Dokument 6
Aufruf zum Aufstand, Auszug aus der Akte der Maires und Friedensrichter des Distikts Kassel, über die im April 1809 ausgebrochene Insurektion.
Urheber
Friedensrichter Siegmund Peter Martin
Datum
1809
Bestand/Sign.
HStAM Best. 76a, Nr. 204
Bestand/Inventar
8 Seiten
Aufruf zum Aufstand, Auszug aus der Akte der Maires und Friedensrichter des Distikts Kassel, über die im April 1809 ausgebrochene Insurektion.
Transkription:
Edle und unglückliche Teutsche ![1]
Mit (unleserlich) und knechtlicher Unterwerfung habt ihr bis jetzt das schimpfliche Joch der Fremden getragen. Ihr hoftet durch Ruhe und Nachgeben euer Schicksal erträglicher zu machen. Allein vergebens. Ihr habt gesehen, dass Nachgiebigkeit und die aller größte Geduld unsere (unleserlich) nur tagtäglich zu neuen Unterdrückungen und Beschimpfungen anspornen! Ihr seyd es endlich mit Schrecken gewahr worden, dass, wenn wir fortfahren, ihre Ketten zu tragen, uns und unseren Kindern auf viele Jahre hindurch nichts übrig bleibt, als eine ganz vollendete Sclaverey und die allergrausamste Behandlung – Ja alle Übel, alles Unglück, das sich nur erdenken lässt, steht uns und unseren Kindern ohne Rettung bevor, wenn das Regiment dieser räuberischen Nation ferner dauert. Unsere Söhne und unsere Brüder werden in fremde Weltgegenden geschleppt um dort in einem schimpflichen Kampf zu verbluten, oder verspottet und verachtet von unseren übermüthigen Herrschern elend umzukommen, - unsere Sitten und Gebräuche erden verhönt und uns entrissen, - durch unerschwingliche Abgaben, die wie ihr wisst, von Tage zu Tage sich mehren, unterdrückt und ausgesogen werden wir bald in derunerträglichen Armuth schmachten während dem unsere unmenschlichen Despoten das Mark unseres Landes, die Früchte unserer Arbeit in unmäßigen Sauf [-] und (unleserlich) [-] gelagen verschwenden, das aber ist ihr tief durchdachter, ihr teuflischer (Plan?), sie wollen unsere Provinzen
von aller streitbaren Mannschaft entblößen, sie wollen uns so niedertreten und kraftlos machen, dass wir nie mehr im Stande sind, Ihnen den geringsten Wiederstand zu leysten. Allein Teutsche, allein Hessen, tapferes und hochherziges Volk! Wie wäre es möglich, dass Ihr so tief gesunken wäretes dahin kom[m]en zu lassen! Seyd Ihr nicht die streitbaren
und würdigen Nachkommen jener heldenmüthigen Männer, die vor Jahrhunderten das (Schwenken?) ihrer Waffen in alle Theile der Erde trugen? – Nein ihr kon[n]tet auf eine Zeit lang verwirrt und niedergeschlagen werden. Allein die teutsche Kraft, der teutsche Muth erhebt sich bald und bey der ersten Gelegenheit wieder, um die schändlichen Ketten abzuschütteln, die Treulosigkeit und Meineid uns anlegten. Und diese Gelegenheit ist gekom[m]en, der Zeitpunkt ist da wo der fremden Herrschaft auf ewig ein Ende gemacht werden muß. Seit Jahren arbeitet eine Gesellschaft der edelsten und aufgeklärtesten Männer der teutschen Nation, zerstreut in allen Provinzen, (unleserlich) der Donau, der Elbe, der Nord[-] und Ostsee, daran die Ketten zu sprengen, die ein ungeheurer Übermuth uns aufdrang. Die Mitglieder dieser Verbindung erforschten die Nation und fanden alle Völkerschaften, (unleserlich), die Waffen für das gemeinsame (herrliche?) teutsche Vaterland zu ergreifen. Endlich ist der heiß ersehnte Zeitpunkt erschienen. Alles ist entschlossen und gehörig vorbereitet.
Zu diesen Tagen schlägt die Flam[m]e des Aufstandes von einem Ende Teutschlands zu dem Alle, alle Völkerschaften unserer Nation die Preußen, Sachsen, Bayern, Würtenberger die Bewohner der Meingegenden erheben sich zur Erkämpfung unserer Ehre und Freiheit. Ihr Hessen! werdet nicht die letzten, nein Ihr werdet die ersten seyn. Erinnert Euch an Eure Väter, die zu allen Zeiten für die ersten Krieger von Europa gehalten wurden und bedenkt, dass es Eure heiligste Pflicht ist, diese Kühne Euren Kindern zu hinterlassen. _ Also auf zu den Waffen, ein jeder der sie zu führen im Stande ist. Ich, Kameraden und brave hessische Männer! ich bin von der ganzen Verbindung ernannt, in diesen Gegenden den Befehl zu führen, und alle Anordnungen zu treffen. Stolz darauf an der Seite von Hessen zu fechten, lege ich Euch hiermit vor Gott und den Augen der Mit[-] und Nachwelt ab (sic.) einen heiligen Eid ab, Ich werde alles thun, was in meinen Kräften steht ich werde alles aufbiethen, was die heißeste Liebe zum Vaterland, was der bren[n]endste Haß gegen die (unleserlich) vermag, ich werde mit Euch Leben und Sterben. – Ich finde für nöthig, folgende Verfügungen zu erlassen, und ich bin überzeugt, dass Ihr mit Gut und Blut bereit seyn werdet, mir in allem zu folgen, da alles nur zu Eurem Besten geschieht.
Art.1
Alle Manschaft von 17 bis 40 Jahren greift sofort und ohne einen Augenblick Zeitverlust, zu den Waffen. Wer älter ist und freiwillig mitgehen will, dem steht dieses frey.
Art.2
Jeder bewaffnet sich mit einer wohlgespitzten Heugabelan einem starken 9 Fuß langen Stiel und mit einer (unleserlich) oder Barte[2] die nur so lang seyn darf, dass sie mit einer Hand zu führen ist. Alle anderen Waffen sind gänzlich verbothen, außer denen Büchsenschützen wovon folglich die Rede seyn wird.
Art.3
Alle Büchsen, Gewehre, Pistolen, Säbel u.s.w. die irgent voräthig sind werden sofort bey Strafe des Landesverraths an die Gemeinde – Vorgesetzten abgeliefert.
Art.4
Die Büchsen und gute brauchbare Schießgewehre werden als bald an die Personen in den Gemeinden ausgetheilt, welche als gute Schützen bekannt sind, wenn sie nämlich vermögen ihres Alters zum Landsturm gehören, diese Schützen schließen sich an die Mannschaft ihrer Gemeinden an und gehören zu derselben. Die übrig bleibenden Gewehre aber werden an den nächsten commandierenden Offizier abgeliefert.
Art.5
Die Manschaft einer jeden Gemeinde wählt aus ihrer Mitte nach Mehrheit der Stimmen vorständigen Mann, zu dem Sie zutrauen hat, zu ihrem Anführer.
Art.6
Dieser erwählte Anführer muß mit der größten Pflicht dafür stehen, dass die Waffen in der besten Verfassung sind, er bringt die ihm untergebene Manschaft in die gegebene Ordnung, ist für alle (unleserlich) derselben verantwortlich und wartet die Befehle des nächsten commandierenden Offiziers ab
wo sie sich versamme[l]n (?) sollen.
Art.7
Wer vermögen seines Alters zum ergreifen der Waffen verbunden ist, den kann nichts in der Welt von dieser heiligen Pflicht befreyen. Der Vornehmste wie der Geringste, der Reichste wie der Ärmste, der Geistliche wie der Weltliche, jeder ist verpflichtet, das Vaterland zu verteidigen!Wer sich aber weigern sollte, wird in Ketten geschlagen und zu dem nächsten Befehlshaber geführt und erschossen. Sollten sich aber ganze Gemeinden wiedersetzen, ein Fall, der sich in Hessen gar nicht denken lässt, so werden sie angesteckt und niedergebrannt, nachdem zuvor Vieh, Hütten und alles Eigenthum der Einwohner confisiert worden ist, welches zum besten der Armen verwand wird.
Art.8
Alle Pferde, welche nicht zum Ackerbau durchaus nothwendig sind, sondern welche nur zum Vergnügen, oder die von Beamten, Predigern, Förstern und anderen Personen zu ihrer Dienstverrichtung gehalten werden, werden sofort durch die Mairen an die nächsten Befehlshaber abgeliefert.
Art.9
Alle Einnehmer herrschaftlicher Gelder, so wie alleVorsteher von Kirchenkonten und anderen ordentlichen Stiftungenzahlen bei Lebensstrafe ohne ausdrücklichen schriftlichen Befehl von mir nicht einen Heller aus.
Art.10
Für die Zukunft wird bey der Besetzung aller Würdenund Ehrenstellen auf nichts anderes als Verdienst und
Brauchbarkeit Rücksicht genom[m]en. Geburt bisheriger Rang und Verwandtschaften helfen zu gar nichts. Der gemeine Soldat, wenn er als besonders geschickt, thätig und (unleserlich) befunden wird, kann mit einer Wahl Hauptmann werden. Vor allen anderen aber werden mit Recht die vorgezogen, die sich gleich zu Anfangen dieses Aufstandes besonders Wirksam und brauchbar zeigen.
Art.11
Es ist bey der gegenwärtigen bestehenden Ordnung der Dinge, welche wir einführen wollen, der hauptsächliche Plan, dass der geringe Mann, sowohl Bauer als Bürger, so viel geschont werde, als nur im[m]er möglich. Dagegen ist es billig, dass der Wohlhabende und Reiche ein Theil seines Vermögens zum Besten des Vaterlandes hergibt, welches auch gewiß jeder Redliche mit Vergnügen thun wird. Wer daher selbst die Waffen trägt, ist von allen Abgaben, die auf seiner Person, oder auf seinen Gütern haften, frey, in sofern diese nicht zwanzig (Rthl?) jährlich übersteigen, - Wer einen Sohn bei der A[r]mee hat wird von einem drittel, wer zwey Söhne dabey hat, von zwey dritteln und wer drey oder mehrere Söhne dabey hat, von allen Abgabenbefreyt. Diejenigen welche schwer verwundet werden, so wie die Witwen und Minderjährigen Kinder der Gebliebenen bleiben wä[h]rend dem Lauf des Krieges von allen Abgaben befreyt, und haben außerdem noch eine vorzügliche Versorgung des Staats zu erwarten.
Art.12
Ein jeder der irgent ein hohen oder niederen, geistlichen oder weltlichen Dienst, und nicht gleich jetzt von Anfang und ohne sich einen Augenblick zu besin[n]en für diese Insurgation mitwirkt, wird als Hochverräther für angesehen, und entweder mit Confestion seines ganzen Vermögens und Landesverweisung oder mit dem Todt bestraft.
Art.13
Jede Bedrückung unserer eigenen Landsleute und Mitbürger wird mit dem Tode bestraft.
Art.14
Alle hohen und niederen Obrigkeiten und anderen Angestellten bleiben vorläufig, sämtlich auf ihrem Posten, es wäre den, dass sie noch unter vierzig Jahren, mit für zum ergreifen der Waffen verpflichtet waren, in welchem soll ihre Stellen durch ihre Nachbarn oder Untergebenen versehen werden.
Art.15
Diese Proclamation wird sofort öffentlich bekannt gemacht, mit allen Glocken fortdauernd Sturmgeleutet und nach behaltener Abschrift weiter gesandt.
Dieses tapfere und edle Kameraden! sind die Verfügungen welche ich Euch vorläufig mitheilen kann. haltet streng auf ihre Erfüllung und vorzüglich, seyd unter Euch, wie es Landsleuten und Brüdern ziemt, vergeßt alle kleinliche Zänkeryen und Streitigkeiten unter einander! Denkt dass wir alle zu einem Zweck handeln und dass ohne Erreichung dieses Zwecks ewige Knechtschaft und ein unabsehbares Elend unserer und unser Kinder theil ist. Seyd stark und muthig, - gewiß wenn wir handeln, wie wir handeln müssen, wie es Teutschen und Hessen zukom[m]t, dann werden wir unsere große und heilige Sache glücklich zu Ende führen. – Schon stehen die Heerscharen Österreichs zahlreich und noch im[m]er muthig den Franzosen gegenüber, schon rückt Preußens Kriegsmacht zu unserer Unterstützung heran. Aber Kameraden! Unser hauptsächliches Vertrauen laßt uns auf den setzen, dessen allmächtige Hand alles mit unendlicher Weißheit leitet, bedenkt, die Sache der Unschuld und der Gerechtigkeit hat im Him[m]el einen starken und ewigen Freund und Beschützer, denn die allwaltende Gottheit läßt wohl eine Zeitlang den Gottlosen und Unterdrückern freye Hand, aber am Ende erlößt sie den Unschuldigen und Unterdrückten, der auf sie vertraut und seine Sache muthig und kraftvoll mit ihr abfängt.
Auf denn zum Kampf für Ehre, Freiheit und Vaterland
Der com[m]andierende (unleserlich)
Martin [3]
Anmerkungen:
[1] Teutsche = Deutsche
[2] Barte = Mittelhochdeutsch für Axt.
[3] Der Friedensrichter Siegmund Peter Martin aus Frielendorf in der Schwalm ist neben Dörnberg einer der führenden Männer des Aufstandes gewesen.
Bearbeiter: MN — URL dieses Dokuments: http://digam.net/index.php?doc=5723
—
URL dieser Ausstellung: http://digam.net/index.php?exp=233
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