12. Das Marburger Religionsgespräch 1529
Tafel 12: Zeugnis der Einheit oder verpasste Chance?
Das Marburger Religionsgespräch 1529 markiert ein grundlegendes Ereignis in der europäischen Reformationsgeschichte. In Marburg treffen zum ersten und einzigen Male die führenden Vertreter der beiden Hauptrichtungen der reformatorischen Bewegung in Europa, Luther und Zwingli, aufeinander, um nach einer Lösung im Abendmahlsstreit zu suchen. In der Abendmahlsfeier knüpfen die Christen an das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern am Abend vor seiner Gefangennahme und seinem Kreuzestod an, bei dem er seinen Leib in Gestalt von Brot und Wein zum bleibenden Zeichen seiner Gegenwart in der christlichen Gemeinschaft reicht. Während Luther und die Wittenberger glauben, dass im Abendmahlsgottesdienst der wahre Leib und das wahre Blut Christi gegenwärtig sind (Realpräsenz), sehen Zwingli und die Reformatoren aus den oberdeutschen Städten (Zürich, Basel, Straßburg) darin ein Gedächtnismahl, das nur im übertragenen Sinne verstanden werden kann. Die Kontroverse zwischen Luther und Zwingli reicht bis in die Jahre 1524/25 zurück, gewinnt aber bis 1529 eine eminente politische Bedeutung, die weit über einen nur theologischen Bekenntnisstreit hinausgeht.
Unmittelbarer Anlass der Marburger Begegnung ist der 2. Reichstag zu Speyer, auf dem die evangelischen Stände im April 1529 eine "Protestation" gegen die Wiederinkraftsetzung des Wormser Edikts eingelegt und unter maßgeblicher Führung von Landgraf Philipp von Hessen einen geheimen vorläufigen Beistandspakt abgeschlossen haben. Für Philipp ist klar, dass die Protestanten, wie sie sich seit Speyer nennen, nur dann gegen Kaiser und die römische Papstkirche auf Dauer bestehen können, wenn sie in der Lage sind, ihre dogmatischen Gegensätze zu überwinden und sich zugleich auch zu einem politisch-militärischen Bündnis zusammenzuschließen.
Maßgeblicher Gegenspieler Philipps in diesen Fragen ist zunächst Luther selbst, der bereits vor dem Marburger Religionsgespräch seinen eigenen Landesherren, den Kurfürsten Johann von Sachsen, vor dem Bundmachen des hessischen Landgrafen nachdrücklich gewarnt hat, nicht zuletzt weil in einem solchen Bündnis auch die mutwilligen Feinde Gottes, das heißt Zwingli und seine Anhänger, eingeschlossen sein werden. Vor diesem Hintergrund steht das theologische Scheitern des Marburger Gesprächs wohl von vorneherein fest - eine verpasste Chance gleichwohl: Immerhin kann in 14 Punkten der Marburger Artikel - bis auf die Frage der Realpräsenz im Abendmahl in -Artikel 15, dem ausschlaggebenden Exklusionspunkt - eine Einigung erzielt werden. Es ist das einzige gemeinsame Bekenntnisdokument der Evangelischen mit den Unterschriften sowohl Luthers als auch Zwinglis. Mit den wenig später von den Wittenberger Theologen vorgelegten Schwabacher Artikeln wird die dogmatische Spaltung der europäischen Reformationsbewegung dann für annähernd 450 Jahre endgültig fixiert. Erst mit der Leuenberger Konkordie von 1973 kann der Streit überwunden und die Kirchengemeinschaft von lutherischen und reformierten Kirchen begründet werden.
Wenn Landgraf Philipp auch das von ihm angestrebte umfassende Bündnis der Protestanten gegen den Widerstand der Wittenberger in der Bekenntnisfrage nicht zustande bringen kann, so gelingt es ihm in Marburg doch, mit Zürich, Basel und Straßburg einen richtungsweisenden politisch-militärischen Bündnisvertrag zu vereinbaren. Dieses im November 1530 in Kraft getretene Bündnis, das sogenannte "Christliche Verständnis", wird nach dem Tode Zwinglis in der Schlacht bei Kappel (Oktober 1531) zwar keine historische Wirkung mehr entfalten, dient aber als Vorlage für den Schmalkaldischen Bündnisvertrag von 1531 - dann freilich ohne Straßburg und die Schweizer Städte.
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