2. Waldbewirtschaftung und Forstschutz

Auszüge aus: Volk, Otto, Waldnutzung in Hessen im späten Mittelalter, in: "Weil das Holz eine köstliche Wahre" - Wald und Forst zwischen Mittelater und Moderne, Hg. von Andreas Hedwig, Marburg 2006, S. 21-33.
Unübersehbar ist, dass seit dem 11. Jahrhundert durch die fortgesetzten Rodungen und die Ausbreitung der Siedlungen und ihrer Wirtschaftsflächen überall in Deutschland große Waldflächen vernichtet oder zerstückelt wurden1. Die Rodungen endeten meist im ausgehenden 13. oder in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, nicht nur, weil die schweren Bevölkerungsverluste durch die Pest den Nutzungsdruck verringerten, sondern auch, weil man im Altsiedelland nahezu alle guten Böden unter den Pflug genommen und bereits Grenzertragslagen erreicht hatte. Mehr als die Hälfte der ursprünglichen Waldfläche dürfte in diesen Jahrhunderten durch den Rodungs- und Ausbauprozess verloren gegangen sein. Die natürlichen, weitgehend ungestörten Wälder beschränkten sich danach vielerorts auf Restflächen an den Berghängen und in den Höhen oder auf andere ungünstige Standorte2. Die Wald-Feld-Verteilung, die Mitte des 14. Jahrhunderts erreicht war, hatte vermutlich während des späten Mittelalters im wesentlichen Bestand. Wir müssen uns klarmachen, dass das Bild großer scheinbar unzerschnittener Waldbereiche, etwa des Burgwalds nördlich von Marburg3 oder des Reinhardswaldes nördlich von Kassel4, eben nicht der Wirklichkeit des späten Mittelalters entspricht, sondern weitgehend ein Ergebnis moderner, nachhaltiger Forstwirtschaft ist.
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Die Nutzung des Waldes als zentrale wirtschaftliche Ressource ist im späten Mittelalter ganz offensichtlich dadurch gekennzeichnet, dass man nicht mehr auf bisher ungenutzte Waldungen zurückgreifen, dass man nicht mehr „aus dem Vollen schöpfen“ konnte, sondern allenthalben an Interessen Dritter stieß und unentwegt mit der Regelung von Rechten und Grenzen und mit der Beilegung von Konflikten befasst war. Es sind vor allem diese Regelungen, die einen Niederschlag in den spätmittelalterlichen Quellen, und das heißt in den Weistümern gefunden haben, während die alltägliche Nutzung ansonsten zu den eher schriftlosen Bereichen des Wirtschaftslebens gehört5. Das Bild, das wir uns von den Formen der Waldnutzung im späten Mittelalter machen können, bleibt so in gewisser Weise einseitig, ist aber sicherlich bunter und vielfältiger als für die Jahrhunderte zuvor.
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Der größte Teil der Wälder wurde im Spätmittelalter ohne Zweifel als Mark- oder Allmendwald genutzt6, in dem die Märker, d.h. die Bauern und die Grundherren, über genossenschaftliche Waldrechte verfügten. Der Markwald konnte dabei den Einwohnern eines einzigen Dorfes zugänglich sein oder in gemeiner Mark von mehreren Orten genutzt werden, so dass regelmäßige Absprachen und Vereinbarungen zwischen den Markgenossen notwendig wurden.
Die Waldnutzung stand allen Bewohnern der Mark zu, die über Liegenschaften, d. h. über Grund und Boden, Eigentum oder Leiheland am Ort verfügten. Das Weistum der Mark zwischen Flörsheim und Bischofsheim von 1519 erklärte von den Einwohnern der fünf zugehörigen Dörfer einem jeglichen, der aigen rauch helt, für einen märker, den armen als den reichen, einem als viel als dem andern, aber auch der Landgraf und das Mainzer Domkapitel galten als Mitmärker, wenn sie dort Rauch hielten, also einen eigenen Haushalt führen ließen7. Die Nutzung war stets Naturalnutzung. Sie durfte nur für den eigenen Bedarf in Anspruch genommen und vom Einzelnen nicht an Fremde vergeben werden. Nur die Gemeinschaft der Märker konnte Ausmärker gegen Entgelt zulassen. Dieselben Rechte wie die Bauern hatten auch die grundherrlichen Höfe am Ort, die ohne einen Anteil am Allmendwald in der Regel wirtschaftlich nicht lebensfähig gewesen wären.
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Gegenüber dem frühen Mittelalter fehlen im Altsiedelland vor allem die großen königlichen Forsten mit ihrem siedlungsfernen, weitgehend ungestörten Charakter. Die Könige haben im Hochmittelalter immer wieder ausgedehnte Waldungen, etwa den Rheingauer Wald in der berühmten Veroneser Schenkung von 9838, an Dynasten und Landesherren übertragen oder sogar selbst zur Rodung und Besiedlung freigegeben. An die Stelle des Königs als Eigentümer des Waldes traten stattdessen größere und kleinere Herren9. Die starke Inanspruchnahme der Waldflächen durch Rodung und intensive Nutzung im Spätmittelalter veranlasste viele von ihnen dazu, einen Teil des Bestandes abzusondern, um dort Neubruch und Gemeinnutzung zu verhindern.
- W. Schich, Der hochmittelalterliche Landesausbau im nördlichen Hessen und im Raum östlich der mittleren Elbe im Vergleich – mit besonderer Berücksichtigung der Klöster und Städte, in: I. Baumgärtner / W. Schich (Hrsg.), Nordhessen im Mittelalter. Probleme von Identität und überregionaler Integration (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, 64), Marburg 2001, S. 29-51.
- H. Jäger, Die Entwicklung der Kulturlandschaft im Kreise Hofgeismar (Göttinger Geographische Abhandlungen, 8), Göttingen 1951, S. 17 ff. und Kartenbeilagen.
- H. Boucsein, Der Burgwald. Forstgeschichte eines deutschen Waldgebietes (Veröffentlichungen des Institutes für Forstgeschichte und Forstrecht, 1), Marburg 1955; H.-P. Lachmann, Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte des Burgwaldes im Mittelalter (Schriften des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde, 31), Marburg 1967.
- A. Bonnemann, Der Reinhardswald, Hann. Münden 1984; zuletzt: H.-J. Rapp (Hrsg.), Reinhardswald. Eine Kulturgeschichte, Kassel 2002.
- Eine kurzen Überblick zur Überlieferung von Weistümern in Hessen bei D. Werkmüller, Über Aufkommen und Verbreitung der Weistümer, Berlin 1972, S. 94 f.
- Zur Allmende siehe jetzt U. Meiners / W. Rösener (Hrsg.), Allmenden und Marken vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Beiträge des Kolloquiums vom 18. bis 20. September 2002 im Museumsdorf Cloppenburg, Cloppenburg 2004, darin besonders die Beiträge: M. Speier / A. Hoppe, Waldnutzungen und Waldzustand mittelalterlicher und neuzeitlicher Allmenden und Marken in Mitteleuropa, S. 47-63, und S. Schmitt, Haingericht, Markgenossenschaft und Dorfallmende. Allmendnutzung und Allmendnutzungskonflikte im Mittelrheingebiet, S. 127-140.
- Weistum über den Wald zwischen Flörsheim, Rüsselsheim, Raunheim, Seilfurth und Bischofsheim von 1519, in: Grimm, Weisthümer (wie Anm. 11), Bd. 4, S. 557.
- Mainzer Urkundenbuch. Bd. 1, bearb. von M. Stimming, Darmstadt 1932, S. 138 f., Nr. 226.
- Beispielhaft für den Burgwald: Lachmann, Verfassungsgeschichte des Burgwaldes (wie Anm. 4), S. 44 ff.
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