5. Hexenverfolgung in Hessen
Hessen war zu der Zeit der Hexenverfolgung kein einheitlicher Flächenstaat, sondern bestand aus zahlreichen unterschiedlichen Territorien, in denen die Zauberei der Hexen unterschiedlich stark verfolgt wurde. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts gab es verhältnismäßig wenige Hexenprozesse. In der Landgrafschaft Hessen war die zurückhaltende Einstellung Landgraf Philipps des Großmütigen (1504– 1567) dafür ausschlaggebend. Dies änderte sich nach seinem Tod im Jahr 1567 und der damit verbundenen Teilung seines Landes unter seine Söhne.
Während Philipps ältester Sohn, Wilhelm IV. (1532–1592), in Niederhessen ebenfalls maßvoll gegen Hexen vorging, sah das sein jüngster Sohn Georg anders. Landgraf Georg I. von Hessen-Darmstadt (1547–1596), genannt der Fromme, wollte das 1574 in der Kirchenordnung verankerte Zaubereiverbot durch die staatliche Justiz mit allen Mitteln umsetzen. Entsprechend der allgemeinen Tendenz im Alten Reich nahm in Hessen-Darmstadt nun die Zahl der Hexenprozesse zu. Den Höhepunkt bildete die Verfolgungswelle in den 1580er Jahren mit 37 Opfern. Im Kontrast dazu gab es dann im 17. Jahrhundert in Hessen-Darmstadt keine Hinrichtungen von Hexen mehr.
In Oberhessen blieb die Anzahl der Hexenverfolgungen insgesamt verhältnismäßig gering. Unter Landgraf Ludwig IV. von Hessen-Marburg (1537–1604) wurden in Marburg durchaus einige Prozesse gegen Hexen geführt.
Im Lauf des 17. Jahrhunderts veränderte sich die Lage allmählich in Hessen-Kassel. Vor allem die Regentin Hedwig Sophie (1623–1683) und ihr Sohn Landgraf Karl (1654–1730) mahnten zur Zurückhaltung. Letzterer erließ 1702 nur noch eine »Verordnung gegen Sectirer und Schwärmer«, die sich vor allem gegen Widertäufer und den Abfall vom rechten Glauben wandte. Für Zuwiderhandlungen drohten Gefängnis und der Ausschluss vom Abendmahl, also eine auf die Glaubenspraxis abzielende Strafe. Weiter verfügte der Landgraf, dass die Universitäten in der Lehre gegen den Aberglauben angehen sollten. Auch versuchte er, die Kontrolle über die Praxis der justiziellen Hexenverfolgung zu erhöhen, indem er das Samthofgericht in Marburg auflöste und die Rechtsprechung in Beschuldigungen wegen Hexerei im Geheimen Rat in Kassel konzentrierte.
Hingegen wurden Hexen in der Grafschaft Waldeck intensiver verfolgt. Hier machte sich der Einfluss des benachbarten Paderborn bemerkbar, das als eines der Zentren der Hexenverfolgung galt. Auch die schärfere Verfolgungspraxis des angrenzende Kurfürstentums Köln wirkte sich auf Waldeck aus. Aber nicht nur Waldeck, auch Isenburg-Büdingen oder Hanau-Münzenberg erlebten verhältnismäßig starke Hexenverfolgungen.
Die grenzüberschreitende Kooperation in der Strafverfolgung der Hexen schlägt sich in den landesherrlichen Akten nieder. So konnten der Hexerei verdächtigte Personen zwar die Flucht aus einem Territorium ergreifen, doch bedeutete dies nicht, dass sie dadurch der Verfolgung entgingen. In diesem Fall ersuchten die Landesherren ihre Nachbarn um Auslieferung der Entflohenen. Das Zusammenspiel der rechtlichen Instanzen funktionierte.
Hierfür steht exemplarisch der Fall der Engell Fecker, die aus dem mainzischen (Groß-)Krotzenburg nach Marköbel geflohen war. Ein Bote des Mainzer Kurfürsten aus Krotzenburg wurde in Marköbel beim Hanauer Schultheißen vorstellig und bat um deren Auslieferung. Dechant und Kapitel St. Peter in Mainz appellierten zusätzlich an die gute Nachbarschaft beider Territorien und baten den Grafen um Auslieferung der inzwischen in Marköbel verhafteten »Malefitzperson« nach Mainz. Der geschilderte Fall gehört in das Umfeld der großen Hexenverfolgungswelle in Krotzenburg von 1628 bis 1630, der 90 Personen zum Opfer fielen.
Eine Erklärung für die unterschiedliche Intensität der Hexenverfolgung wird heute darin gesehen, dass schwache Landesherrschaften Stärke zeigen wollten. Konsequentes Durchgreifen der landesherrlichen Justiz und die Inszenierung öffentlicher Hinrichtungen stellten eine Demonstration der Macht gegenüber den eigenen Untertanen wie auch benachbarten Territorien dar. Im Unterschied dazu bedurfte es in größeren Territorialstaaten mit einer gefestigten Herrschaft und funktionierenden Rechtsprechung keiner solchen Maßnahmen, weswegen die Hexenverfolgungen dort gemäßigter verliefen.
Hexenverfolgungen wurden nicht nur ausgelöst durch fehlgeleiteten Glauben, Aberglauben, Denunziation oder Habgier und die Durchsetzung von Strafvorschriften. Eine große Rolle spielten durch Klimaverschlechterung oder Krieg ausgelöste Krisenerscheinungen wie Ernteausfälle, Seuchen, Teuerung. Die Suche nach Sündenböcken begann zumeist bei wehrlosen Personen am Rand der Gesellschaft und weitete sich aus.
Da die Geschichte der Hexenverfolgung noch nicht für alle hessischen Territorien aufgearbeitet wurde, ist ihr wahres Ausmaß nicht bekannt. Eine Aufstellung aus dem Jahr 1994 kam auf die Zahl von 1.722 Menschen, die wegen Hexerei hingerichtet wurden. Doch trotz dieser großen Zahl gilt für Hessen, dass die Verfolgungsintensität ungleich geringer war als etwa in Teilen Bayerns oder dem Gebiet des heutigen Baden-Württembergs.
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