87. 274 Marburg 324 Bd. 1 Landfriedensbruch Kirchhain 1938
Die Ausstellung "Landfriedensbruch Kirchhain 1938" befasst sich mit den Ereignissen in der Kleinstadt Kirchhain während des Novemberpogroms 1938. Bemerkenswerterweise kam es hier bereits am 8. November 1938 zu Ausschreitungen gegen örtliche Juden.
Anhand von Gerichtsakten lassen sich die Geschehnisse in Kirchhain recht gut rekonstruieren: Am 8.11. 1938 hat sich eine Gruppe um den späteren Hauptangeklagten Walter Biedermann und die beiden höchsten örtlichen SS-Funktionäre versammelt und den Beschluss gefasst, "einigen Juden das Fell zu reinigen" (siehe Dok 89.2.0). Diese Gruppe nahm dann mehrere tätige Übergriffe vor, im Rahmen derer die Kirchhainer Juden Wertheim. Stern und Haas zum Teil schwer misshandelt worden sind. Zur Villa von Julius Plaut hat sich die Gruppe ebenfalls Zutritt verschafft, ihn aber nicht angetroffen. Zudem sandte die Gruppe eine Abordnung in umliegende Ortschaften, wo weitere Gewalttätigkeiten verübt worden sind.
Durch die Geschehnisse beeindruckt schloss sich auch eine Menge Kirchhainer Bürger der Gruppe um Biedermann und Teichmann an, mit oder unabhängig von denen Privaträume und Geschäfte jüdischer Mitbürger geplündert und verwüstet worden sind sowie die örtliche Synagoge im Innern zerstört worden ist.
Die justizielle Aufarbeitung dieses Falles begann mit einem NSDAP-Gaugerichtsverfahren gegen Biedermann & Co. Dieses sollte ermitteln, ob sich die Beschuldigten als Angehörige nationalsozialistischer Organisationen einer "Pflichtveletzung" schuldig gemacht hätten. Das Gericht befand indes, die Beschuldigten hätten "im gebilligten Rahmen dieser Aktion" gehandelt (siehe Dok 87.1).
Nachdem auf Beschluss des Untersuchungsrichters hin eine Spruchkammer die Geschehnisse untersucht hatte und zu dem Urteil gekommen war, es habe sich nicht um eine "spontane Volskerregung", sondern um eine geplante "Aktion" gehandelt, für deren Zustandekommen Hermann Mandt, Otto Teichmann, Ernst Techmann und Walter Biedermann in besonderer Weise verantwortlich gewesen seien (siehe Dok 87.12.0), klagte Oberstaatsanwalt Hadding u.a. die Gruppe um Biedermann im Dezember 1949 an (siehe Dok 87.16.0).
Ausstellungsraum 2 dokumentiert das angeregte Gerichtsverfahren mitsamt seinen Revisionen und Neuverhandlungen. Erst der Prozess vor dem Landgericht in Kassel im Dezember 1954 brachte ein abschließendes Urteil. Dieses Urteil und die zugehörige Verhandlung sind in Ausstellungsraum 3 dokumentiert. Die Ausstellungsräume 4 und 5 enthalten ergänzende Dokumente aus den Handakten der Staatsanwaltschaft. Ausstellungsraum 6 dokumentiert schließlich das Schicksal des Hauptangeklagten Walter Biedermann, der nach einjähriger Haftstrafe letztlich begnadigt worden ist (siehe Dok 92.5).
MP
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