3. Ernährung
Die Ernährungslage in Herford
von Carolin Jarsch
„Erst kommst das Fressen, dann die Moral“ ( Bertolt Brecht, Dreigroschenoper)
Dieses Zitat aus Brechts Dreigroschenoper trifft voll und ganz auf die allgemeine Lage in Herford nach dem Zusammenbruch des NS – Regimes zu. In den Wirren des Machtvakuums „boomte“ der Schwarzmarkt in Herford, der zwar während des Krieges durch harte Strafen in Schach gehalten wurde, jedoch in der Nachkriegszeit nie wirklich eingedämmt werden konnte.
Nach wie vor waren die durch die Ernährungsämter ausgeteilten Nahrungsmittelkarten von größter Bedeutung, wobei das Markensystem der Nationalsozialisten weitgehend übernommen worden war. Auch andere Konsumgüter waren wie ehedem nur „auf Marken“ erhältlich. Während des Interregiums zwischen dem Zusammenbruch des NS-Regimes und dem Einmarsch der amerikanischen Truppen kam es schon bald zu einem Ansturm auf die Sparguthaben, die sich während des Krieges angespart hatten. Die Bevölkerung wollte bares Geld zur Verfügung haben, um in dem allgemeinen Durcheinander der letzten Kriegstage kein Schnäppchen zu verpassen.
Herforder Firmen verkauften in aller Eile ihre Lagerbestände, um diese nicht der anrückenden US-Armee preisgeben zu müssen. So wechselte zum Beispiel eine Kiste Zigarren für 20 Reichsmark den Besitzer, der somit über die äußerst stabile „Zigarrenwährung“ verfügte.
Ebenso verfuhr man mit anderen Konsumgütern. Hinzu kam die Plünderung der Wehrmachtsdepots. Neben Zigarren dienten auch andere Güter, wie z.B. Fleischkonserven oder Schokolade zum Kompensationshandel, d.h. zum Tausch gegen andere Waren. Kein anderes Konsumgut war jedoch so gefragt und daher so sicher wie Zigarren.
Mit dem Kompensationsgeschäft waren der bevorstehenden Besatzungsherrschaft bereits im Vorfeld die gültigen wirtschaftlichen Spielregeln auferlegt worden. Ostwestfalen und somit auch Herford waren zwar von den Amerikanern erobert worden, fielen jedoch bereits Ende 1944 durch das in London ausgehandelte Zonenprotokoll in die britische Besatzungszone Deutschlands.
Aufgrund der günstigen Verkehrslage wählte die 21. britische Armeetruppe, die spätere Rheinarmee, Ostwestfalen zum Sitz ihres Oberkommandos. Die britische Militärregierung richtete Stäbe und Ämter in verschiedenen Städten Ostwestfalens, darunter auch Herford, Bünde und Lübbeke, ein, da sie dort auf intakte und unzerstörte Einrichtungen und Gebäude trafen.
Mit der Beschlagnahmung von Häusern und Wohnungen durch die Militärregierung verloren allein in Herford über 6500 Menschen ihre Bleibe. Als „Besatzungsverdrängte“ trafen sie auf „Ausgebombte“ aus dem Westen und auf die aus den besetzten deutschen Ostgebieten vertriebenen Flüchtlinge, die die Militärregierung in die ländlich strukturierten Gebiete ihrer Zone schleuste.
Die Bevölkerung Herfords setzte sich somit in den ersten Nachkriegsjahren zu einem Drittel aus Evakuierten, Vertriebenen und Flüchtlingen zusammen. In den ersten beiden Nachkriegsjahren lag das industrielle Produktionsniveau lediglich bei 25% des Standes von 1936. Die Wirtschaft sollte im Sinne der Militärregierung ausschließlich der Deckung des Eigenbedarfs und der Grundversorgung der ansässigen Bevölkerung dienen, wobei die Wiederaufnahme der Produktion nur durch die Erlaubnis der Militärregierung, den sogenannten Permit, möglich war.
War die Produktion durch den Permit genehmigt, so stockte sie jedoch oft aus Mangel an Rohstoffen und Energiequellen, oder kam ganz und gar zum Erliegen.
Folgen all dieser Umstände waren allgemeine Wohnungsnot, Nahrungsmittelmangel und soziale Spannungen. Dem Normalverbraucher standen in Herford nach dem Krieg 1500 Tageskalorien „auf Marken“ zur Verfügung. Die Zuteilungen sanken jedoch von Zeit zu Zeit unter diesen Satz bis auf die Hungergrenze von 1000 Tageskalorien ab.
Im Jahre 1947 wirkte sich der globale Getreidemangel auch auf Deutschland aus und schlug sich somit auch in Herford nieder, so daß in der Woche vom 10 bis zum 16 März Nahrungsmittel besonders stark rationiert waren. Im Schnitt erhielten die Einwohner Herfords 3000g Brot und 250g Nährmittel.Jugendliche, Kinder und Säuglinge wurden bevorzugt behandelt. Mütter, Schwer- und Schwerstarbeiter erhielten Zusatzversorgungen. Fleischzuteilungen von 600g für diese Woche waren laut Lebensmittelkarten vorgesehen, erreichten die Bedürftigen jedoch nicht, da das notwendige Schlachtvieh aufgrund widriger Wetterverhältnisse nicht herantransportiert werden konnte. Im Frühling des Jahres 1947 kämpften die Herforder Behörden einen scheinbar aussichtslosen „Kampf mit dem Schreckgespenst des Hungers“
Der Stadt war es aufgrund von Treibstoffmangel und fehlender Reifen für den städtischen Fuhrpark nicht möglich, der Bevölkerung zustehende Rationen abzuholen, so daß 4000 Tonnen Kohle verfielen und sich ein Lieferrückstand von 200 000 Tonnen Nährmitteln auftürmte, die die Bevölkerung dringend brauchte.
Schulspeisungen waren notwendig, da 88% der Schulkinder an Unterernährung litten.
Innerhalb der zu Ablieferungen verpflichteten Langwirtschaft sank die Liefermoral derart elendig, daß die Behörden mir Durchsuchungsbefehlen und Straßenkontrollen dagegen vorzugehen versuchten. Angesichts der Not erwies sich die „Moral der 1000 Kalorien“ jedoch als stärker. Auf dem Zenit der Hungerkrise des Jahres 1947 bat man schließlich die Militärregierung um Unterstützung, da Stadt und Kreis alleine nicht mehr in der Lage waren, die prekäre Situation zu kontrollieren. Der Kreis Herford zählte im November des Jahres 1947 an die 38 100 „Neubürger“ , die sich aus 15 800 „Ausgebombten“ und Evakuierten aus dem Westen und 20 200 Ostflüchtlingen und als volks- und auslandsdeutsch Anerkannten zusammensetzten. Hinzu kamen 2100 „Schwarzgänger“ aus der sowjetischen Besatungszone. Trotz der allgemeinen Not herrschte keine Solidarität, sondern eher Klassenunterschiede zwischen den „Neubürgern“ und den Ostwestfalen.
Konnten die Ortsansässigen ihre Zuteilungen durch die Bewirtschaftung von Gärten und Feldern aufbessern und sich so mit ihren Erzeugnissen am Kompensationsgeschäft beteiligen, so blieb dies wie auch die daraus resultierende Beteilungung am florierenden Schwarzmarkt den Flüchtlingen verwehrt. Im Gegensatz zur Bevölkerung der westlichen Besatungszonen konnten die Flüchtlinge aus den Ostgebieten nicht über ihre Sparguthaben verfügen, womit ihnen ebenfalls der Schwarzmarkt entging.
Literatur:
Abelshauser, Werner, „Zur Vorbeugung der Armuth ...“ : der Kreis Herford im Spiegel seiner Sparkasse 1846 - 1996 (Hrsg. von der Kreissparkasse Herford aus Anlass des 150jährigen Jubiläums im März 1996), Stuttgart 1996, S. 183- 188.
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