2. Optionen amerikanischer Deutschlandpolitik 1952
Die im vorliegenden Beitrag erstmals abgedruckten Dokumente aus den Akten des Politischen Planungsstabs im State Department vom März und April 1952 bestätigen diesen Befund eindrucksvoll. Eine Analyse dieser Materialien lohnt vor allem deshalb, weil der Nachweis geführt werden kann, dass innerhalb amerikanischer Regierungskreise eine Lösung der deutschen Frage auf der Grundlage der Stalin-Note vom März 1952 durchaus vorstellbar erschien [6]. Die nicht zuletzt von engen Mitarbeitern Adenauers gern eingebrachte These, dass im Westen und in den USA »für jede Art von Neutralisierungskonzept nicht die leiseste Sympathie, sondern eine ganz dezidierte Abneigung bestand« [7], ist in dieser Form unzutreffend, und ihr ist im übrigen auch von kompetenter Seite widersprochen worden [8]. Zum Verständnis der amerikanischen Position sind dabei vor allem zwei Punkte von Bedeutung:
Zunächst einmal nahmen die USA die unübersehbare Spannung zwischen dem Wiedervereinigungswunsch in der deutschen Bevölkerung und der sich durch die Westintegration vertiefenden Spaltung sehr ernst. Nach dem amerikanischen Demokratieverständnis war es schlechterdings unvorstellbar, in einem fundamentalen politischen Entscheidungsprozeß und darum handelte es sich bei der Frage »Wiedervereinigung ja oder nein« zweifellos über den Mehrheitswillen der Bevölkerung und die Öffentliche Meinung einfach hinwegzugehen. (siehe z.B. Paul Sethe, Leitartikel in der FAZ vom 12. März 1952, Dokument 4) Im State Department gingen regelmäßig detaillierte Berichte der Hochkommission (HICOG) in Bonn und der verschiedenen Generalkonsulate ein, die sich ausführlich mit der Stimmung in Westdeutschland und hier vor allem mit der Thematik »neutrality sentiment« auseinander setzten [9]. Es herrschte insgesamt die Überzeugung vor, dass die Wiederherstellung der Einheit Hauptziel der Deutschen sei und dass die amerikanische Politik, nicht nur weil sie dies öffentlich postuliert habe, diesen Faktor ernsthaft in Rechnung zu stellen habe [10].
Wohl noch entscheidender für die »relative Offenheit« der USA in der Deutschlandfrage war indes ein ganz anders gelagerter Wirkungszusammenhang: Die ostpolitischen Konzeptionen der USA befanden sich zu diesem Zeitpunkt in einem starken Wandlungsprozess. Nachdem im Jahre 1949 das amerikanische Atomwaffenmonopol zu Ende gegangen war, trat der Ausbau der militärischen Stärke immer mehr in den Vordergrund, und die Zurückdrängung des Einflussbereichs der Sowjetunion auf ihre Grenzen von 1939 wurde ein Ziel, das von immer größeren Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit vertreten wurde. Im Wahljahr 1952 erreichten die Diskussionen einen Höhepunkt [11]. Größere Meinungsdifferenzen bestanden vor allem hinsichtlich der anzuwendenden Methoden. Hierbei ließen sich, wie auch im Auswärtigen Amt in Bonn mit Aufmerksamkeit registriert worden ist, vier Hauptkonzeptionen unterscheiden [12]:
Die Vertreter des »Roll Back«, vor allem repräsentiert durch Robert A. Taft und John F. Dulles auf dem rechten Flügel der Republikaner, gewannen in der Öffentlichen Meinung erheblich an Einfluss und diskreditierten die Politik des »Containment« als unmoralisch, weil diese ein weiteres Vordringen des Kommunismus nicht verhindert und die Satellitenstaaten noch fester mit der Sowjetunion verbunden habe. Die geforderte neue Offensivpolitik müsse notfalls sogar das Risiko eines dritten Weltkrieges in Kauf nehmen. Diesen Angriffen gegenüber geriet die Truman- Administration mit ihrer bisherigen Politik der Eindämmung durch vorwiegend wirtschaftlichfinanzielle Mittel immer mehr in die Defensive. Außenminister Acheson und der National Security Council (NSC) vertraten jetzt in Übereinstimmung mit dem größeren Teil der Demokraten und dem linken Flügel der Republikaner die Konzeption des »Containment Plus«, d. h. einer Eindämmung der Sowjetunion auf ihren derzeitigen Machtbereich mit allen Mitteln des »short of war«. Eine Politik der »Negotiation« wurde von zahlreichen Intellektuellen und einflussreichen Publizisten, darunter Walter Lippman, Hans J. Morgenthau und James Warburg, verfolgt. Auch der demokratische Präsidentschaftskandidat Stevenson schien mit dieser Konzeption zu sympathisieren. Zielvorstellung der »Negotiation«-Politik war, mit der Sowjetunion sofort Verhandlungen über begrenzte Verhandlungsgegenstände aufzunehmen, da nach dem Verlust des amerikanischen Atombombenmonopols die angestrebte »Befreiung« nicht mehr durch militärische Überlegenheit des Westens bzw. eine »position of strength« erreicht werden könne. Die verschiedenen ostpolitischen Konzeptionen implizierten naturgemäß auch unterschiedliche Positionen in der Deutschland-Frage. Während die Anhänger der »Containment-Plus«- Politik die Integration Westdeutschlands in die westeuropäische Gemeinschaft unter dem vorläufigen Verzicht auf die deutsche Einheit betrieben, befürworteten die Vertreter der »Negotiation«- Konzeption das genaue Gegenteil, nämlich eine Wiederherstellung der deutschen Einheit um den Preis des Verzichtes auf die deutsche Wiederbewaffnung. In diesem Punkte ergab sich paradoxerweise eine Achse zwischen »Negotiation« und »Roll-Back«, nämlich insofern, als beide Richtungen den Rückzug der Sowjetunion zumindest aus Ostdeutschland offensiv vertraten.1. Liberation (Dismemberment, Roll Back),
2. Containment Plus,
3. Negotiation und
4. Containment.
Anmerkungen:
[6] | Steininger (wie Anm. 4), S. 52 ff., diskutiert bereits ausführlicher die Position des Politischen Planungsstabes. Die dortige Argumentation muss aber insofern bruchstückhaft bleiben, als die im Anhang des vorliegenden Beitrages abgedruckten Dokumente seinerzeit noch nicht zur Verfügung standen. |
[7] | Diskussionsbeitrag von Wilhelm G. Grewe auf der Rhöndorfer Tagung am 26. 3. 1981, in: Die Legende von der verpassten Gelegenheit. Die StalinNote vom 10. März 1962. Hrsg. von H.-P. Schwarz. Stuttgart/Zürich 1982, S. 51. Siehe auch W. G. Grewe: Die deutsche Frage in der OstWest-Spannung. Zeitgeschichtliche Kontroversen der achtziger Jahre. Herford 1986, S. 52 f.: »Niemand wollte die Neutralisierung.« |
[8] | Diskussionsbeitrag von Heinz L. Krekeler, dem ersten Botschafter der Bundesrepublik in den Vereinigten Staaten, auf der Rhöndorfer Tagung am 26. 3. 198 1, in: Die Legende von der verpassten Gelegenheit (wie Anm. 7), S. 56. |
[9] | Regelmäßige Berichte in der Dokumentenserie: National Archives, Washington (D.C.) (NA), Record Group (RG) 59, Decimal Files 1950-54, 762A.oo. Alle künftig benutzten Dokumente stammen aus den National Archives bzw. der Harry S. Truman Library, Independence, Miss. |
[10] | Siehe z.B. RG 59, Box 3857, 762A.00/5-652: 6. 5. 1952 Bericht Nr. 2960 HICOG Bonn an State Department »West German Desire for National Unity«. In dem Bericht heißt es resümierend: »Unity is a fixed German goal and the yearning for it among Germans is a significant force in the present world situation. The frustrated German is caught in the dileinma of power polarization between the US and the USSR with bis dismemberment nation a major theater of political conflict [. . .]. He is not persuaded that integration, as sponsored by the Western powers, will assure peace or advance the cause of German unity«. Vgl. im übrigen das unten in Anm. 47 wiedergegebene Zitat aus einem Memorandum von W. P. Armstrong zu dem OIR-Report vom 14. 5.1952. |
[11] | J. L. Gaddis: Strategies of containment. New York 1982, S. 128 ff. |
[12] | Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn (PA, AA), Abt. IV, Ref. 414, Bd 41: Denkschrift des AA: Ostpolitische Konzeptionen in den USA, abgeschlossen 1. 10. 1952. Die folgenden Ausführungen basieren auf der zitierten Denkschrift und reflektieren damit zugleich den 1952 in der Bundesregierung vorhandenen Erkenntnisstand. |
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