3. Wirtschaft und Gesellschaft der 20er Jahre
Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der Weimarer Republik ist in ihren Grundzügen durch den fortschreitenden Industrialisierungsprozeß bestimmt. Dieser Prozeß schlug sich in einer - langfristig gesehen - dramatischen Veränderung der sektoralen Erwerbsstruktur nieder. Die Landwirtschaft verlor rapide an Bedeutung, während der industriell-gewerbliche Sektor und in einer Phasenverschiebung der Dienstleistungsbereich gewannen (s. vor allem Abb. 14 u. 15). Mit der fortschreitenden Ent-Agrarisierung hing zugleich der Trend zur Urbanisierung zusammen.
Die Gesellschaft der Zwischenkriegszeit war durch ihre „Ungleichzeitigkeit" gekennzeichnet. Während Industrie und Gewerbe in der Anzahl der Beschäftigten jetzt die Führung übernommen hatten und tiefgreifende Klassengegensätze das Erscheinungsbild des Weimarer Staates prägten, blieb die Gesellschaft in ihrer Mentalität und ihren Leitbildern überwiegend vorindustriellen und ständischen Wertmustern verhaftet. Dies bezieht sich nicht nur auf die von der sozialen Deklassierung in der Industriegesellschaft vor allem betroffene Landwirtschaft und den alten Mittelstand, sondern auch auf große Teile des Bürgertums. Realgeschichtlich waren die 20er Jahre indes eine Blütezeit des expandierenden Industriekapitalismus: Die modernen Großunternehmungen im Chemie- und Elektrobereich konnten die traditionelle Vorherrschaft der Schwerindustrie brechen, sie formierten sich zu Konzernen und monopolisierten die Märkte, und sie suchten den Ausgleich mit der organisierten Arbeiterschaft (s. Quellen 45 u. 46). Auch bei den Wirtschaftstheoretikern der Arbeiterbewegung war der Optimismus in den 20er Jahren, ungeachtet der hohen strukturellen Arbeitslosigkeit, groß. Im sog. „organisierten Kapitalismus" schien die endgültige Überwindung der bisherigen zyklischen Krisen erreicht, und man sah den Weg in den Sozialstaat und die Wirtschaftsdemokratie untrennbar damit verbunden (s. Quelle 47). Allerdings: diese Schlußfolgerungen teilten selbst die verständigungsbereiten Unternehmer nicht. Trotzdem ist richtig, daß in diesen Jahren wegweisende sozialpolitische Errungenschaften durchgesetzt werden konnten.
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