Georg Winter war eines der führenden Mitglieder im Verein zur Abwehr des Antisemitismus (VAA). Er war lange Jahre Vorstand des Vereins und zwischen 1896 und 1907 stellvertretender Vorsitzender. In einer ausführlichen Artikelserie, „Der Antisemitismus in Kurhessen und seine Bekämpfung“, die zwischen Dezember 1891 und September 1892 in der Zeitschrift "Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus" erschien, informierte er die Leserschaft regelmäßig über die Aktivitäten der kurhessischen antisemitischen Bewegung. Während seiner Zeit als Archivrat in Marburg bekämpfte er die dortige Böckel-Bewegung auch persönlich in verschiedenen Diskussionsrunden.
Georg Winter wurde am 3. Februar 1856 in Breslau geboren. Er begann sein Studium 1873 in Breslau und setzte es ab 1875 in Berlin fort. Zwischen 1877 und 1879 arbeitete er als Mitarbeiter bei Leopold von Ranke, bis 1881 war er im Geheimen Staatsarchiv in Berlin angestellt. In dieser Zeit verfolgte er sowohl den christlich-sozialen Antisemitismus des Berliner Hofpredigers Adolf Stöcker als auch den Berliner Antisemitismusstreit. 1882 wechselte Winter ins Staatsarchiv Marburg, wo er bis 1892 tätig war.
Nachdem der Marburger Bibliothekar Otto Böckel 1887 als erster politischer Antisemit in den Reichstag gewählt wurde, versuchte Winter, der selbst Mitglied der nationalliberalen Partei war, den Böckelschen Antisemitismus zu bekämpfen. Neben einer ausführlichen, 18teiligen Artikelserie in den „Mitteilungen des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus“, dem Presseorgan des VAA, organisierte Winter zusammen mit seinen Marburger Vereinskollegen verschiedene Veranstaltungen und Rechtsbeihilfen, die dem Antisemitismus Böckels die soziale Basis entziehen sollten.
1892 wurde Winter ans Staatsarchiv Magdeburg versetzt, 1896 nach Stettin, 1901 nach Osnabrück (vermutlich auf Grund politischer Differenzen mit einem seiner Vorgesetzen) und 1906 wieder nach Magdeburg, wo er bis zu seinem Tod 1912 arbeitete. Die letzte Versetzung nach Magdeburg ging auf Winters Kritik an der Diskriminierung der Juden im deutschen Heer zurück. Winter äußerte diese Kritik mehrere Male, zuletzt auf der Generalversammlung des VAA 1904. Nach Ansicht des preußischen Staatsministeriums habe Winter mit diesen Äußerungen allerdings Grenzen übertreten, die einem Beamten im Staatsdienst in Bezug auf politische Äußerungen oblagen. Er wurde deshalb 1906 nach Magdeburg versetzt.
Obwohl ein langjähriges und sehr engagiertes Mitglied des VAA, legte der linksliberale Vorsitzende des Vereins, Theodor Barth, Winter 1907 den Rücktritt nahe. Nachdem Winter bei der Reichstagswahl des selben Jahres im Wahlkreis Eisennach-Dermbach im ersten Wahlgang gescheitert war, hatte er kurz vor der Stichwahl zwischen einem sozialdemokratischen und einem antisemitischen Kandidaten zur Wahl des letzteren aufgerufen. Dies widersprach der Generallinie des VAA unter dem linksliberalen Vorsitzenden Barth, der dafür plädierte, Koalitionen mit den Sozialdemokraten einzugehen. Für den Nationalliberalen Winter war dies undenkbar. Zwar bekämpfte er den Antisemitismus leidenschaftlich auf Grund dessen Antiliberalismus und Immoralität. Die sozialreformerischen Forderungen mancher Antisemiten bei ihm jedoch auf Zustimmung. Die Sozialdemokraten hingegen, die „vaterlandslosen Gesellen“, waren in Winters Augen die größte Bedrohung für die Einheit der deutschen Nation. Winter trat deshalb 1907 vom Posten des stellvertretenden Vorsitzenden des VAA zurück. Er verstarb im Alter von 56 Jahren infolge einer schweren Krankheit am 1. September 1912.
Zur Person Winters vgl. die Magdeburger Biographie: http://www.uni-magdeburg.de/mbl/Biografien/1006.htm und Zeiß-Horbach, Auguste: Der Verein zur Abwehr des Antisemitismus. Zum Verhältnis von Protestantismus und Judentum om Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Leipzig 2008, S. 90-99.
Arbeitsaufträge:
- Betrachten Sie sich den Nachruf auf Georg Winter. Überlegen Sie zunächst, mit welcher Quellengattung Sie es hier zu tun haben und welche Dinge man bei der Bearbeitung einer solchen Quelle beachten muss.
- Arbeiten Sie anhand des Nachrufs die Aktivitäten Georg Winters heraus.
- Der Verfasser des Nachrufs zitiert an einer Stelle aus einer Rede Winters, in der er die Diskriminierung der Juden im deutschen Heer kritisiert. Was stört Winter an der Praxis der Heeresverwaltung gegenüber den Juden?
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