2. Freisler als Feind des Rechtsstaats und Anwalt des Nationalsozialismus in Hessen (1929-1933)
Roland Freisler, der noch während seiner Referendarszeit in der Kasseler Kanzlei der Anwälte Theodor und Alfred Dellevi – beide deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens – tätig gewesen war, hatte sich seit dem 13. Februar 1924 gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Oswald als Rechtsanwalt in Kassel niedergelassen. Zwischen den promovierten Juristenbrüdern herrschte eine klare Arbeitsteilung: Oswald Freisler war auf Zivilrecht, Roland Freisler auf Strafrecht spezialisiert. Als überzeugter Nationalsozialist der ersten Stunde verteidigte Freisler in zahlreichen Strafprozessen öffentlichkeitswirksam Mitglieder der NSDAP – vornehmlich der SA – die wegen ihrer regen Teilnahme an Saal- und Straßenschlachten, Prügeleien, wegen der Verunglimpfung und Misshandlung politischer Gegner oder wegen Beleidigung der Republikanischen Staatsform auf der Anklagebank saßen.
Freisler avancierte schnell zum „Staranwalt“ des Nationalsozialismus in Hessen, der nicht nur die Straßenschläger der SA vor Gericht häufig mit beachtlichem Erfolg vertrat, sondern auch für die nationalsozialistische Prominenz als Rechtsbeistand tätig wurde. So verteidigte er zum Beispiel Gregor Strasser und – in einer zivilrechtlichen Unterlassungsklage gegen das „Kasseler Volksblatt“ im Dezember 1934 – Adolf Hitler. Die fragwürdige Berühmtheit Freislers als Strafverteidiger zog auch das Interesse des Kasseler Polizeipräsidiums auf seine Person: Kriminalbeamte wurden als Prozessbeobachter eingesetzt, wenn Freisler in einem Strafverfahren mit politischem Tathintergrund die Verteidigung der angeklagten Partei übernahm [Dokument 1].
Eine Klage des Schlossers und SA-Mitglieds Konrad Gerland bot Freisler im Sommer des Jahres 1930 die willkommene Gelegenheit, gegen den Polizeipräsidenten von Kassel, Dr. Adolf Hohenstein, der als Sozialdemokrat und Verteidiger der Republik ein erklärter Gegner der Nationalsozialisten war, eine offiziell Beschwerde einzureichen [Dokument 2]. Gerland hatte in der Nacht vom 5. auf den 6. August gemeinsam mit den SA-Leuten Blankmeister und Gerstenmayer ein Hakenkreuz und eine Wahlaufforderung an die Rathausmauer zur Wilhelmstraße gemalt. Die Polizei konnte ihn nach kurzer Flucht stellen und behielt ihn für eine Gegenüberstellung mit den übrigen Tatverdächtigen bis zum Mittag des nächsten Tages in Haft [Dokument 3]. Freisler erstattete daraufhin im Namen Gerlands Beschwerde gegen den Polizeipräsidenten Hohenstein wegen Freiheitsberaubung. Die Beschwerde erwies sich als haltlos und wurde schließlich vom Regierungspräsidenten zurückgewiesen [Dokument 7].
Wie geschickt Freisler auch als Propagandist des Nationalsozialismus in Hessen agierte, verdeutlicht seine Stellung als „persönlich haftender Gesellschafter“ der nationalsozialistischen Tageszeitung „Hessische Volkswacht“, die am 1. Dezember 1930 aus dem antidemokratischen und antisemitischen Kampfblatt „Der Sturm“ hervorgegangen war. Die Zeitung hatte im Sommer 1931 in mehreren Artikeln eine massive Hetze gegen die Republik – namentlich gegen Reichskanzler Brüning und Regierungspräsident Friedensburg – betrieben, weshalb der Oberpräsident von Hessen-Nassau die Veröffentlichung der Zeitung erst für vier und dann für sechs Wochen verbot [Dokument 8, 9, 10]. Im letzten Fall erreichte es Freisler jedoch, durch eine offizielle Erklärung das Veröffentlichungsverbot auf drei Wochen herabsetzen zu lassen [Dokument 12]. Als im Frühjahr des folgenden Jahres der Polizeipräsident Hohenstein die Auflagenhöhe nationalsozialistischer Zeitungen zur Wahrung des „Osterfriedens“ beschränken wollte, drohte dem preußischen Staat eine Entschädigungsklage durch den Rechtsanwalt Freisler [Dokument 15].
Welchen Einfluss Freislers „Rechtshilfe“ auf die Entwicklung des Nationalssozialismus in Hessen hatte, veranschaulichen auch die höhnischen Pressekommentare der „Hessischen Volkswacht“ über groß angelegte aber weitgehend erfolglose Haussuchungen der Preußischen Polizei in den Geschäftsstellen der NSDAP und ihren paramilitärischen Unterorganisationen SA und SS in den Jahren 1931 und 1932 [Dokument 17, 20]. Just zu dieser Zeit konstatierte der NS-Funktionär Robert Ley nach einer Besichtigung des Gaues Hessen-Nassau-Nord, dass Freisler die direkte Funktion der Gauleitung dort zwar nicht ausübe, er jedoch trotzdem als der eigentliche Führer des Gaues anzusehen sei. Freisler zog zudem seit 1932 als Abgeordneter der NSDAP im Preußischen Landtag durch polemische Anfragen und Redebeiträge verstärkt die politische Aufmerksamkeit auf sich [Dokument 21]. Zum Abschluss der „Machtergreifung“ in Kassel am 30. März 1933 war Freisler bereits über die Grenzen Kurhessens hinaus zu einem einflussreichen Protagonisten innerhalb der NSDAP geworden [Dokument 22].
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