1. Judenschutz und Judenordnungen - Mittelalter und Frühe Neuzeit
Im Mittelalter und in der Neuzeit waren die Juden im deutschen Kulturraum eine gesellschaftlich randständige Minderheit. In den frühesten Quellenbelegen treten sie als Händler auf, die gegen die Zahlung einer Abgabe in den königlichen Schutz genommen wurden. Dieses „Judenregal“ beanspruchten nach und nach auch die bedeutenderen Adelsgeschlechter und Städte, so dass es sich zunehmend zu einem Recht entwickelte, das vor allem auf den finanziellen Nutzen desjenigen abzielte, der diesen Schutz gewährte.
Christen war das Zinsennehmen aus religiösen Gründen verboten. Dennoch bestand zu jeder Zeit ein Bedarf an Krediten und, wegen der Vielfalt der Währungen, auch an Geldhandel. Da es Juden verwehrt wurde, Grund und Boden zu erwerben, und ihnen die Zünfte verschlossen blieben, fanden sie vor allem im Handel ein Auskommen, der häufig um „Geldgeschäfte“ ergänzt wurde. Als religiös und sozial ausgegrenzte Händler und Kreditgeber bestand für die Juden in Krisenzeiten immer die Gefahr, dass ihnen die Rolle des „schwarzen Schafes“ angehängt wurde und sie des Wuchers bezichtigt wurden. Derartige Anschuldigungen verbanden sich nicht selten mit Vorwürfen wie Hostienschändungen, ja Ritualmorden oder Brunnenvergiftungen und konnten in brutalen Verfolgungen kulminieren, wie z.B. während der Pestumzüge im 14. Jahrhundert in Fulda, Gelnhausen, Friedberg oder Frankfurt.
Die im Spätmittelalter mehr und mehr vom Handel und insbesondere vom Fernhandel profitierenden und florierenden Städte drängten die Handel treibenden Juden als Konkurrenten ab in den Lokal- und ländlichen Kleinhandel. Da auch dieser mit Kreditgeschäften verbunden war, breitete sich die Aversion gegen Juden nun auch unter Kleinhändlern, Handwerkern und Bauern aus. Dies bot den Landesherren und Städten die lukrative Gelegenheit, Juden unter ihren Schutz zu nehmen. Die Schutzzusagen mussten jedoch immer wieder gegen Geld ausgehandelt werden, denn sie beschränkten sich in der Regel nur auf wenige Jahre, in Hessen auf drei, manchmal auf sechs Jahre.
Im 16. Jahrhundert wurde die individuelle Schutzbriefpraxis ersetzt durch den Erlass allgemeiner Judenordnungen, die fortan Wohnrecht, Steuern usw. festlegten. Diese Ordnungen entsprangen dem Anspruch des sich festigenden Territorialstaats, sich nicht mehr nur für die Nutzung von Rechten zu interessieren. Vielmehr ging es den Landesherren nun um die Gestaltung der staatlichen Ordnung und um die Fürsorge gegenüber ihren christlichen (!) Untertanen.
Stilbildend für die Landgrafschaft Hessen-Kassel war die Judenordnung Philipps des Großmütigen 1539. Auf ihr basiert auch die vergleichsweise modernste neuzeitliche hessische Judenordnung, die Landgraf Carl 1679 erließ. Für die Juden bedeuteten die Judenordnungen keine Fortschritte, sie festigten hingegen den Status quo einer isolierten Minderheit. So bedurfte ihre Duldung nicht mehr der förmlichen Privilegierung, sondern nur noch eines „amtlichen“ Schutzbriefes. Juden sollten nur unter sich wohnen, durften bei Christen nicht aufgenommen werden, auch durften keine Christen bei Juden dienen. Die Religionsausübung wurde gestattet, doch sollte die öffentliche Wahrnehmung auf ein Minimum beschränkt werden. Das Schächten von Tieren wurde für den Eigenbedarf erlaubt. Der Handel wurde auf Garn, Häute, Leder beschränkt und nur soweit gestattet, dass er nicht den Zunftordnungen entgegenstand. Der Zinssatz für Geldleihe wurde auf 5% beschränkt, Zinsgeschäfte mit größeren Summen mussten amtlich bestätigt werden.
Im 17. Jh. wurde es gestattet, Grundstücke bei Juden zu beleihen, und es fiel die bis dahin gültige Kennzeichnungspflicht, die Juden auferlegte, ein gelbes Tuch oder einen aufgenähten gelben Ring zu tragen. Gaben die Judenordnungen auch eine gewisse Rechtssicherheit, so räumten sie den Juden dennoch kaum mehr als rechtliche Mindestpositionen ein. Damit blieb es in Hessen bei der gesellschaftlichen Ausgrenzung. Es wurden den Juden nur schmale ökonomische Spielräume gelassen, die gerade so zum Leben ausreichten, vor allem aber die Geschäfte der Christen nicht störten oder ihnen, wie die Kreditgewährungen, nutzen konnten. Hatten Juden einen Schutzbrief erworben, so konnten sie immerhin erwarten, im Rahmen der Judenordnungen toleriert zu werden, was einschloss, dass ihr Leben und ihr Eigentum vor Gewalt geschützt waren.
Somit lebten die Juden bis zum Ende des 18. Jahrhunderts als unterprivilegierte religiöse Minderheit am Rande der ständischen christlichen Gesellschaft. Sie machten nur wenige Prozent der Bevölkerung aus und blieben lediglich geduldete Untertanen, die zwar einen gewissen Schutz des Staates genossen, für die aber keine Aussicht bestand in die Gesellschaft integriert zu werden. Von den meisten Gewerben blieben sie ausgeschlossen, konnten Liegenschaften nur mit besonderer Erlaubnis erwerben, kein Handwerk erlernen oder betreiben und nur in reglementierten Bahnen Handel treiben, so dass sie gesellschaftlich abgedrängt als wenig geachtete Kleinhändler oder Geldwechsler, auf dem Lande als „Nothändler“, also vor allem vom Hausier-, Leih- und Trödelhandel lebten. Den einer Familie gewährten Schutz konnte darüber hinaus nur der älteste Sohn übernehmen, die übrigen Söhne und Töchter mussten zusehen, wo sie blieben. Durch diese Praxis existierte eine jüdische Unterschicht, die keine feste Bleibe besaß. Nur sehr wenigen Juden gelang es, als Hoffaktoren, Bankiers oder Unternehmer zu Ansehen zu kommen. Die Masse der Juden lebte in prekären Verhältnissen und stellte für den Staat ein soziales Problem dar.
(Hg)
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