22. Spanien und die Niederlande
Tafel 22: Reformation in Spanien und den Niederlanden
Gegen Ende seines Lebens wird Karl V. von einer quälenden Frage beunruhigt: Ob er, da unter seiner Regentschaft die Einheit der Kirche zerbrochen sei, dafür im Jenseits zur Rechenschaft gezogen werde. Seinem Sohn und Nachfolger auf dem spanischen Thron, Philipp II., legt er testamentarisch die Bewahrung der kirchlichen Einheit, wenigstens in den spanischen Gebieten, als oberste Pflicht auf.
Philipp II. setzt den väterlichen Auftrag mit aller Härte durch. 1556 kommt es in Sevilla, 1558 in Valladolid zu großen Inquisitionsprozessen gegen „Luteranos“, die jedoch mehr den Ideen Calvins verpflichtet sind als denen Luthers. Diese beiden Prozesse, von denen auch enge Vertraute des Königshauses, z.B. der Sevillaner Erzbischof Carranza, betroffen sind, markieren das Ende einer weltoffenen und durch und durch vom Humanismus geprägten Intellektualität.
Es ist die Stunde der staatlichen Untersuchungsbehörde, des „Santo Oficio de la Inquisición“, die nun jegliche Glaubensabweichung rücksichtslos verfolgt und Spanien vom Rest Europas isoliert.
Noch in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts sind viele Großinquisitoren humanistisch geprägte Intellektuelle wie der Kardinal und Gründer der Universität von Alcalá de Henares, Francisco Jiménez de Cisneros (1436-1517). An den Universitäten wie Salamanca und Alcalá blüht das geistige Leben mit neuen Ideen z.B. zum Status der kolonisierten Völker und zum Völkerrecht (Bernhardino de Sahagún; Francisco de Vitoria).
Das Nachdenken Karls V. über seinen Umgang mit Luther – dem „Ketzer“ – auf dem Wormser Reichstag zieht weitere Kreise, um den Irrtum, der ins Ungeheuerliche gewachsen ist, zu stoppen Es wäre ein Irrtum, die Ketzer nicht zu verbrennen, wie ich irrte, denn ich wäre nicht verpflichtet gewesen, mein Wort zu halten, da ja der Ketzer gegen einen größeren Herrn sündigt, der Gott ist. Es ist die Erfahrung Karls V. mit der Ausbreitung des „Luthertums“, die ihn auch den Humanismus kritisch sehen lässt: Die erasmistischen Ideen bilden das Einfallstor protestantischer Denkweise. Die spanische Inquisition hat ab ca. 1545 sowohl den Humanismus bekämpft als auch alle protestantischen Ansätze um den Preis der Abschottung des Landes erfolgreich zu unterdrücken gewusst. Nur eine elitär-abgehobene „Reformbewegung“ wie die Mystik, wie sie Teresa von Ávila vertritt, fällt nicht unter das Verdikt, solange sie sich scheinbar im Rahmen der römischen Kirche entwickelt.
Zur Reinerhaltung des Glaubens in Spanien ist es notwendig, auch die anderen habsburgischen Territorien durch die Inquisition zu kontrollieren. Das betrifft vor allem die burgundischen Erblande, denn vor allem von Antwerpen aus gelangt protestantisches Schriftgut nach Spanien. Dies führt in den Niederlanden zum erbitterten Kampf des Adels gegen die spanische Krone. 1565/66 vereinigen sich rund zweitausend Mitglieder des niederen Adels zum „Kompromiss der Adligen“. Dessen Anhänger unternehmen 1566 einen Marsch auf Brüssel. Sie fordern von Margarete von Parma, Philipps Generalstatthalterin in den Niederlanden, die Aussetzung der Ketzergesetze. Bis zu einer endgültigen Entscheidung sagt sie zu, die Ketzergesetze nicht mit voller Härte anzuwenden. Diese Zusage wird als Aussetzung der Gesetze ausgelegt. Die Nachricht davon verbreitet sich in Windeseile und führt dazu, dass exilierte und andere in ihren Territorien verfolgte Protestanten, vor allem französische Hugenotten, in die Niederlande strömen.
In den nördlichen Provinzen, unter dem Einfluss Wilhelms von Oranien (1533-1584), verschmelzen das Bekenntnis zum Calvinismus und das Streben nach Unabhängigkeit von Spanien. Die religiöse Identität, mit nationalem Freiheitsdrang verknüpft, hat als Hintergrund die Confessio Belgica von 1561, die ganz im Sinne der französischen Confessio Gallicana von 1559 – von Calvin und Beza mitgetragen – abgefasst ist. Unter den genannten politischen Vorgaben wird der niederländische Protestantismus, der anfangs recht unbestimmt ist und sowohl lutherische als auch täuferische Bestrebungen enthält, durchweg calvinistisch.
Für die Herausbildung einer nationalen Identität in den nördlichen Niederlande spielt der Calvinismus eine entscheidende Rolle. Nach fast 80jährigen Kampf (1568-1648) erhalten die Reformierten in den Friedensverträgen von Münster und Osnabrück die gleichen Rechte wie die Katholiken und die Anhänger der Augsburgischen Konfession.
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