1. Die Flucht und ihre Vorgeschichte
Das Zusammenleben von Deutschen und anderen Völkern, die wechselseitig prägenden oder verletzenden Begegnungen, schließlich die bitteren Erfahrungen miteinander im Zweiten Weltkrieg bis hin zur Vertreibung - dies sind Themen, über die man sicher mehr wissen müßte, um nachvollziehen zu können, mit welchen Erfahrungen und Erwartungen Flüchtlinge und Vertriebene nach Hessen gekommen sind. Hier müssen einige Daten zu Wanderungsbewegungen von West nach Ost genügen, um eine Vorstellung zu vermitteln, wann und wo Deutsche im Osten gelebt haben.
Deutsche Ostsiedlung im Mittelalter und der Frühen Neuzeit
Die Hauptphase der deutschen Ostsiedlung begann im 12. Jahrhundert in Ostholstein und dem Elbe-Saale-Raum, nachdem in Westeuropa die landwirtschaftlichen Erträge beträchtlich gestiegen waren und deshalb die Bevölkerung stärker als zuvor wachsen konnte. Die Siedler wurden von der Aussicht auf eigene Höfe und längere Abgabenfreiheit in den Osten gelockt. Gegenüber der einheimischen Bevölkerung hatten sie zunächst eine bevorzugte Rechtsstellung. Östlich der Elbe-Saale-Linie entstanden die sog. Neustämme: Mecklenburger und Pommern, Schlesier und Ostpreußen. Bis nach Oberschlesien und zum östlichen Sudetenland dehnte sich das Siedlungsgebiet.
Die Hauptphase der Ostsiedlung endete, als die Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts die Bevölkerung Mitteleuropas dezimierte. Bei der deutschen Ostsiedlung der Neuzeit, die im 17. Jahrhundert begann, handelte es sich nur noch um gezielte Ausbaumaßnahmen der Aufnahmeländer. So entstanden deutsche Siedlungsgebiete im Banat, in der Batschka und der Bukowina. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts schließlich siedelten Deutsche auch im Russischen Reich, und zwar vor allem an der Wolga, am Schwarzen Meer und in Wolhynien. Auch in der Dobrudscha und in Bessarabien entstanden deutsche Kolonistendörfer.
Nationalitätenkonflikte in Osteuropa von der Französischen Revolution bis Versailles
Das seit der Französischen Revolution wachsende Nationalgefühl erschwerte die Stellung nationaler Minderheiten, was nicht nur für die Deutschen im Ausland, sondern z.B. ebenso für die Polen im Deutschen Kaiserreich galt. Nach dem Ersten Weltkrieg suchte der Friedensvertrag von Versailles eine neue Friedensordnung zu schaffen. Aus der Erbmasse von Österreich-Ungarn entstanden unter anderem die Tschechoslowakei und Ungarn als neue Nationalstaaten. Auch Polen wurde wieder ein eigener Staat, nachdem es bis dahin zwischen Deutschland und Rußland aufgeteilt gewesen war. Volksabstimmungen sollten dazu dienen, eine möglichst gerechte Grenze zu finden. Doch ergaben sich durch die Art ihrer Durchführung neue Konflikte, zumal vielfach Angehörige verschiedener Nationen nebeneinander wohnten. So lebten auch in den neuen Nationalstaaten weiterhin deutsche Minderheiten. Während über 800 000 Deutsche Polen verließen und nur 350 000 zurückblieben, konnten sich die Sudetendeutschen weiterhin behaupten und somit auf eine Normalisierung ihres Zusammenlebens mit den Tschechen hoffen.
Nationalsozialistische "Lebensraum"-Ideologie
Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus zerschlugen sich allerdings diese Hoffnungen, und die Konflikte verschärften sich. Schon in "Mein Kampf" hatte Hitler erklärt, daß er die Erweiterung des deutschen Lebensraumes im Osten für notwendig halte. Im Münchener Abkommen von 1938 setzte das nationalsozialistische Deutschland den Anschluß des Sudetenlandes an das Reich durch. Die erzwungene Eingliederung der Tschechoslowakei machte aller Welt deutlich, daß es Hitler nicht nur um die Angliederung von Gebieten mit überwiegend deutscher Bevölkerung, sondern um eine rücksichtslose Expansion in Osteuropa ging.
Der Hitler-Stalin-Pakt
Für viele Deutsche im Ausland begannen Flucht und Vertreibung schon bald nach Beginn des Zweiten Weltkriegs. (Dok. 1) In einem geheimen Zusatzabkommen zum Deutsch-So wjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 hatten Hitler und Stalin die beiderseitigen Interessensphären in Ost- und Südosteuropa abgesteckt und dabei schon die spätere Aufteilung Polens vorweggenommen, wie sie nach dem "Blitzkrieg" im September 1939 durchgeführt wurde. Die Deutschen aus dem nunmehr russischen Teil Polens wurden von der SS in den Warthegau umgesiedelt. Den Warthegau und auch den Gau Danzig-Westpreußen hatten die Deutschen zum Reich geschlagen, um für das deutsche Volk "Lebensraum im Osten" zu schaffen, während der noch verbleibende Rest, das sog. Generalgouvernement, einem deutschen Statthalter unterstellt wurde. Hier rekrutierten die Nazis nicht nur Zwangsarbeiter für die deutsche Wirtschaft, sondern es begann auch eine planmäßige Umsiedlungs- und Vertreibungsaktion.
Der Wolhynische Treck
Betroffen von der NS-Umsiedlungspolitik aber waren auch deutsche Minderheiten, die außerhalb der deutschen Grenzen lebten. So wurden 50 000 wolhyniendeutsche Kolonisten im Winter 1939/40 aus der Ukraine in den "Warthegau" umgesiedelt. Für viele unter ihnen war das nur eine weitere Etappe ihres von Verschleppungen gezeichneten Lebens: Im Ersten Weltkrieg waren sie teils von den deutschen Truppen nach Deutschland evakuiert und teils von den Russen nach Sibirien verschleppt worden. Nach Kriegsende war einem Teil von ihnen die Rückkehr in ihr altes Siedlungsgebiet gelungen, das nun zwischen Polen und der Sowjetunion aufgeteilt war. Im sowjetischen Teil Wolhyniens war es in der Zwischenkriegs-zeit wieder zu Verschleppungen gekommen, als die wolhyniendeutschen Bauern sich gegen Zwangskollektivierungen gewehrt hatten. Neben den Wolhyniendeutschen kamen noch 300 000 Umsiedler aus dem Baltikum, aus Bessarabien und aus der Bukowina in die beiden neuen Reichsgaue Warthegau und Gau Danzig-Westpreußen.
"Aussiedlung" der Polen
Um für die deutschen Umsiedler Platz zu schaffen, wurden polnische Bauern, aber auch große Teile der Stadtbevölkerung ins Generalgouvernement abgeschoben. Häufig wurden die Polen so eilig von den Höfen vertrieben, daß - wie Zeitgenossen berichten - "das Essen noch auf dem Tisch dampfte." Die deutschen Volksgenossen wurden großzügig bedacht; oft mußten für einen deutschen Hof zehn polnische Bauern weichen. (Dok.2) Das gleiche Schicksal traf auch die jüdische Bevölkerung Polens, die danach zum großen Teil in Vernichtungslagern umkam. Insgesamt waren über eine Million Polen von der Umsiedlung betroffen, und 300 000 Juden wurden in Ghettos geschafft.
Deutsche Umsiedlungs-Treuhand
Die "völkische Grenzbegradigung" - wie dies die nationalsozialistische Führung nannte -wurde detailliert geplant und organisiert. Der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, führte seit Oktober 1939 als "Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums" die Umsiedlungen durch. Ihm oblag die "Zurückführung der für die endgültige Heimkehr in das Reich in Betracht kommenden Reichs- und Volksdeutschen" sowie die Gestaltung neuer deutscher Siedlungsgebiete durch "Umsiedlung". Im Auftrag des Reichskommissars betreute die Deutsche Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft die reichs- und Volksdeutschen Umsiedler in vermögensrechtlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Die Volksdeutsche Mittelstelle, 1936 als Zentrale für die finanzielle und politische Betreuung der Volksdeutschen im Ausland eingerichtet, wurde dem Reichskommissar unterstellt und war zuständig für Transport und Versorgung von Umsiedlern. Von den Bukowinadeutschen, die auch im Rahmen des Hitler-Stalin-Pakts ihre Heimat am Ostrand der Karpaten verlassen mußten, sind übrigens einige über viele Stationen schließlich in den Nachkriegsjahren nach Darmstadt gekommen und haben dort ein gemeinsames Wohnungsbauprojekt begonnen, die Buchenlandsiedlung.
Flucht und Vertreibung 1945
Die mit dem Vorrücken der Roten Armee einsetzende Flucht war für viele nur eine weitere Station auf ihrem Leidensweg durch den Krieg. Bereits im Winter 1944/45 kamen über 80000 Flüchtlinge in das nordhessische Grenzgebiet. Nach Kriegsende folgten weitere Flüchtlinge aus den angrenzenden Gebieten in der sowjetischen Zone und auch die Opfer wilder Vertreibungen, die schon vor den Potsdamer Beschlüssen erfolgten. Auf der Potsdamer Konferenz stimmten die Siegermächte der Vertreibung der Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zu.
Der Ausweisungsplan des Alliierten Kontrollrats, der in Durchführung der Beschlüsse des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945 aufgestellt wurde, sah im November 1945 die Ausweisung von über 6,6 Millionen Deutschen vor. In die westdeutschen Länder kamen unterschiedlich viele Flüchtlinge. Weitaus am stärksten betroffen war Schleswig-Holstein, wo 1950 jeder dritte Einwohner Flüchtling war. Es folgte Niedersachsen. Hier war jeder Vierte Vertriebener. In den Ländern der amerikanischen Zone hatte Bayern mit 21% den höchsten Anteil, Hessen nahm mit fast 17% einen Mittelwert ein, und Württemberg lag mit 13% am Schluß. In der französischen Zone wurden vor 1950 nur wenige Flüchtlinge aufgenommen. Frankreich fühlte sich nicht an die im Potsdamer Protokoll festgelegten Quoten gebunden, weil die provisorische französische Regierung an dessen Zustandekommen noch nicht beteiligt gewesen war.
Während Ostpreußen, Schlesier und Pommern vor allem nach Schleswig-Holstein und Niedersachsen flüchteten, fanden in den süddeutschen Ländern und Hessen vor allem Sudetendeutsche eine Unterkunft. Insgesamt sind über 14 Millionen Menschen aus deutschen Provinzen oder deutschen Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa geflohen oder vertrieben worden; Millionen sind dabei umgekommen. Die Hauptlast hatten die Frauen zu tragen: Wenn der Ehemann noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrt oder gefallen war, mußten sie die Flucht allein mit kleinen Kindern und Großeltern bewältigen.
Aufnahme der Sudetendeutschen 1946
Die Flüchtlingstransporte liefen über vier Grenzauffangstellen in Bayern, und zwar Piding, Schalding, Wiesau und Furth im Wald. Von hier wurden die ankommenden Transporte gemäß den festgelegten Quoten auf die Länder der US-Zone, d.h. Bayern, Württemberg-Baden und Großhessen verteilt. Im Jahre 1946 kamen mit 374 Transporten fast 400 000 Ausgewiesene allein aus der Tschechoslowakei nach Hessen. Der Höhepunkt lag im Mai 1946 mit fast 77 000. Mit einem Güterzug kamen durchschnittlich 1000 Menschen. Viele von ihnen hatten zuvor in den Ausweisungsländern längere Zeit in Lagern leben müssen und waren deshalb erleichtert, als sie die deutsche Grenze passierten.
Regionale Verteilung der Flüchtlinge
In der US-Zone sollten nach dem Potsdamer Abkommen 2,25 Millionen Menschen aus der CSR und Ungarn untergebracht werden. Die Aufteilung in der US-Zone erfolgte nach den Bevölkerungszahlen von 1939, wonach auf Hessen 26% der Vertriebenen dieser Zone fielen. Von den bis 1949 in Hessen aufgenommenen Vertriebenen stammten 396 348 aus der CSR, 186 317 aus ehemals deutschen Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie, 27412 aus Ungarn, 12 458 aus Polen, 6775 aus Österreich, 4171 aus Rumänien und 18 817 aus anderen Ländern. Hinzu kamen noch 48 137 Flüchtlinge aus der sowjetisch besetzten Zone.
Einer gleichmäßigen Verteilung der Heimatvertriebenen auf die Stadt- und Landgemeinden waren allerdings bei der raschen Folge von Transporten enge Grenzen gesetzt. Wie in den übrigen deutschen Ländern, die viele Vertriebene aufnahmen, wurden sie auch in Hessen in die von Kriegszerstörungen am wenigsten betroffenen Gebiete gelenkt. Das waren vor allem die ländlichen Kreise des Regierungsbezirks Kassel - ein traditionelles Notstandsgebiet -sowie die Kreise Gießen, Lauterbach und Untertaunuskreis. Die letzten drei wurden am stärksten mit Flüchtlingen belegt, wobei der Untertaunuskreis mit 27% den höchsten Flüchtlingsanteil aller Kreise hatte.
Deutsche Ostsiedlung im Mittelalter und der Frühen Neuzeit
Die Hauptphase der deutschen Ostsiedlung begann im 12. Jahrhundert in Ostholstein und dem Elbe-Saale-Raum, nachdem in Westeuropa die landwirtschaftlichen Erträge beträchtlich gestiegen waren und deshalb die Bevölkerung stärker als zuvor wachsen konnte. Die Siedler wurden von der Aussicht auf eigene Höfe und längere Abgabenfreiheit in den Osten gelockt. Gegenüber der einheimischen Bevölkerung hatten sie zunächst eine bevorzugte Rechtsstellung. Östlich der Elbe-Saale-Linie entstanden die sog. Neustämme: Mecklenburger und Pommern, Schlesier und Ostpreußen. Bis nach Oberschlesien und zum östlichen Sudetenland dehnte sich das Siedlungsgebiet.
Die Hauptphase der Ostsiedlung endete, als die Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts die Bevölkerung Mitteleuropas dezimierte. Bei der deutschen Ostsiedlung der Neuzeit, die im 17. Jahrhundert begann, handelte es sich nur noch um gezielte Ausbaumaßnahmen der Aufnahmeländer. So entstanden deutsche Siedlungsgebiete im Banat, in der Batschka und der Bukowina. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts schließlich siedelten Deutsche auch im Russischen Reich, und zwar vor allem an der Wolga, am Schwarzen Meer und in Wolhynien. Auch in der Dobrudscha und in Bessarabien entstanden deutsche Kolonistendörfer.
Nationalitätenkonflikte in Osteuropa von der Französischen Revolution bis Versailles
Das seit der Französischen Revolution wachsende Nationalgefühl erschwerte die Stellung nationaler Minderheiten, was nicht nur für die Deutschen im Ausland, sondern z.B. ebenso für die Polen im Deutschen Kaiserreich galt. Nach dem Ersten Weltkrieg suchte der Friedensvertrag von Versailles eine neue Friedensordnung zu schaffen. Aus der Erbmasse von Österreich-Ungarn entstanden unter anderem die Tschechoslowakei und Ungarn als neue Nationalstaaten. Auch Polen wurde wieder ein eigener Staat, nachdem es bis dahin zwischen Deutschland und Rußland aufgeteilt gewesen war. Volksabstimmungen sollten dazu dienen, eine möglichst gerechte Grenze zu finden. Doch ergaben sich durch die Art ihrer Durchführung neue Konflikte, zumal vielfach Angehörige verschiedener Nationen nebeneinander wohnten. So lebten auch in den neuen Nationalstaaten weiterhin deutsche Minderheiten. Während über 800 000 Deutsche Polen verließen und nur 350 000 zurückblieben, konnten sich die Sudetendeutschen weiterhin behaupten und somit auf eine Normalisierung ihres Zusammenlebens mit den Tschechen hoffen.
Nationalsozialistische "Lebensraum"-Ideologie
Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus zerschlugen sich allerdings diese Hoffnungen, und die Konflikte verschärften sich. Schon in "Mein Kampf" hatte Hitler erklärt, daß er die Erweiterung des deutschen Lebensraumes im Osten für notwendig halte. Im Münchener Abkommen von 1938 setzte das nationalsozialistische Deutschland den Anschluß des Sudetenlandes an das Reich durch. Die erzwungene Eingliederung der Tschechoslowakei machte aller Welt deutlich, daß es Hitler nicht nur um die Angliederung von Gebieten mit überwiegend deutscher Bevölkerung, sondern um eine rücksichtslose Expansion in Osteuropa ging.
Der Hitler-Stalin-Pakt
Für viele Deutsche im Ausland begannen Flucht und Vertreibung schon bald nach Beginn des Zweiten Weltkriegs. (Dok. 1) In einem geheimen Zusatzabkommen zum Deutsch-So wjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 hatten Hitler und Stalin die beiderseitigen Interessensphären in Ost- und Südosteuropa abgesteckt und dabei schon die spätere Aufteilung Polens vorweggenommen, wie sie nach dem "Blitzkrieg" im September 1939 durchgeführt wurde. Die Deutschen aus dem nunmehr russischen Teil Polens wurden von der SS in den Warthegau umgesiedelt. Den Warthegau und auch den Gau Danzig-Westpreußen hatten die Deutschen zum Reich geschlagen, um für das deutsche Volk "Lebensraum im Osten" zu schaffen, während der noch verbleibende Rest, das sog. Generalgouvernement, einem deutschen Statthalter unterstellt wurde. Hier rekrutierten die Nazis nicht nur Zwangsarbeiter für die deutsche Wirtschaft, sondern es begann auch eine planmäßige Umsiedlungs- und Vertreibungsaktion.
Der Wolhynische Treck
Betroffen von der NS-Umsiedlungspolitik aber waren auch deutsche Minderheiten, die außerhalb der deutschen Grenzen lebten. So wurden 50 000 wolhyniendeutsche Kolonisten im Winter 1939/40 aus der Ukraine in den "Warthegau" umgesiedelt. Für viele unter ihnen war das nur eine weitere Etappe ihres von Verschleppungen gezeichneten Lebens: Im Ersten Weltkrieg waren sie teils von den deutschen Truppen nach Deutschland evakuiert und teils von den Russen nach Sibirien verschleppt worden. Nach Kriegsende war einem Teil von ihnen die Rückkehr in ihr altes Siedlungsgebiet gelungen, das nun zwischen Polen und der Sowjetunion aufgeteilt war. Im sowjetischen Teil Wolhyniens war es in der Zwischenkriegs-zeit wieder zu Verschleppungen gekommen, als die wolhyniendeutschen Bauern sich gegen Zwangskollektivierungen gewehrt hatten. Neben den Wolhyniendeutschen kamen noch 300 000 Umsiedler aus dem Baltikum, aus Bessarabien und aus der Bukowina in die beiden neuen Reichsgaue Warthegau und Gau Danzig-Westpreußen.
"Aussiedlung" der Polen
Um für die deutschen Umsiedler Platz zu schaffen, wurden polnische Bauern, aber auch große Teile der Stadtbevölkerung ins Generalgouvernement abgeschoben. Häufig wurden die Polen so eilig von den Höfen vertrieben, daß - wie Zeitgenossen berichten - "das Essen noch auf dem Tisch dampfte." Die deutschen Volksgenossen wurden großzügig bedacht; oft mußten für einen deutschen Hof zehn polnische Bauern weichen. (Dok.2) Das gleiche Schicksal traf auch die jüdische Bevölkerung Polens, die danach zum großen Teil in Vernichtungslagern umkam. Insgesamt waren über eine Million Polen von der Umsiedlung betroffen, und 300 000 Juden wurden in Ghettos geschafft.
Deutsche Umsiedlungs-Treuhand
Die "völkische Grenzbegradigung" - wie dies die nationalsozialistische Führung nannte -wurde detailliert geplant und organisiert. Der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, führte seit Oktober 1939 als "Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums" die Umsiedlungen durch. Ihm oblag die "Zurückführung der für die endgültige Heimkehr in das Reich in Betracht kommenden Reichs- und Volksdeutschen" sowie die Gestaltung neuer deutscher Siedlungsgebiete durch "Umsiedlung". Im Auftrag des Reichskommissars betreute die Deutsche Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft die reichs- und Volksdeutschen Umsiedler in vermögensrechtlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Die Volksdeutsche Mittelstelle, 1936 als Zentrale für die finanzielle und politische Betreuung der Volksdeutschen im Ausland eingerichtet, wurde dem Reichskommissar unterstellt und war zuständig für Transport und Versorgung von Umsiedlern. Von den Bukowinadeutschen, die auch im Rahmen des Hitler-Stalin-Pakts ihre Heimat am Ostrand der Karpaten verlassen mußten, sind übrigens einige über viele Stationen schließlich in den Nachkriegsjahren nach Darmstadt gekommen und haben dort ein gemeinsames Wohnungsbauprojekt begonnen, die Buchenlandsiedlung.
Flucht und Vertreibung 1945
Die mit dem Vorrücken der Roten Armee einsetzende Flucht war für viele nur eine weitere Station auf ihrem Leidensweg durch den Krieg. Bereits im Winter 1944/45 kamen über 80000 Flüchtlinge in das nordhessische Grenzgebiet. Nach Kriegsende folgten weitere Flüchtlinge aus den angrenzenden Gebieten in der sowjetischen Zone und auch die Opfer wilder Vertreibungen, die schon vor den Potsdamer Beschlüssen erfolgten. Auf der Potsdamer Konferenz stimmten die Siegermächte der Vertreibung der Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zu.
Der Ausweisungsplan des Alliierten Kontrollrats, der in Durchführung der Beschlüsse des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945 aufgestellt wurde, sah im November 1945 die Ausweisung von über 6,6 Millionen Deutschen vor. In die westdeutschen Länder kamen unterschiedlich viele Flüchtlinge. Weitaus am stärksten betroffen war Schleswig-Holstein, wo 1950 jeder dritte Einwohner Flüchtling war. Es folgte Niedersachsen. Hier war jeder Vierte Vertriebener. In den Ländern der amerikanischen Zone hatte Bayern mit 21% den höchsten Anteil, Hessen nahm mit fast 17% einen Mittelwert ein, und Württemberg lag mit 13% am Schluß. In der französischen Zone wurden vor 1950 nur wenige Flüchtlinge aufgenommen. Frankreich fühlte sich nicht an die im Potsdamer Protokoll festgelegten Quoten gebunden, weil die provisorische französische Regierung an dessen Zustandekommen noch nicht beteiligt gewesen war.
Während Ostpreußen, Schlesier und Pommern vor allem nach Schleswig-Holstein und Niedersachsen flüchteten, fanden in den süddeutschen Ländern und Hessen vor allem Sudetendeutsche eine Unterkunft. Insgesamt sind über 14 Millionen Menschen aus deutschen Provinzen oder deutschen Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa geflohen oder vertrieben worden; Millionen sind dabei umgekommen. Die Hauptlast hatten die Frauen zu tragen: Wenn der Ehemann noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrt oder gefallen war, mußten sie die Flucht allein mit kleinen Kindern und Großeltern bewältigen.
Aufnahme der Sudetendeutschen 1946
Die Flüchtlingstransporte liefen über vier Grenzauffangstellen in Bayern, und zwar Piding, Schalding, Wiesau und Furth im Wald. Von hier wurden die ankommenden Transporte gemäß den festgelegten Quoten auf die Länder der US-Zone, d.h. Bayern, Württemberg-Baden und Großhessen verteilt. Im Jahre 1946 kamen mit 374 Transporten fast 400 000 Ausgewiesene allein aus der Tschechoslowakei nach Hessen. Der Höhepunkt lag im Mai 1946 mit fast 77 000. Mit einem Güterzug kamen durchschnittlich 1000 Menschen. Viele von ihnen hatten zuvor in den Ausweisungsländern längere Zeit in Lagern leben müssen und waren deshalb erleichtert, als sie die deutsche Grenze passierten.
Regionale Verteilung der Flüchtlinge
In der US-Zone sollten nach dem Potsdamer Abkommen 2,25 Millionen Menschen aus der CSR und Ungarn untergebracht werden. Die Aufteilung in der US-Zone erfolgte nach den Bevölkerungszahlen von 1939, wonach auf Hessen 26% der Vertriebenen dieser Zone fielen. Von den bis 1949 in Hessen aufgenommenen Vertriebenen stammten 396 348 aus der CSR, 186 317 aus ehemals deutschen Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie, 27412 aus Ungarn, 12 458 aus Polen, 6775 aus Österreich, 4171 aus Rumänien und 18 817 aus anderen Ländern. Hinzu kamen noch 48 137 Flüchtlinge aus der sowjetisch besetzten Zone.
Einer gleichmäßigen Verteilung der Heimatvertriebenen auf die Stadt- und Landgemeinden waren allerdings bei der raschen Folge von Transporten enge Grenzen gesetzt. Wie in den übrigen deutschen Ländern, die viele Vertriebene aufnahmen, wurden sie auch in Hessen in die von Kriegszerstörungen am wenigsten betroffenen Gebiete gelenkt. Das waren vor allem die ländlichen Kreise des Regierungsbezirks Kassel - ein traditionelles Notstandsgebiet -sowie die Kreise Gießen, Lauterbach und Untertaunuskreis. Die letzten drei wurden am stärksten mit Flüchtlingen belegt, wobei der Untertaunuskreis mit 27% den höchsten Flüchtlingsanteil aller Kreise hatte.
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