8. Ausblick: Blockbildung in Europa 1952-55 ohne Alternative?
Die Unterzeichnung des Deutschland- und EVG-Vertrags am 26. und 27. Mai 1952 machte klar, dass Stalins Versuch, die Westintegration der Bundesrepublik aufzuhalten und möglicherweise durch ein anderes Modell der mitteleuropäischen Ordnung zu ersetzen, zunächst gescheitert war. Die sowjetische Initiative hatte aber auch deutlich gemacht, dass der Westen über kein wirkliches Konzept verfügte, wie die Spannung zwischen Westintegration und Wiedervereinigung, falls die Sowjetunion zu ernsthaften Konzessionen tatsächlich bereit war, zu lösen war. Der für den Westen nach außen hin erfolgreiche Ausgang der »Notenschlacht« des Jahres 1952 bedeutete insofern gerade nicht, dass der Gedanke an eine Wiedervereinigung und eines Friedensvertrages mit Deutschland in den Planungsetagen der westlichen Außenministerien jetzt endgültig ad acta gelegt werden konnte. Da die Zukunft der EVG, trotz der Unterzeichnung der Verträge im Mai 1952, zu Recht als unsicher eingeschätzt wurde, musste vielmehr davon ausgegangen werden, dass die deutsche Frage an oberster Stelle der Tagesordnung der Ost‑West‑Beziehungen bleiben würde. Insofern war es auch folgerichtig, dass das State Department jetzt erstmals begann, sich mit den Bedingungen eines Friedensvertrages mit Deutschland systematischer auseinander zusetzen [51].
Der Übergang zur Administration Eisenhower 1952/53 intensivierte diese Bemühungen. Unter der Ägide von John Foster Dulles wurde in den Jahren 1953 bis 1955 eine Reihe von offensiven Varianten zu der als unfruchtbar empfundenen »Containment»- Politik der Truman-Ära entwickelt [52]. Im Rahmen des Projekts »Solarium« vom Frühjahr 1953 kam es zu einer grundsätzlichen Überprüfung der amerikanischen Politik gegenüber der Sowjetunion [53]. Um die Sowjetunion aus Mitteleuropa und den Satellitenstaaten auf friedlichem Wege zurückzudrängen, erschien eine Wiedervereinigung Deutschlands selbst unter dem Vorzeichen der Neutralisierung als der noch am ehesten zum Erfolg führende Ansatzpunkt. Und George F. Kennan, der von der Eisenhower-Administration noch einmal als Chairman der Planungsgruppe »Task Force A« reaktiviert worden war [54], sprach offen aus, dass eine unter der genannten Zielsetzung angestrebte Einigung Deutschlands in bezug auf die EVG notwendigerweise die Konsequenz eines »quiet death« [55] haben müsse. Dass die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Mitteleuropa im übrigen durchaus innerhalb der Spannbreite der verschiedenen amerikanischen Optionen lag, zeigen nicht zuletzt die kürzlich bekannt gewordenen internen Verhandlungspapiere der USA für die Berliner Viermächte-Konferenz 1954 [56] und selbst noch für die Genfer Gipfelkonferenz vom Juli 1955 [57].
Aus einer anderen Interessenlage heraus verfolgte Premierminister Churchill nach dem Tode von Stalin und den Entspannungssignalen aus Moskau den Plan eines Ausgleichs in Mitteleuropa: Churchill sah Großbritannien dabei ganz nach dem Muster von Locarno neuerlich in der Rolle einer Garantiemacht, die bei der Wiedervereinigung Deutschlands zugleich die französischen und sowjetischen Sicherheitsinteressen zu schützen bereit sei [58]. Wenn auch das Foreign Office derartige Vorstellungen energisch bekämpfte, war Adenauer doch »zutiefst erschrocken« und sah sich noch 1955 genötigt, die britische Regierung nachdrücklich vor der tödlichen Gefahr einer Neutralisierungspolitik zu warnen [59]. (Dokument 12)
Wie bekannt, sind alle diese britischen und amerikanischen Alternativplanungen der Jahre 1952 bis 1955 nicht verwirklicht worden. Das Risiko einer solchen »anderen« Politik war den meisten Beteiligten schließlich zu hoch. Gleichwohl bestätigen die jetzt zugänglichen Akten, dass insbesondere die amerikanische Deutschlandpolitik konzeptionell doch sehr viel »offener« war, als im überlieferten Geschichtsbild bisher vermittelt worden ist.
Der Übergang zur Administration Eisenhower 1952/53 intensivierte diese Bemühungen. Unter der Ägide von John Foster Dulles wurde in den Jahren 1953 bis 1955 eine Reihe von offensiven Varianten zu der als unfruchtbar empfundenen »Containment»- Politik der Truman-Ära entwickelt [52]. Im Rahmen des Projekts »Solarium« vom Frühjahr 1953 kam es zu einer grundsätzlichen Überprüfung der amerikanischen Politik gegenüber der Sowjetunion [53]. Um die Sowjetunion aus Mitteleuropa und den Satellitenstaaten auf friedlichem Wege zurückzudrängen, erschien eine Wiedervereinigung Deutschlands selbst unter dem Vorzeichen der Neutralisierung als der noch am ehesten zum Erfolg führende Ansatzpunkt. Und George F. Kennan, der von der Eisenhower-Administration noch einmal als Chairman der Planungsgruppe »Task Force A« reaktiviert worden war [54], sprach offen aus, dass eine unter der genannten Zielsetzung angestrebte Einigung Deutschlands in bezug auf die EVG notwendigerweise die Konsequenz eines »quiet death« [55] haben müsse. Dass die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Mitteleuropa im übrigen durchaus innerhalb der Spannbreite der verschiedenen amerikanischen Optionen lag, zeigen nicht zuletzt die kürzlich bekannt gewordenen internen Verhandlungspapiere der USA für die Berliner Viermächte-Konferenz 1954 [56] und selbst noch für die Genfer Gipfelkonferenz vom Juli 1955 [57].
Aus einer anderen Interessenlage heraus verfolgte Premierminister Churchill nach dem Tode von Stalin und den Entspannungssignalen aus Moskau den Plan eines Ausgleichs in Mitteleuropa: Churchill sah Großbritannien dabei ganz nach dem Muster von Locarno neuerlich in der Rolle einer Garantiemacht, die bei der Wiedervereinigung Deutschlands zugleich die französischen und sowjetischen Sicherheitsinteressen zu schützen bereit sei [58]. Wenn auch das Foreign Office derartige Vorstellungen energisch bekämpfte, war Adenauer doch »zutiefst erschrocken« und sah sich noch 1955 genötigt, die britische Regierung nachdrücklich vor der tödlichen Gefahr einer Neutralisierungspolitik zu warnen [59]. (Dokument 12)
Wie bekannt, sind alle diese britischen und amerikanischen Alternativplanungen der Jahre 1952 bis 1955 nicht verwirklicht worden. Das Risiko einer solchen »anderen« Politik war den meisten Beteiligten schließlich zu hoch. Gleichwohl bestätigen die jetzt zugänglichen Akten, dass insbesondere die amerikanische Deutschlandpolitik konzeptionell doch sehr viel »offener« war, als im überlieferten Geschichtsbild bisher vermittelt worden ist.
Anmerkungen:
[51] | Siehe vor allem: Rupieper: Deutsche Frage und europäische Sicherheit (wie Anm. 4), S. 179-209, hier S. 180 ff. Ein erster amerikanischer Friedensvertragsentwurf lag am 20. 11. 1952 vor. |
[52] | Ebd., S. 181 ff.; vgl. auch ders.: Wiedervereinigung und europäische Sicherheit: Deutsch-amerikanische Überlegungen für eine entmilitarisierte Zone in Europa 1953. In: MGM 39 (1986), S. 91130. |
[53] | FRUS 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. 111, S. 323 ff.: 9.5.1953 Memorandum Robert Cutler »Solarium Project« (Top Secret). |
[54] | Siehe auch G. F. Kennan: Memoirs 1950-1963. NewYork 1972, S. 181 f. |
[55] | FRUS 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. 11 1, S. 388 ff., hier S. 389: 26. 6. 1953 »Notes Taken at the First Plenary Session of Project Solarium«. Vgl. im übrigen Rupieper: Deutsche Frage und europäische Sicherheit (wie Anm. 4), S. 18 5 f. |
[56] | H.J. Rupieper: Die Berliner Außenministerkonferenz von 1954. Ein Höhepunkt der Ost-West-Propaganda oder die letzte Möglichkeit zur Schaffung der deutschen Einheit?. In: Vfzg 34 (1986), S.428-453. |
[57] | A. Schickel: Washington war nicht dagegen. Wie die USA ein neutralisiertes Deutschland sahen. Die Geheimakte 6993. In: Deutschland-Archiv 17 (1984), S. 590-593. Die Abhandlung basiert auf einer Interpretation des »Intelligence Report No. 6993« vom 12. Juli 1955: »Probleme und Politik eines wiedervereinigten neutralen Deutschlands«. Zum Gesamtzusammenhang der amerikanischen Deutschlandpolitik 1955 siehe im übrigen Rupieper: Deutsche Frage und europäische Sicherheit (wie Anm. 4), hier S. 190-209. |
[58] | J. Foschepoth: Churchill, Adenauer und die Neutralisierung. In: Deutschland-Archiv 17 (1984), S. 1286-1301; R. Steininger: Ein vereinigtes, unabhängiges Deutschland? Winston Churchill, der Kalte Krieg und die deutsche Frage im Jahre 1953. In: MGM 34 (1984), S. 105-144. |
[59] | Aufzeichnung von Sir Ivone Kirckpatrick, 16. 12. 1955, abgedruckt in: J. Foschepoth: Westintegration statt Wiedervereinigung: Adenauers Deutschlandpolitik 1949-1955. In: Adenauer und die Deutsche Frage (wie Anm. 4), S. 29-60 bzw. S. 289f.: Die Westintegration der Bundesrepublik müsse den unbedingten Vorrang vor der Wiedervereinigung behalten, weil er, Adenauer, kein Vertrauen in das deutsche Volk habe und eine künftige deutsche Regierung sich zu Lasten Deutschlands mit Russland verständigen könne. (Dokument 12) |
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