Aus den Dialogen des Wilhelm von Occam, um 1340
Wilhelm von Occam, Dialogus V, cap. 11
Einige sagen ohne nähere Unterscheidung, weder die römische Kirche noch der römische Stuhl könnten im Glauben irren. Diese verstehen unter der römischen Kirche und dem apostolischen Stuhl nur den Papst oder bloß das Kardinalskollegium oder den Papst gemeinsam mit den Kardinälen. Andere behaupten, die römische Kirche könne im Glauben nicht irren, und verstehen unter ihr den römischen Klerus, der den Papst, die Kardinäle und die übrigen römischen Kleriker in sich begreift. Andere meinen, die römische Kirche, die alle Kleriker in allen Teilen der Welt in sich schließt, könne nicht irren. Einige von diesen nehmen an, daß wohl einzelne Kleriker irren können, daß aber deren Mehrzahl niemals irren wird. Andere wieder sagen, daß wohl die Mehrzahl der Kleriker irren kann, daß aber immer ein Teil davon den Glauben bewahren wird. Andere machen eine nähere Unterscheidung der römischen Kirche und sagen, bald sei darunter der Papst allein, dann die Kardinäle allein, dann beide zusammen, dann wieder der ganze römische Klerus, dann die ganze römische Diözese, zuweilen die ganze Gemeinschaft der Gläubigen zu verstehen. Von der römischen Kirche in diesem letzten Sinne genommen, meinen diese, daß sie nicht irren könne, wohl aber alle übrigen genannten einzelnen Teile. Es ist auch weder nach der Lehre der Schrift noch nach der Lehre der ganzen Kirche sicher, daß die Stadt Rom mit ihrer ganzen Umgebung, zu der das römische Bistum gehört, dem Antichrist bei seiner Ankunft nicht anhängen wird oder auch vor den Zeiten des Antichrist nicht von dem katholischen Glauben abfallen wird. [J. Bühler]
Geschichte in Quellen, Bd. 2, Mittelalter, hg. von Wolfgang Lautemann und Manfred Schlenke, München 1975, S. 799-800.
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