75. 7.5. "Türkengefahr" und Islam in Luthers Werk
Denn da stehen Gottes urteil: 'Wer das schwerd nympt sol durchs Schwerd umkomen'. Denn ich widder den Tuercken odder Bapst nicht rate zu streiten seines falschen glaubens und lebens halben, sondern seines mordens und verstorens halben.
[WA 30, 2 142]
Seit der Begründung des Islams durch den Propheten Mohammed im 7. Jahrhundert und seiner raschen Expansion auf der Arabischen Halbinsel, im Nahen und Fernen Osten, in Nordafrika sowie Spanien, erstreckte sich diese "neue" Religion von der europäischen Atlantikküste bis fast an den indischen Subkontinent. Den europäischen Christen erschien dieser neue Glaube als etwas Fremdes und weckte gleichermaßen befremdliche Neugier als auch feindselige Ablehnung.
Mit den Kreuzzügen begannen schon im Jahre 1096 kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen, die sich über Jahrhunderte hinweg bis in die Zeit der Reformation hinein fortsetzten sollten. Mit dem Aufstieg des Osmanischen Reiches auf dem Gebiet der heutigen Türkei im 14. Jahrhundert und der Bedrohung europäischer Gebiete durch die Ausbreitung der Osmanen erwachte in Europa ein neuerliches Interesse am Glauben dieser fremden, türkischen Kultur. In der Folge setzten sich viele christliche Gelehrte mit dem Islam auseinander, darunter auch Martin Luther.
Die Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453, einst Hauptstadt des Byzantinischen Reiches, hatte bereits großes Entsetzen in der Christenheit ausgelöst. Die Bemühungen um einen innereuropäischen Frieden, etwa im Vertrag von London aus dem Jahre 1518 , gehen daher auch auf die zunehmende Bedrohung der christlichen Machthaber durch das aufsteigende Reich der Osmanen zurück.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts verstärkten die Osmanen ihrer Angriffe auf den Südosten Europas: 1522 begann die Belagerung der griechischen Insel Rhodos, 1526 wurde in der Schlacht von Mohács das ungarische Heer entscheidend geschlagen. In Europa verbreiteten Flugschriften bedrohliche Berichte über die Grausamkeit der Türken. Zum dauerhaften kollektiven "Trauma" der europäischen Christen und zum Höhepunkt der Angst vor der "Türkengefahr" wurde die (erfolglose) Belagerung der Stadt Wien durch die Osmanen im Jahre 1529.
Angesichts dieser Gefahr begann die römische Kirche erneut mit der Planung von Kreuzzügen, um das Osmanische Reich zurückzuschlagen. Allerdings wurden diese Pläne nie umgesetzt. Dennoch war die Frage, ob und wie man gegen die "Türkengefahr" vorgehen sollte, für die Menschen jener Epoche von großer Bedeutung. Aus diesem Grund setzte sich auch Luther sich in seinen Schriften mit dieser Frage auseinander.
Luther zum Krieg gegen die Türken
Schon in seinen 95 Thesen wider das Papsttum stellt Luther einen Bezug zur Bedrohung durch die vorrückenden Osmanen her: Er legt dar, dass der Papst in seinen Augen nur kirchliche Strafen erlassen könne, nicht eine "göttliche Züchtigung", wie er sie in den Türken sieht: "Jetzt freilich träumen die meisten und gerade die Größten in der Kirche von nichts anderem als von Kriegen gegen die Türken. Sie wollen nämlich nicht gegen ihre Ungerechtigkeiten kämpfen, sondern gegen die Rute [sc. zur Züchtung] der Ungerechtigkeit, und wollen sich [damit] Gott widersetzen, der da sagt, daß er durch diese Rute unsere Ungerechtigkeiten heimsucht, weil wir sie selbst nicht heimsuchen." [Raeder, 226]
Der Papst verurteilte diese Aussage Luthers in der Bannandrohungsbulle Exsurge Domine (1520) aufs Schärfste. Man wirft Luther vor, er predige gegen einen Krieg wider die Türken. In seiner Schrift Vom Kriege widder die Türcken (1529) [WA 30,2 107-147] nimmt Luther diesen Vorwurf auf und "gesteht": "Ich bekenne noch frech das solcher artickel mein sey und zu der zeit von mir gesetzt und verteidingt." [WA 30, 2 108]
Grundsätzlich scheint Luther tatsächlich jedwede Form des Krieges zu verdammen: "Denn das will ich keinem heiden noch Tuercken raten, schweige denn eym Christen, das sie angreiffen odder krieg anfahen (welchs ist nichts anders denn zu blut vergissen und zu verderbe raten), da doch endlich kein glueck bei ist […]." [WA 30, 2 111] Doch war Luther nie ein ausgemachter Pazifist, der Krieg und Gewalt generell ablehnte. [Raeder, 226] Im Hinblick auf die "Türkengefahr" änderte sich seine Ansicht spätestens, als er Ende des Jahres 1529 von der Belagerung Wiens durch die Türken erfuhr:
Wenn er [der Türke] yns land koempt und thut dir wie er izt vor Wien gethan hat, […] steckt [er] dir haus und hoff an, nympt dir vihe und futter, gellt und gut, sticht dich zu tod (wo dirs noch so gut wird), schendet odder wuerget dir dein weib und toechter fuer deinen augen, zuhacket deine kinder und spiesset sie auff deine zaunstecken, […] verkeufft dich daselbs we einen hund, das du dein leben lang must umb ein stieck brods und trunck wassers dienen ynn stettiger erbeit tag und nacht […]. [WA 30,2 182-183]
Angesichts dieser nun konkreten Bedrohung ändert sich seine Ansicht, sodass er im Folgenden seiner Schrift erläutert, unter welchen Umständen ein Krieg gegen die Türken gerecht und richtig sein konnte.
Im Mittelpunkt steht Luthers Auffassung, dass man auf keinen Fall im Namen des christlichen Glaubens Krieg führen solle. Derartige Rechtfertigungen von kriegerischen Handlungen verurteilt er scharf und erteilt damit auch der Kreuzzugsideologie des Papstes eine klare Absage, deren Feldzüge bereits seit dem Ersten Kreuzzug unter dem Schlachtruf des "Deus lo vult!" - "Gott will es!" - gegen vermeintliche "Feinde des Glaubens" wie Muslime und andere "Ketzer" geführt worden sind.
Aber uber alles bewegte mich, das man unter Christlichem namen widder den Tuercken zu streiten fuer nam, leret und reitzet, gerade als sollte unser volck ein heer der Christen heissen widder die Tuercken als widder Christus feinde, Welchs ist stracks widder Christus lere und namen […] Welchs ist denn die groesseste suende […] Denn es wird Christus name zu suenden und schanden gebraucht und geunehret […].
[WA 30, 2 111]
Ein solcher Versuch, so Luther, sei von Beginn an zum Scheitern verurteilt, da es sich bei der "Türkengefahr" um eine Strafe Gottes handele: "Wollen wir es nicht aus der schrifft lernen, so mus uns der Tuerck aus der scheiden leren bis wirs erfaren mit schaden, das Christen nicht sollen kriegen noch dem ubel widder stehen […]." [WA 30,2 113-114]
Der Idee des religiös motivierten Kreuzzugs gegen die Türken stellt Luther seine ganz eigene Vorstellung von angemessenen Maßnahmen gegenüber. "Ich will dich zuvor leren mit rechtem gewissen kriegen ", [WA 30,2 115] beginnt er und konstruiert in der folgenden Argumentation das sprachliche Bild zweier "Männer" mit je unterschiedlichen Aufgaben im Kampf gegen die Türken: Einerseits "Kaiser Karolus" als Stellvertreter der "weltlichen" Obrigkeit, andererseits "Herr Christianus" als Sinnbild für die gesamte "geistliche" Gemeinschaft der Christen. Mit dieser Einteilung orientiert Luther sich an der seit dem Mittelalter verbreiteten "Zwei-Schwerter-Lehre", welche das grundsätzliche Verhältnis zwischen geistlicher und weltlicher Macht, meist übertragen auf die Ämter des römischen Papstes und des deutschen Kaisers, festzulegen versucht.
Das geistliche Schwert: Buße gegen die "Türkengefahr"
Bei der Abwehr der Gefahr durch das Osmanische Reich fällt dem "Herrn Christianus", folglich den europäischen Christen, die Aufgabe zu, die "Türkengefahr" als "Rute" Gottes zunächst als Strafe anzunehmen und entsprechend der christlichen Tradition durch umfassende Buße zu sühnen.
Denn diese man sol nicht leiblich mit dem Tuercken streiten, wie der Bapst und die seinen leren, noch yhm mit der faust widder streben, sondern den Tuercken erkennen fur Gottes ruten und zorn, welche den Christen entwedder zu leyden ist, so Gott yhre sunde heymsucht, odder allein mit busse, weinen und gebet wisse yhn fechten und veriagen muessen.
[WA 30, 2 130]
Die Sünden, die eine solche göttliche Strafe verursacht haben könnten, findet Luther inmitten der christliche Gesellschaft: Verschwendungssucht der Adeligen, Prahlerei der Bürger, Wucherei der Kaufleute, Diebstahl der Bauern und Handwerker, womöglich auch im Hinblick auf die Bauernaufstände. All diese Sünden sollten, sie Luther, die Pfarrer und Bischöfe als Verantwortliche der Kirche ihren Gläubigen eindringlich vor Augen führen und angesichts der großen Not durch die Türken zur Buße mahnen:
Würde nur fromm und ausreichend mit Gebeten gesühnt und fände man zurück zum Leben der "rechten Christen" [Vgl. WA 30,2 111], so scheint es, könne man die "Türkengefahr" letztlich doch noch abwenden. Allein um diese Form des "geistlichen" Krieges sollten sich die Vertreter der Kirche kümmern, nicht jedoch um Kreuzzüge oder ähnliche "weltliche" Angelegenheiten:
Und wenn ich Keyseer, Koenig idder Fuerst were, ym zug widdern den Tuercken wolt ich meine Bisschoff und Pfaffen vermanen, das sie daheymen blieben, yhrs Amts mit beten, fasten, lesen, predigen und armer leute warteten, wie sie nicht alleine die heilige schrift, sondern auch yhr eigen geistlich recht leret und foddert. […] dem Bapst […]nicht gepuert ein kirchen heer odder Christen heer zu fueren, denn die Kirche sol nicht streitten noch mit dem schwerd fechten.
[WA 30,2 113-114]
Das weltliche Schwert: Verteidigung durch den Kaiser
Der andere Mann, der in Luthers Augen bei der Abwehr der "Türkengefahr" eine Rolle spielt, ist "Kaiser Karolus" als Stellvertreter für jede weltliche Gewalt, also Fürsten, Könige und eben auch Kaiser. Ebenso wenig wie Angehörige des geistlichen Standes im weltlichen Geschäft des Krieges mitwirken sollen, sollen auch weltliche Herrscher nicht in das geistlichen Geschäft des Glaubens eingreifen und im Namen Christi gegen vermeintliche Feindes des Glaubens vorgehen:
Denn der keiser ist nicht das heubt der Christenheit noch beschirmer des Evangelion odder des glaubens. Die kirche und der glaube muessen einen andern schutzherrn haben denn der Keiser und Koenige sind […]. Las den Turcken gleuben und leben wie er will […]. Des Keisers schwerd hat nicht zuschaffen mit dem glauben, Es gehoert ynn leibliche, weltliche sachen.
[WA 30,2, 130-131]
Falls jedoch alle Anstrengungen zur Buße nicht erfolgreich sein und sich noch immer christliche Länder in Gefahr befinden sollten, so müsse schließlich doch der Kaiser zu den Waffen greifen: "Denn der Turcke greifft seine unterthanen und sein Keyserthum an, welcher schuldig ist die seinen zuverteidingen als eine ordenlichen Oberkeit von Gott gesetzt" [WA 30,2, 130-131].
Luther sieht es sogar als (göttliche) Verpflichtung des Kaisers und anderer weltlicher Herrscher an, ihre Untertanen gegen Angriffe durch die Türken passiv zu schützen: "[W]as der Keyser thun kann fur die seinen widder den Tuercken, das sol er thun, auff das […] doch so viel es mueglich ist mit weren und auffhalten sich befleyssige, seine unterthanen zu schutzen und retten." [WA 30,2 144] Auf keinen Fall jedoch dürfe man aktiv im Namen des Glaubens "das Schwert nehmen" und Krieg führen. [Vgl. WA 30,2 173]
Diese Ansichten über das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Macht sowie die Rechtmäßigkeit von Gewalt und Krieg bilden auch einen wichtigen Bestandteil von Luthers Urteil über den Islam an sich.
Luther und der Islam
Luther und seine Zeitgenossen unterschieden das türkische Volk des Osmanischen Reiches kaum von seiner Religion, dem Islam. Türke, Araber oder Muslim, das war oft einerlei und wurde häufig unter dem Begriff des "Sarrazenen" unscharf zusammengefast. Auch bleibt Luther in seinem Denken über den Islam und die Muslime stets ein mittelalterlich geprägter Christ, der dem fremden Glauben mit großem Misstrauen, Geringschätzung, oft auch Ablehnung oder gar Verachtung gegenübertritt. Obwohl man daher eine vorwiegend negative Bewertung des Islam erwarten würde, gibt es in Luthers Schriften dennoch Aspekte, die eine vergleichsweise aufgeschlossene, tolerante und sogar leicht bewundernde Haltung gegenüber den Muslimen anzudeuten scheinen. [Vgl. Lexutt, 66-67]
So lobt Luther vor allem ihren Glaubenseifer, welchen er dem geneigten (christlichen) Leser als ein erstrebenswertes Vorbild für frommen Glauben vorstellt, denn es würden "ihre priester odder geistlichen solch ein ernst, dapffer, strenge leben fueren, das man sie moecht fer Engel und nicht fuer menschen ansehen, das mit allen unsern gistlichen stand und moenchen ym Bapstum ein schertz ist gegen sie. " [WA 30,2 187]
Ähnlich wie das Leben der Geistlichen beschreibt Luther auch die islamischen Gottesdienste als Vorbild für "Zucht, Stille und schöne äußerliche Gesten". Gleichzeitig beklagt er, dass diese Eigenschaften im Christentum kaum zu finden seien. Besonders die Tatsache, dass Männer und Frauen beim Gebet in der Moschee für gewöhnlich getrennt voneinander beteten, hebt Luther als lobenswert hervor.
Zum andern wirst auch finden das sie ynn yhren kirchen offt zum gebet zu samen komen und mit solcher zucht, stille und schienen eusserlichen geberden beten, das bey uns ynn unsern kirchen solche zucht uns stille auch nirgent zu finden ist. Denn da sind die weiber an sonderlichem ort und so verhuellet, das man keine kann ansehen, das auch unsere gefangen brueder ynn der Tuercky klagen uber unser volck, das nicht auch ynn unern kirchen so stilly, ordentlich und geistlich sich zieret und stellet. […]
[WA 30,2 187-188]
Neben dem religiösen Verhalten findet Luther auch am individuellen Lebenswandel der Muslime erfreuliche Tugenden, die er "gerne auch in deutschen Landen" haben wolle. So lobt er etwa, dass Muslime nicht übermäßig Alkohol tränken, sich anständig kleideten und zurückhaltend aufträten, bescheiden bauten, nicht fluchten und ihrem Herrn gegenüber gehorsam seien.
Zum vierden wirstu sehen bey den Tuercken nach dem eusserlichen wandel ein dapffer strenge und ehrbarlich wesen: Sie trincken nicht wein, sauffen und fressen nicht so, wie wir thun, kleiden sich nicht so leichtfertiglich und froehlich, bawen nicht so prechtig, brangen auch nicht so, schweren und fluchen nicht so, haben grossen trefflichen gehorsam, zucht und ehre egen yhren Keiser und Herrn, Und haben yhr regiment eusserlich gefasset und ym schwanck wie wirs gerne haben wolltem ynn Deudschen landen. […]
[WA 30,2 189-190]
Die "äußerliche Verfassung" des Osmanischen Reiches war sehr viel mehr als etwa im Heiligen Römischen Reich auf den Herrscher als absolutes Machtzentrum ausgerichtet. Dies erschien Luther als vorteilhaft im Vergleich zum europäischen Lehnswesen, welches eine Vielzahl von Abhängigkeiten durch die Verteilung von Gütern und Herrschaften geschaffen hatte, wohingegen der Sultan "ist alleine herr uber alles ynn seinem lande, gibt nur solt [Sold] von sich und keine guter [Güter] odder Oberkeit." [WA 30,2 128-129; Vgl. auch Raeder, 228]
Doch bei aller Bewunderung der muslimischen Frömmigkeit und osmanischen Ordnung, bleibt Luthers grundsätzliches Urteil über den Wert dieser Tugenden und des Islam doch stets klar:
Denn las sich zieren, geberden wer do will und wie er wil, gleubt er nicht an Jhesu Christ, so bistu gewis, das Gott lieber hat Essen und trinkcen ym glauben, denn fasten on glauben, lieber wenig ordentlich geberde ym glauben, den viel schoener geberd on glauben. Lieber wenig gebet im glauben, denn viel gebet on glauben. […]
[WA 30,2 188]
Denn auch wenn die Muslime in manchen Dingen eine geradezu vorbildliche Lebensweise an den Tag legten, so Luther, sei diese Frömmigkeit doch letztlich nicht viel wert, da sich der Islam, in seinen Augen, auf einen falschen Gott berufe. Diese Einschätzung hängt vor allem mit der Stellung von Jesus Christus im Islam zusammen.Zwar verehrt der Islam unter den zahlreichen Propheten der abrahamitischen Religionen auch Jesus (und etwa dessen Mutter Maria). Allerdings wird Jesus im Islam nicht als der letzte, "endgültige" Prophet angesehen. Diese Rolle kommt erst dem islamischen Propheten Mohammed zu, der von Muslimen daher auch als das "Siegel der Propheten" bezeichnet wird.
Eine solche Bewertung der Gestalt des Jesus schien zwangsläufig mit dem christlichen Glauben in Konflikt geraten zu müssen, da Jesus in der Offenbarung der Evangelien eine Sonderrolle zukommt: Für die Christen ist er der von der ursprünglich jüdischen Lehre prophezeite Messias und darüber hinaus auch Gottes Sohn.
Beide Merkmale spricht das islamische Verständnis Jesus nicht zu, da zum einen erst mit Mohammed die islamische Offenbarung abgeschlossen wurde. Zum anderen sieht der Islam in einer "Vergöttlichung" des Jesus einen Widerspruch zum streng monotheistischen Glauben an den einen Gott. Für Luther als überzeugten Christen jedoch ist eine solche Leugnung des messianischen und göttlichen Wesens des Jesus vollkommen abzulehnen:
Daraus kann nur ein iglicher wol mercken, das der Mahometh ein verstoerer ist unsers Herrn Christi und seines reichs. Denn wer die stuecke an Christo verleugnet, das er Gottes son ist und fur uns gestorben sey und noch izt lebbe und regire zur rechten Gottes: Was hat der mehr an Christo? Da ist Vater, Son, heiliger geist, Tauffe, Sacrament, Evangelion, glaube und alle Christliche lere und wesen dahin Und ist an stat Christi nichts mehr, denn Mahometh mit seiner lere von eigen wercken und sonderlich vom schwerd […].
[WA 30,2 122]
Mit gleicher Schärfe kritisiert Luther bemerkenswerter Weise die Vielehe im Islam, auch wenn er nicht zwischen der durchaus begrenzten Anzahl von höchstens vier Ehefrauen und der grundsätzlich unbegrenzten Anzahl von Sklavinnen unterschied, obwohl er wohl wusste, dass kaum jemand von tatsächlich von der Polygamie tatsächlich Gebrauch machte. Dennoch sieht Luther in der möglichen Vielehe einen Widerspruch zu der im Christentum geforderten Einehe zwischen Mann und Frau: [Vgl. Reader, 227]
Solchs wesen ist aber kein ehe und kann kein ehe sein, weil keiner ein weib der meynung nimpt odder hat, ewiglich bey yhr zu bleiben als ein leib, wie Gotts wort spricht […] , Das der Tuercken ehe fast gleich sihet dem zuechtigen leben, so kriegsknecht furen mit yhren freyen dirnen.
[WA 30,2 126]
Den letzten zentralen Aspekt von Luthers Beurteilung des Islam bildet das Verhältnis zwischen Geistlichkeit und Weltlichkeit. So wie Luther auch im Christentum auf eine strenge Trennung zwischen weltlichen Angelegenheiten der herrschaftlichen Obrigkeit und geistlichen Pflichten der kirchlichen Ämter abzielt, so kritisiert Luther auch am Islam den Gebrauch geistlicher Rechtfertigung für weltliche Angelegenheiten. Der Vorwurf: Die Muslime führten im Namen Gottes Krieg.
Zum andern leret des Turcken Alkoran odder glaube nicht allein den Christlichen glauben verstoeren, sondern auch das gantz weltlich Regiment. Denn sein Mahomet (wie gesagt ist) befilhet mmit dem schwerd zu walten, und ist das meiste und furnemst werck ynn seinem Alkoran das schwerd. Und ist also ynn der warheit der Turck nichts denn ein rechter moerder odder strassen reuber, wie denn auch die that fur augen beweiset. […] Denn es wird yhn ynn yhrem gesetz gebotten als ein gut Goettlich werck das sie rauben, morden und ymer weiter umb sich fressen und verderben sollen, wie sie denn auch thun und meinen, sie thun Got einen dienst dran. […]
[WA 30, 2 123-124]
Angesichts dieser drei Aspekte ist Luthers Vorwurf an den Islam eindeutig, "daß er die drei göttlichen Grundordnungen aufhebe: den Glauben an Christus, die weltliche Herrschaft und die Ehe." [Raeder, 227] "Lugen verstoret (wie gesagt) geiistlichen stand, Mord verstoret weltlichen stand, Unehe verstoret ehestand." [WA 30,2 126]
Im Mittelpunkt steht die Warnung vor einer Vermischung von geistlicher und weltlicher Obrigkeit. Die strikte gedankliche Trennung dieser beiden Sphären erlaubt es Luther in seinen "Türkenschriften" einerseits, die weltliche Verfassung des osmanischen Staates und gewisse kulturelle Eigenarten der Muslime zu loben, andererseits aber den Islam aufgrund dieser vermeintlichen Vermischung von weltlichem und geistlichen Machstreben und der Leugnung Christi scharf zu verurteilen.
Für Luthers eigenes Schicksal war die "Türkengefahr" letztlich vermutlich sogar ein Glücksfall: Der militärischer Erfolg der Türken band für lange Zeit die Aufmerksamkeit des römisch-deutschen Kaisers (und wohl auch des Papstes), sodass bisweilen davon ausgegangen wird, dass der "Türkensturm" und die notwendige Reaktion darauf eine allzu strenge Umsetzung des Wormser Ediktes und damit die Verfolgung lutherischer Protestanten verhindern konnte.
Literatur
- Lexutt, Athina, Luther und der Islam. Beten und Büßen statt Reden und Kämpfen, in: Spiegel der Forschung, Gießen 2011 (2), 60-71, online verfügbar.
- Luther, Martin, Dr. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Bd. 30 II, Weimar 1909.
- Raeder, Siegfried, Luther und die Türken, in: Beutel, Albrecht [Hrsg.], Luther Handbuch. Tübingen 2005, 224-230.
- Smith, Robert O., Lunther [sic], the Turks and Islam, in: Currents in Theology and Mission, 2007, online verfügbar.
Marcus Meer
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