Schreiben Hermann Bauers an den für Informationen zuständigen Kontrolloffizier der Militärregierung, Samson B. Knoll, vom 10. 8. 1945[46]
[... ] Vorangestellt sei die Anerkennung: Ich habe nur wenige Amerikaner persönlich kennengelernt - ich habe sie zugleich schätzen gelernt als Menschen von Takt und Wissen. Zugleich hatte ich in diesen Wochen die große Freude zu erfahren, wie wertvolle deutsche Menschen es doch auch gibt: in vielfachen Ausschußberatungen durfte ich erleben, wie selbstlos sich Männer, die sich freiwillig bereit fanden, Verantwortung zu übernehmen, für deutsche Interessen einsetzten, und zwar in einem Sinn, der mit Ihren Belangen durchaus parallel läuft: im Kampf für Ordnung und Sauberkeit, gegen Nationalsozialismus und deutschen Militarismus. Doch das Erschütternde dabei war, daß es zwischen diesen ehrlichen deutschen Antinationalsozialisten und Ihren Instanzen nicht zur rechten Zusammenarbeit gekommen ist! Die Lockerung des Fraternisierungsverbotes[47] kam nur kleinen Mädchen zugute; wir, die wir uns Ihnen innerlich als Bundesgenossen verbunden fühlten, genießen heute noch das gleiche Mißtrauen wie zu Anfang der Besetzung! Das ist für mich die große Enttäuschung der vergangenen 4 1/2 Monate! Man war von offiziellen Stellen Ihrer Seite nur immer bemüht, uns zur Anerkennung der Kollektivschuld zu bewegen, man setzte uns z. B. in der Presse ostentativ das Gutachten eines "der größten lebenden Seelenforscher"[48] vor, daß man "nicht jenen beliebten gesinnungsmäßigen Unterschied zwischen Nazi und Gegnern des Regimes machen darf", da es sich zeige, wie auch bei den Nazi- Gegnern "hinter all der Anständigkeit die ausgesprochene Nazi-Psychologie lebendig ist! Nein, sehr verehrter Herr Noll,[49] so hatten wir uns Ihren Kampf gegen den Nationalsozialismus nicht vorgestellt! Die Kollektivschuld: Auch wir Gegner des Nationalsozialismus gehören dem Volk an, das so schwere Schuld auf sich geladen hat, und wir wollen uns keineswegs davor drücken, mit unserm Volk das Unrecht zu sühnen, auch wenn wir glauben, unsere menschenmögliche Pflicht im Kampf gegen den Wahnsinn des Dritten Reiches erfüllt zu haben. Wir fühlen weiter die Pflicht zu diesem Kampf, ja wir.hatten gehofft, ihn erst recht aufnehmen zu können, wenn die Naziführung gestürzt und der Irrsinn ihres Regimes offenkundig geworden sei - doch in dieser Hoffnung wurden wir durch die Praktiken Ihrer Instanzen schwer enttäuscht. Wir hatten gewünscht, bei der Ausmerzung der Nationalsozialisten aus dem Verwaltungs- und Wirtschaftsleben zu Rate gezogen zu werden, da nur so schnelle und gründliche Arbeit möglich war, doch selbstherrlich ging man von amerikanischer Seite vor und uns deutschen Hitier-Gegnern blieb nur die undankbare Aufgabe, Fehlentscheidungen unter Umständen zu berichtigen. Wie man z. B. unsern Genossen Eckel[50] von seinem Posten als Leiter der Stadtwerke - ich lasse die Frage, ob er da am rechten Platz war, unerörtert - entfernte oder wie man heute eine Deputation von Antinazi-Finanzamtsbeamten seitens einer Stelle der Militärregierung abwies, das kann unsere Tatkraft wahrlich nicht fördern, sondern treibt zum Resignieren. Da haben die Menschen, die in der Vergangenheit ohne inneren Widerstand Nutznießer des Dritten Reiches waren und die jetzt ebenso verantwortungslos in den Tag hin-einleben, es weiß Gott leichter. Weshalb erschwert man uns die Arbeit so, die wir uns einsetzen wollen im Kampf gegen die Überreste des Nationalsozialismus, im Kampf für ein anständiges Deutschland, wie Sie es wünschen? Daraus, daß die vielerlei Enttäuschungen uns bisher nicht davon abbrachten, unsere Energie weiter für den Kampf gegen die Irrlehren in unserm Volk einzusetzen, spricht, wie ernst wir es mit unseren Pflichten nehmen. Und nun frage ich Sie: Sollte es denn nicht möglich sein, zu einer fruchtbringenden Zusammenarbeit zu kommen? Die Bereinigung des Beamtenapparates, die Säuberung der Wirtschaft, überhaupt die ganze Neuordnung unserer Verhältnisse - glauben Sie nicht, daß diese Ziele viel schneller und gründlicher erreicht werden, wenn man auf die Basis vertrauensvoller Zusammenarbeit tritt? Glauben Sie mir, ich verfolge keinerlei egoistische Ziele, wenn ich so um Vertrauen werbe; das eigene Ich hat in unserer großen Not ganz zurückzutreten. Ich rede auch gar nicht für mich, sondern für den Kreis der Männer, die ich in diesen Wochen als ehrliche aufrechte Kämpfer in der Bewährung sah, Männer, die in Lehrer Mütze/Dr. Treut ihre Führer, im Staatspolitischen Aus- schuß ihre Vertretung sehen. Helfen Sie bitte mit, daß das Vertrauen der Militär-Regierung zu diesem Kreis wächst, dann werde ich auf Ihre Frage, wie man über die amerikanische Besatzung denkt, freudig antworten: Wir sind den Amerikanern herzlich dankbar! Einstweilen aber muß ich sagen: Vieles hat mich bitter enttäuscht!
Anmerkungen:
[46] Schreiben H. BAUERS an Samson B. Knoll vom 10. 8. 1945 ("Bauerbericht"). Bauerpapiere. Knoll war amerikanischer Informationskontrollbeamter in Marburg.
[47] Zum Fraternisierungsverbot vgl. GIMBEL, Eine deutsche Stadt, S. 72 f.
[48] Hermann BAUER kann sich heute nicht mehr erinnern, wer hier gemeint ist.
[49] BAUER schrieb den Namen "Knoll" nach der Aussprache fälschlich "Noll". [l] August Eckel (gab. 1896), Sozialdemokrat, hatte nach dem Krieg zunächst die Leitung der Stadtwerke übernommen, wurde dann aber wegen angeblicher »Unfähigkeit" von der Militärregierung entlassen. Der Staatspolitische Ausschuß billigte diese Maßnahme nicht. Vgl. GIMBEL, Eine deutsche Stadt, S. 99, S. 132. Später wurde Eckel als Nachfolger Leo v. Boxbergers Landrat im Landkreis Marburg. Er bekleidete dieses Amt von Oktober 1945 bis Juni 1966.
[50] August Eckel (gab. 1896), Sozialdemokrat, hatte nach dem Krieg zunächst die Leitung der Stadtwerke übernommen, wurde dann aber wegen angeblicher »Unfähigkeit" von der Militärregierung entlassen. Der Staatspolitische Ausschuß billigte diese Maßnahme nicht. Vgl. GIMBEL, Eine deutsche Stadt, S. 99, S. 132. Später wurde Eckel als Nachfolger Leo v. Boxbergers Landrat im Landkreis Marburg. Er bekleidete dieses Amt von Oktober 1945 bis Juni 1966.
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