25. Juden im nationalsozialistischen Deutschland 1933-1937/38
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 begann die systematische Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Die Vernichtung des Judentums gehörte zum Wesenskern des NS-Regimes, und ihr kam in der Umwandlung der bürgerlichen Zivilgesellschaft in die rassenideologisch definierte Volksgemeinschaft eine zentrale Bedeutung zu. Dass die Eliminierung des Judentums von Anfang an gewollt war und bereits sehr früh ein konsequent durchdachtes, sehr konkretes antijüdisches Stufenprogramm vorlag, das dann nach der „Machtergreifung“ mit gesetzgeberischer Konsequenz ungesetzt werden konnte, hat zuletzt Peter Steinbach mit Blick auf einen bisher wenig beachteten Artikel in den „Nationalsozialistischen Monatsheften“ (NSM) vom Oktober 1930 hervorgehoben. (P. Steinbach, Die Andeutung des Vorstellbaren, 2011 s.u.)
In der Tat kommt den „Nationalsozialistischen Monatsheften“ für die Ausarbeitung eines nationalsozialistischen „Regierungsprogramms“ zwischen dem Erdrutschsieg der NSDAP bei den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 bis zur Kanzlerschaft Hitlers am 30. Januar 1933 eine bislang weitgehend übersehene Bedeutung zu. Wesentliche Eckpunkte der konkreten Maßnahmepolitik der Hitler-Regierung nach dem 30. Januar 1933 waren in den NSM unter der Schriftleitung von Alfred Rosenberg bereits programmatisch vorbereitet und ideologisch untermauert worden. Dazu gehörte mit an erster Stelle die sog. „Judenfrage“, die in verschiedenen Heften immer wieder aufgegriffen wurde - und zwar mit dem „Endziel“ der vollständigen „Ausschließung“ des Judentums aus der Volksgemeinschaft - so wie bereits im Parteiprogramm von 1920 postuliert. Es war insofern wohl auch kein Zufall, dass das Januarheft 1933, das letzte Heft vor der „Machtergreifung“ Hitlers am 30. Januar 1933, ausschließlich der „Judenfrage“ gewidmet war. Alle grundlegenden NSM-Artikel zur Judenpolitik von 1930 bis 1933 sind in der vorliegenden DigAM-Ausstellung (siehe dazu auch die entsprechenden Dokumente in Kap. V, 23 Juden in der Weimarer Republik) jetzt erstmals vollständig online zugänglich gemacht. (URL der NSM-Artikelserie bei DigAM: http://www.digam.net/?dok=9061)
Wichtige Stationen der staatlich sanktionierten Ausgrenzung der Juden bis 1938 waren:
· der sog. „Judenboykott“ vom 1. April 1933
· die Ausschaltung der Juden aus dem Berufsbeamtentum am 7. April 1933,
· die Einrichtung einer „zentralen Judenkartei“ zur Erfassung und Überwachung der reichsweiten jüdischen Organisationen 1935
· die Nürnberger Gesetze von 1935, die die rechtliche Grundlage für die Ausschließung der Juden aus dem deutschen Staatsbürgerrecht bildeten und die zugleich schon den Personenkreis definierten, der später den Deportationen in die Vernichtungslager 1941/42 unterworfen war,
Parallel dazu übten örtliche NSDAP-, SA- und HJ-Gruppen einen „kontrollierten“ Terror „von unten“ gegen ihre jüdischen Mitbürger aus. Diese Schlägertrupps konnten sich der heimlichen oder offenen Komplizenschaft breiterer Bevölkerungskreise sicher sein und sie hatten keine staatliche Strafverfolgung zu befürchten, gleichwohl waren sie in ihren Aktionen durchaus mitgesteuert vom NS-Machtapparat. Gerade im nordhessischen Raum finden wir auf lokaler Ebene zahlreiche Beispiele dafür:
In Kassel setzte unmittelbar nach Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 24./25. März 1933 ein brutaler SA-Terror gegen politische Gegner sowie führende jüdische Persönlichkeiten der Stadt ein. Die dabei erlittenen Verletzungen führten im Falle von Dr. Max Plaut sogar zum Tode. Der Fall Sterbfritz (bei Fulda) zeigt die systematische Terrorisierung der jüdischen Bevölkerung auf dem Lande, und in der sog. Felsberger „Judenordnung“ von 1935 findet sich ein Beispiel für die beispiellose Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung im Alltagsleben einer städtischen Gemeinde durch offiziellen Ratsbeschluss.
Kein Ruhmesblatt war die Haltung insbesondere der evangelischen Kirche: In einem „Memorandum über die gegenwärtige Lage in Deutschland, insbesondere über die Judenfrage“ stellte sich das ev. Kirchenbundesamtes am 7. Juni 1933 kritiklos hinter die judenfeindliche Politik der Hitler-Regierung (u.a. Arierparagraph) und begrüßte deren konsequente Wendung gegen das weitere Vordringen des „Judentums“, und zwar sowohl aus politischer als auch theologischer Sicht. Ganz auf dieser Linie lag auch die berüchtigte Schrift des thüringischen Landesbischofs Martin Sasse „Martin Luther über die Juden. Weg mit ihnen!“, der in den Novemberpogromen von 1938 den „gottgesegnete[n] Kampf des Führers“ und die späte Verwirklichung der Forderungen Martin Luthers, des „größte[n] Antisemit[en] seiner Zeit“, sah.
Zu der in letzter Zeit viel diskutierten Rolle des Auswärtigen Amtes in der Mitwirkung am Holocaust sind zwei Texte von Ernst von Weizsäcker aus den Jahren 1936 und 1938 dokumentiert: Im November 1938 stellte der Staatsekretär anlässlich seiner Teilnahme an den Trauerfeierlichkeiten für vom Rath in Paris lakonisch fest: „Die noch in Deutschland verbliebenen circa 500 000 Juden sollten unbedingt irgendwie abgeschoben werden, denn sie könnten in Deutschland nicht bleiben. Wenn, wie bisher, jedoch kein Land bereit sei, sie aufzunehmen, so gingen sie eben über kurz oder lang ihrer vollständigen Vernichtung entgegen.“[1] (siehe hierzu auch Kap. VI, 26.)
Reinhard Neebe
Literatur:
Peter Steinbach, Die Andeutung des Vorstellbaren. Zur Vorbereitung des Sonderrechts für die Juden durch den NS-Staat als Vorstufe der „Endlösung", in: Die Verfolgung der Juden während der NS-Zeit. Marburg 2011, S. 15-28:
Reinhard Neebe, Das Digitale Archiv Marburg (DigAM). Internetressourcen zur Pogromnacht 1938 und der Geschichte der Juden in Hessen, in: Die Verfolgung der Juden während der NS-Zeit, Marburg 2011, S. 102ff.
ders. und Annegret Wenz-Haubfleisch, Pogromnacht - Auftakt am 7. November in Hessen, idid., S. 187ff.
Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945 (VEJ), Bd. 2. Deutsches Reich 1938-August 1939, bearb. von S. Heim, München 2009,Dok. 151, S. 447-450, hier S. 449.
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.