Bericht des Wohnungsamtes an den Oberbürgermeister Siebecke vom 20. 8. 1945 [77]
- Wohnungsamt/KL. -
Marburg/L., den 20. 8. 45
An den
Herrn Oberbürgermeister
der Stadt Marburg/Lahn
Die sich von Tag zu Tag schwieriger gestaltende Wohnraumlenkung in der Stadt Marburg macht es mir zur Pflicht Sie zu bitten
1. schnellstens die beantragte Verordnung mit allen Rechten in Kraft zu setzen,
2. unter allen Umständen darauf zu dringen, daß von einer weiteren Beschlagnahme des an sich äußerst beschränkten Wohnraumes in der Stadt Marburg, durch die amerikanische Provinzialregierung abgesehen wird,
3. daß uns die im Stadtgebiet verbliebenen Baracken zur Verfügung gestellt werden.
Begründung: zu 1: Die Art des Mietens und Vermietens von Wohnraum, nimmt aus der Not geboren Formen an, die einem wilden Schwarzmarkt gleichen und zwar sind die Beteiligten in der Oberzahl Deutsche, jedoch auch Ausländer und Mitglieder der Besatzungstruppen. Es gibt Vermieter, die einen schwunghaften Wucher mit der nächtlich wechselnden Schlafstellenvermietung betreiben. Es gibt Hauseigentümer, die ihre Wohnung gegen Zahlung einer schwindelnd hohen Miete, den Meistbietenden zuweisen, und gegen Zahlung eines zusätzlichen Handgeldes, ohne Inanspruchnahme des Wohnungsamtes, auf allen möglichen Schleichwegen vermieten. Es gibt Ausländer, zumeist in amerikanischer Uniform, sowie Besatzungstruppen, die den von uns mit Mühe und Not beschlagnahmten Wohnraum - zumeist auch im Einverständnis des Vermieters - einfach belegen, so daß die bei uns schon lange registrierten Wohnungssuchenden sehr häufig die Nachricht erhalten, daß der von uns zugewiesene Wohnraum schon belegt ist. Alle diese Vorkommnisse bedeuten neben der erheblichen Arbeitsmehrleistung meiner Dienststelle eine Minderung des Ansehens, wenn nicht völliger Ausschaltung des Wohnungsamtes.
zu 2 bitte ich Sie, darauf zu dringen, daß der gesamte z. Zt. von den Besatzungstruppen beschlagnahmte Wohnraum, einmal von einer übergeordneten Dienststelle der amerikanischen Armee genaustens kontrolliert und nach Möglichkeit reduziert wird. Es sollten zu dieser Kontrollkommission Vertreter des Herrn Town-Majors, des Military Government und der amerikanischen Provinzialregierung gehören, die unseren Feststellungen nach nicht gemeinsam, sondern jeder für sich Wohnraum belegen. Vielleicht lassen sich hier die notwendigen Maßnahmen für die 3 vorgenannten Stellen von einer Zentralstelle, nach Möglichkeit unter Hinzuziehung des Wohnungsamtes, vornehmen, wobei die politisch belasteten Hausbewohner usw. besonders berücksichtigt werden könnten.
zu 3: Könnten die im Stadtgebiet Marburg verbliebenen Baracken nicht dem zugedachten Zweck zugeführt werden?
Wir haben in unserer Reflektantenliste für Baracken etwa 120 kinderreiche Familien, die z. Zt. noch in Not- oder Kellerwohnungen hausen, vorgesehen, die bis zum Winteranfang unter allen Umständen umquartiert sein müssen.
Im übrigen werden wir durch die baldige Eröffnung der Universität vor ein Problem gestellt, das bei nicht vorgesehener Inanspruchnahme des Wohnraumes der Stadt Marburg, nicht gelöst werden kann. Die Zahl der Studierenden beläuft sich, wie bei einer Sitzung des Universitätsausschusses festgestellt, auf ca. 5000.
Des weiteren ist es unerläßlich, durch Presse, Anschlag und Rundfunk nochmals ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß der Zuzug nach Marburg-Stadt gesperrt ist, sowie die amerikanischen Dienststellen zu bitten, ihre Arbeitskräfte nur durch das Arbeitsamt anzufordern.
Die Zuzugsperre wird zumeist dadurch umgangen, daß eine Arbeitsbescheinigung irgendeiner amerikanischen Formation oder Dienststelle vorgelegt wird, die gleichzeitig für den Betreffenden die Zuweisung von Wohnung fordert.
Angesichts dieser schweren Umstände bitte ich Sie, Ihren ganzen Einfluß geltend zu machen und dem Herrn Gouverneur diese ganze Angelegenheit so vorzustellen, wie sie wirklich ist. Das von Seiten des Wohnungsamtes nichts unterlassen wird und keine Mehranstrengung gescheut wird, um der anrückenden Wohnraumkatastrophe zu entgehen, ist selbst- verständlich und bedarf nicht erst einer besonderen Versicherung.
Anmerkungen:
[77] Bericht des Wohnungsamtes an den Oberbürgermeister vom 20. 8. 1945, SPA-Akten, Magistratsarchiv
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