2. Wandervogelleben
„Wilde Vögel, Wandervögel, ziehn wir durch die Welt. Ohne Sorgen, heut‘ und morgen, wie es uns gefällt.“
Mit diesen Versen warb der Alt-Wandervogel 1911 um Mitglieder. Gemeinschaftliche Wanderfahrten unter Jugendlichen - „Umherziehen“ und „auf Fahrt sein“ - stellten den Mittelpunkt des Wandervogellebens dar.
Man fand sich nach Feierabend, am Sonntag oder in den Ferien zusammen, um das Land zu durchwandern. Komfort und Luxus wurden abgelehnt; es galten die Gebote des einfachen Lebens. Man übernachtete unter offenem Himmel oder erbat beim Bauern eine Unterkunft im Stroh. Das Essen wurde unterwegs selbst zubereitet. Abenteuer stellten sich bei dieser Art des Reisens wie von selbst ein; der „Drang in die weite Welt“ wurde intensiv erlebt, begleitet von romantischem Schauen und Deuten.
Schon früh hatten die Mädchen Anteil an diesen neuen Formen des Jugendlebens. Es bildeten sich sowohl reine Mädchen- als auch geschlechtergemischte Gruppen. Stärker als die gleichaltrigen Jungen mussten viele Mädchen ihre Zugehörigkeit zum Wandervogel gegen häusliche Zwänge durchsetzen und gewannen so ein oft lebensprägendes Stück Freiraum und Selbstbestimmung. Innerhalb der Wandervogelbünde war die „Mädchenfrage“ stark umstritten.
Hinwendung zur ländlichen Volkskultur und Entstehung des Zupfgeigenhansl
Während der Wanderungen entdeckte die Stadtjugend ihre Liebe zur Natur. Die Begegnung mit den „einfachen Leuten vom Lande“ bildete ein häufiges Motiv in den Wandervogel-Zeitschriften und Fahrtenbüchern. Die Wandervögel glaubten, gleich den Vorbildern aus der Romantik (Herder, Grimm), Relikte alter Volkskultur aufzuspüren. Das vermeintlich „heile Landleben“ wurde entsprechend der geläufigen Volkstumsideologie (Jahn, Riehl) und Rousseaus Forderung „Zurück zur Natur“ als Gegenentwurf zur modernen Stadtgesellschaft idealisiert. Elemente der Volkskultur wie Lieder, Tänze und Bräuche hielten Einzug in die Jugendkultur und wurden zu Wesensmerkmalen des Wandervogels. So entstand 1909 der „Zupfgeigenhansl“, eine bis in die Gegenwart dutzendfach wieder aufgelegte Volksliedsammlung des Heidelberger Wandervogels Hans Breuer.
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