3. ... in Kassel
Wenige Tage nach dem Kieler Matrosenaufstand erfasste die revolutionäre Woge Kassel. Am Morgen des 9. November 1918 trafen aus Köln kommende Matrosen am Bahnhof ein und entwaffneten den dort stationierten Wachdienst. Nachdem sich die Nachricht von den Ereignissen in anderen Regionen des Reiches unter den Soldaten wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, stellte sich die gesamte Kasseler Garnison hinter die Revolutionäre. Unter Beteiligung von Gewerkschaftern, SPD- und USPD-Mitgliedern wurde nun rasch ein provisorischer Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, dem sich Oberbürgermeister, Polizeipräsident und militärische Führung unterstellten. Bereits wenig später machte das „Casseler Volksblatt“ die Gründung des Rates bekannt, dessen Mitglieder noch am Nachmittag durch eine Volksversammlung auf dem Friedrichsplatz bestätigt wurden. Im Einzelnen setzte sich der Arbeiter- und Soldatenrat aus drei Vertretern der SPD – Georg Thöne, Albert Grzesinski, der den Vorsitz übernahm, und Richard Hauschildt –, zwei Vertretern der USPD – Wilhelm Winter und Karl Eybel – sowie zwei Soldaten zusammen. Eine während der Volksversammlung gefasste Zwei-Punkte-Resolution hielt die ersten Ziele der Revolutionäre fest: Zum einen sollten alle Truppenteile Vertrauensleute der Soldaten wählen, zum anderen forderten sie, Deutschland so rasch als möglich in eine Republik umzuwandeln und umfänglich zu demokratisieren.
Am Abend des 9. November hatte somit die Revolution in Kassel, die schnell und ohne Blutvergießen verlief, die Oberhand gewonnen. Ab dem 10. November stabilisierten sich die Verhältnisse – auch deswegen, weil es in der Stadt zu keiner nennenswerten Amtsenthebung kam. Dies war vor allem der Tatsache geschuldet, dass sozialdemokratische Kandidaten fehlten und eine funktionierende Verwaltung dringend benötigt wurde. Nachdem der Arbeiter- und Soldatenrat als oberstes städtisches Verwaltungs- und Kontrollorgan etabliert war, erklärte er sich am 11. November auch zum „Zentralen Arbeiter- und Soldatenrat“ für den Bereich des Regierungsbezirks Kassel. Regierungspräsident Percy Graf von Bernstorff erkannte die zentrale Funktion des Kasseler Rates am selben Tag an. Beide Seiten, die preußische Verwaltung und der politisch gemäßigte Rat, waren bestrebt, eine weitergehende Radikalisierung der Situation zu vermeiden, Ruhe und Ordnung zu bewahren und zwecks Bewältigung der aus dem Krieg resultierenden gewaltigen Aufgaben zusammenzuarbeiten.
Dass der Zentrale Arbeiter- und Soldatenrat dem auf eine Kooperation mit den alten Eliten des Kaiserreiches setzenden Kurs des Rates der Volksbeauftragten folgte, zeigte sich in geradezu symbolträchtiger Weise am 14. November, als die OHL unter Führung von Hindenburgs nach Kassel verlegt wurde. Nicht nur sicherte Albert Grzesinski der OHL den Schutz des Zentralen Arbeiter- und Soldatenrates in der Stadt zu, sondern veranlasste einen angesichts der revolutionären Ziele paradox erscheinenden Zeitungsaufruf, der Hindenburg, Repräsentant par excellence des wilhelminischen Obrigkeitsstaates, die „Verehrung und Hochachtung“ der Stadtbevölkerung sichern sollte. Letztlich war die gemäßigte Haltung des Kasseler Rates ein Grund dafür, dass er als Kontrollorgan und selbstständig agierende Behörde in den folgenden Monaten ein relativ hohes Maß an Einfluss und Gestaltungskraft entfalten konnte.
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