vorvorindustriell geprägten Gesellschaft zur modernen Industriewirtschaft konfrontiert, und sie operierte vor dem Hintergrund der langfristigen ökonomischen Stagnationsperiode der Zwischenkriegszeit mit dem säkularen Ereignis der Weltwirtschaftskrise in den Jahren zwischen 1929 und 1933.
Gleichwohl waren die wirtschaftlichen und politischen „Zwangslagen” nicht so, daß der Sieg Hitlers schließlich unabwendbar gewesen ist. Obwohl andere Länder von der Weltwirtschaftskrise gleichermaßen, teilweise sogar noch stärker, betroffen waren, blieb Deutschland der einzige hochentwickelte Industriestaat, in dem sich der Faschismus durchsetzen konnte. Auch die Weimarer Demokratie hatte in den Jahren der Großen Krise zu Beginn der 30er Jahre noch ihre Chance.
Die vorliegende Quellenzusammenstellung sieht es als eine wesentliche Aufgabe an, neben der Darstellung von „Zwangslagen” auch deutlich zu machen, wo „Handlungsalternativen und Handlungsspielräume” gegeben waren. Dabei ist vor allem zu fragen, wie die Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die vorhandenen Spielräume innerhalb vorgegebener Strukturen und Prozesse nutzten, wo also auch persönliche Verantwortung für Erfolg oder Mißerfolg der Weimarer Demokratie und den deutschen „Sonderweg” in der Krise benannt werden muß.
Diesem Frageansatz folgend, liegt ein besonderer Schwerpunkt des Quellenmaterials in der Ära der Präsidialkabinette 1930 -1933. In dieser Zeit wurde der Nationalsozialismus zur Massenbewegung, und hier vollzog sich die stufenweise Durchbrechung des demokratisch-parlamentarischen Systems von Weimar (Kap. IV), die eine wesentliche Voraussetzung für die Errichtung der faschistischen Diktatur bildete. In diesen Jahren fielen auch die grundlegenden Entscheidungen, die Hitler den Weg in die Reichskanzlei schließlich möglich machten (Kap. V–VI). Breiter dokumentiert sind ferner die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen: Dies bezieht sich zunächst auf die Grundlagen des Weimarer „Systems” (Verfassungsordnung – Machtverhältnisse) und die entscheidenden Weichenstellungen 1918/19 bis 1924/25, dem Beginn der relativen Stabilisierung (Kap. 1 und II). Grundprobleme der Sozialstruktur und des sozialen Wandels werden vor allem in Kap. III aufgegriffen. Im Sinne eines Perspektivenwechsels soll hier auch „Betroffenheit” im Alltag unterschiedlicher sozialer Gruppierungen aufgezeigt werden. Gleichwohl dominiert die „große" Geschichte. Dies ist aber notwendig, wenn die zentralen Fragen nach den Ursachenzusammenhängen des 30. Januar 1933 überhaupt angesprochen werden sollen. Ein besonderes inhaltliches Anliegen ist schließlich, deutlich zu machen, daß entscheidende innenpolitische Weichenstellungen in Deutschland ohne den Wechselbezug mit den Veränderungen des internationalen Systems der Zwischenkriegszeit nicht hinreichend zu verstehen sind. Die Weimarer Außenpolitik (zur Grundproblematik ausführlicher Kap. II, Einleitung S.28) wird deshalb auch nicht separat dokumentiert, sondern sie bleibt eingebettet in den jeweiligen politischen Gesamtkontext (Abschnitte Kap. 1.3, 11.2, IV.2, V.2/3, VI.1 u. a.)
Zur Benutzung des Quellenheftes [bzw. der Online-Dokumentation] abschließend noch einige orientierende Hinweise: Die Auswahl und Zusammenstellung der Materialien ist so erfolgt, daß die selbständige Erarbeitung übergeordneter systematischer Zusammenhänge auch quer zu den jeweiligen Kapitelgliederungen gutmöglich ist. Die Thematik Soziale Schichtung und Mentalität (Kap. III.2) z. B. kann konkretisiert werden anhand verschiedener Quellen zum Wählerverhalten und seiner Interpretation (Kap. IV.4 u. a.). Oder etwa die Frage nach den Problemen der Verfassungsstruktur (Art. 48 WRV) ist in ihrer tatsächlichen Dimension zu erschließen aus einer Kombination der Basisinformationen (Kap. 1.2) einerseits und der zeitgenössischen Debatten und Politikstrategien 1929 ff. (vor allem Kap. IV.4) andererseits. Personenbezogene Querverbindungen zwischen den verschiedenen Texten und Sachzusammenhängen lassen sich mit Hilfe der Kurzbiographien bzw. des Personenregisters (S.127-130) ohne Mühe herstellen. Die Materialien im Anhang (Reichstagswahlen, Parteien, Kabinette, Karten) sowie die Zeittafel, die auf die im Heft dokumentierten Texte unmittelbar Bezug nimmt, sollen im übrigen den selbständigen Umgang mit dem Thema „Weimar” erleichtern. Diesem Zweck dient nicht zuletzt auch das thematische Stichwortverzeichnis am Schluß des Quellenheftes.
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