2. Bildliche Darstellungen
Die dominierende Rolle des Schriftgutes in Archiven hat gelegentlich dazu geführt, die begriffliche Definition der typisch archivischen Quellen mit einer gewissen Exklusivität der Urkunde, dem Aktenschriftstück und dem Amtsbucheintrag zuzuschreiben. Wo sich die historische Forschung ihrer kritischen Methoden bedient, ist denn auch meist die mit dem geschriebenen Wort verbundene Sachaussage, die gesuchte oder auch nur zufällig entdeckte Information und ihr Wahrheitsgehalt Gegenstand der Quellenkritik. Daß darüber hinaus sehr breit gefächerte, mit derselben Quelle verbundene mittelbare Aussagen gleichermaßen bedeutsam sein können, Aufschlüsse über die Formen eines behördlichen Geschäftsganges etwa, ein Wasserzeichen im Papier oder das Ergebnis einer chemischen Tintenanalyse, macht den Sekundärwert solcher Quellen aus.
Das Bild hat sich als Quelle grundsätzlich ähnlichen methodisch-kritischen Fragen zu stellen. Daneben aber verlangt seine Eigenart, die mit dem Ab-Bild der menschlichen Wahrnehmung einen völlig anderen Zugang zur Welt gestattet als das geschriebene Wort, nach ganz eigenständigen Kriterien der Beurteilung des Überlieferungswertes. Das relativ junge Sammlungsobjekt Foto ist in vielen Archiven in großer Zahl als Baustein der zeitgeschichtlichen Dokumentation vertreten. Die Masse der wie auch immer für Benutzungszwecke organisierten Schwarz-Weiß-Abzüge belegt Personen, Orte, Ereignisse des 20.Jahrhunderts. Wir neigen dazu, diesem Produkt der Fototechnik ein verhältnismäßig hohes Maß an Authentizität und Objektivität zuzuschreiben, ist doch der technische Aufwand einer guten Fälschung vergleichsweise groß und die so verschobene Aussage durch Hinzunahme anderer Quellen oft um so leichter zu durchschauen.
Bildliche Darstellungen, von Menschenhand vielfach mit künstlerischem Anspruch gestaltete Betrachtungsweisen, sind gleichfalls wichtige archivische Quellen, mit Fotos indessen in vieler Hinsicht kaum vergleichbar. Ihre Entstehungszwecke und ihre Entstehungszusammenhänge sind völlig andere. Weist sich das Bild als eine von übergeordneten Zwecken weitgehend losgelöste künstlerische Wahrnehmung oder schmückende Gestaltung aus, kann es in Archiven und Bibliotheken zwar ebenfalls als Sammlungsgut (z.B. in einer graphischen Sammlung) verwahrt sein; in der Mehrzahl der Fälle aber besteht das charakteristisch Archivische in der Verbindung mit einem rechtserheblichen Dokument, also auch in der unmittelbaren Verbindung zum geschriebenen Wort. Hier kommt der bildlichen Darstellung ergänzende, erläuternde oder gar beglaubigende Funktion zu.
Ganz augenfällig gilt dies zunächst für die häufig älteste Überlieferungsform der Archive, die mittelalterliche Pergamenturkunde, wo wir in Wachs gedrückte Siegelbilder finden, die der Urkunde anhängen. Notare des späten Mittelalters brachten auf ihren Urkundenausfertigungen ein handgezeichnetes Signet zur Beglaubigung an. Münzbilder dienen noch heute der zweifelsfreien Identifikation und damit der Akzeptanz eines jeweils geltenden Zahlungswertes. Wappenbriefe, Ahnenproben und Standeserhebungen veranschaulichen die erforderlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Privilegs. Schließlich verdanken auch historische Karten ihre Entstehung häufig der Abwicklung von Rechtsfragen, indem sie z.B. Abbild geben von festgelegten Grenzen oder von einem in seinen Nutzungsrechten umstrittenen Wasserlauf.
In Aktenzusammenhängen kann dem Bild eine maßgebliche Rolle für anstehende Entscheidungen zukommen, wenn etwa mehrere zeichnerische Entwürfe für ein und dasselbe Projekt in Konkurrenz treten. Bei bürokratischer Entscheidungsfindung berührt dies die verschiedensten Bereiche, reicht von Farbvorlagen für militärische Uniformen bis hin zu Architekturzeichnungen, die nach getroffenem Beschluß die Grundlage für die genaue Ausführung abgeben.
Die solchen Archivalien immanente Kunst ist mithin häufig die individuelle anspruchsvolle Ausgestaltung bestimmter Formvorgaben. Die Skala der bildlichen Darstellungen reicht auch in dieser Ausstellung von der einfachen Urkundeninitiale bis zu figuralem Schmuck und hier wiederum von der einfachen Wappendarstellung und dem Herrscherbild des Siegels bis zur bilderbuchartigen Illustration eines Rechtstextes. Recht und Religion sind die vorherrschenden Bereiche. Sie scheinen nicht nur in diesem Kapitel auf, sondern durchziehen auch andere Abschnitte der Ausstellung und werden durch die verschiedensten Bilddokumente aus privater Überlieferung ergänzt. W.M.
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