2. Das Vergehen der Hexen: Zauberei
Seit Urzeiten hat die Menschheit eine diffuse Vorstellung von übernatürlichen Kräften, die neben verschiedenen Götterexistenzen auch Zauberei durch Menschen kennt. Herrschte im Mittelalter noch ein Glaube an vereinzelte Zauberer und Zauberinnen vor, die durch magische Praktiken in der Lage waren, Schaden- oder auch Heilzauber zu vollbringen, wandelte sich die Vorstellung im Lauf des 15. Jahrhunderts zu dem nur auf Schaden ausgerichteten Zauber und den im Geheimen agierenden Hexen. Der Begriff »Hexe« wird in deutschsprachigen Gerichtstexten erstmals 1419 verwendet.
Prozesse gegen Hexen wurden meistens wegen des Vorwurfs der Zauberei oder der Hexerei geführt. Beide Begriffe wurden während der Frühen Neuzeit synonym verwendet. Entscheidend für den Wandel der Vorstellungen über Zauberei zu einem fast ausschließlich negativ besetzten Begriff waren die Schriften des Dominikaners Thomas von Aquin (1225–1275). Er bezog sich auf die Dämonenlehre des Augustinus (345–430) und prägte in seiner systematischen Dämonologie die Vorstellung von der Zauberei mithilfe des Teufels und von Dämonen.
Wesentlich, auch für das Rechtsverständnis im ausgehenden Mittelalter, war an dem Vorwurf der Hexerei also der Bund mit dem Teufel und der damit verbundene Abfall vom Glauben an Gott. Ausgehend von der schicksalhaften Schrift »Hexenhammer« (»Malleus maleficarum«) von 1487 entwickelte sich der »elaborierte Hexereibegriff«, der fünf Elemente beinhaltete: Den Teufelspakt, die diesen besiegelnde Teufelsbuhlschaft, den Hexenflug – meist zur Teilnahme am Hexensabbat – und den Schadenzauber gegen Mensch und Tier.
Ebenfalls auf den »Hexenhammer« zurückzuführen ist die entschiedene Orientierung auf das weibliche Geschlecht. Basis hierfür ist die auf dem Sündenfall Evas beruhende christliche Vorstellung des schwachen Geschlechts, das besonders anfällig für Verführung durch den Teufel ist. So finden sich auch in den Verhörprotokollen Gleichsetzungen der Angeklagten mit Eva als Personifizierung der Schwäche. Für die Rechtsprechung entscheidend war die Tatsache, dass mit dem Abfall vom Glauben an Gott beziehungsweise vom Landesherrn als dem weltlichen Beschützer des Glaubens ein Majestätsverbrechen vorlag, das wie andere Kapitalverbrechen verfolgt wurde.
Daneben gab es spezifische Delikte, die direkt mit dem Hexenglauben verbunden wurden, wie beispielsweise der Milchdiebstahl. Bei den hier ausgewählten Hexenprozessen ging es meistens um konkrete Schadenzauber, die durch weitere, im Hexereibegriff eingeschlossene Vergehen der Angeklagten ergänzt wurden. Der zur Anzeige gebrachte Schaden war in der Regel konkret erfahrbar, indem ein Mensch oder ein Tier krank wurde oder verstarb. Auch wenn eine Kuh keine Milch mehr gab oder die Milch nicht mehr zu Butter verarbeitet werden konnte, wurde die Erklärung in der Zauberei gesucht. In einer Kombination von Volks-(Aber-)Glauben und religiös fundierten Vorstellungen suchte man Begründungen für unerklärliche Phänomene. Diese Entwicklungen gehen einher mit einem allgemeinen Menta litätswandel ab der Mitte des 16. Jahrhunderts von einer weltoffenen, lebenszugewandten und genussfreudigen Diesseitsorientierung hin zu einer dogmatisch-asketischen Jenseitsorientierung, und das unabhängig von der konfessio nellen Orientierung.
Nicht unerheblichen Einfluss hatten auch die Klimakrisen der Frühen Neuzeit und die daraus folgenden Missernten, Hungersnöte, Seuchen oder auch Ungezieferplagen. Sie gaben Raum für diffuse Ängste und Schuldzuweisungen. Anlass bot zumeist ein konkreter Schaden, für dessen Auftreten ein teuflisches Motiv unterstellt wurde und für den ein »Hexenprozess« eine Lösung bieten konnte. Individuelle Verunsicherungen und Angst vor tatsächlichen oder vermeintlichen Bedrohungen verbanden sich mit individuellen und kollektiven Interessen politischer, religiöser, konfessioneller, sozialer oder wirtschaftlicher Natur.
Sozialhistorisch auffällig ist, dass unterprivilegierte Personengruppen häufiger verdächtigt oder angeklagt wurden als Vertreterinnen und Vertreter der Oberschicht. Eine Erklärung hierfür ist, dass man davon ausging, dass sie weniger Möglichkeiten hatten, ihre Interessen durchzusetzen und sich deshalb auf die Zauberei verlegten.
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