Hinrich Jantzen, eine der entscheidenden Persönlichkeiten der Jugendbewegung "Der Wandervogel", beschreibt in dem vorliegenden Auszug aus seinen Memoiren die "Entstehung" der Jugendburg Ludwigstein.
Hinrich Jantzen berichtet aus der Geschichte des Ludwigsteins.
Fast vierzig Jahre war der Ludwigstein unbewohnt. 1870 verließ der letzte Ackervogt die Burg. Seitdem war sie verlassen und dem Verfall preisgegeben. 1908 entdeckte sie Enno Narten. Er erweckte sie später aus ihrem langen Dornröschenschlaf und baute sie aus zu der heutigen Jugendburg Ludwigstein. Er selbst berichtet über die abenteuerliche Entdeckung:
"Es war Pfingsten 1908. Eine geologische Exkursion der Technischen Hochschule Hannover hatte uns zum Hanstein geführt. Professor Dr. Hans Stille wies zum Ludwigstein und meinte dann, zu mir gewandt: Narten, das wäre doch etwas für Sie und Ihren Wandervogel, so eine verlassene Burg!"
Diese Worte gingen mir unentwegt im Kopf herum. Als die Exkursion in Hannoversch-Münden beendet war, machte ich mich allein auf den Weg zum Ludwigstein. Mit List und Tücke und mit einigen Klimmzügen gelang es mir, durch das Fenster der sogenannten Steinkammer in den Hof zu kommen. Aber welch trauriges Bild bot sich mir da! Kein Fenster, keine Tür war vorhanden. In manchen Räumen gab es nur noch Spuren des ehemaligen Gipsestrichs, in anderen sah man durch die verfaulten Balken der Decke und durch das löcherige Dach bis in den blauen Himmel. Ratten huschten lautlos über den Hof und durch die Keller. Im Hof und sogar in einigen Räumen des Erdgeschosses wucherte Gestrüpp.
Aber ich sagte mir, das alles würde man im Laufe der Zeit wieder in Ordnung bekommen können, wenn - ja wenn alle zupacken und mithelfen wollten. Alle? Ich dachte damals an die rund fünfhundert Wandervögel, die es in Deutschland gab. Die Bundesleitung des Alt-Wandervogels, deren Sitz damals im benachbarten Göttingen war, lehnte meinen Vorschlag, die Burg von der Kasseler Regierung zu erwerben, rundweg ab. Gründe: Mangel an Vermögen und ungeheuere Baukosten. Eigentlich war die Ablehnung ein Glück. Denn als wir bald darauf alle als Kriegsfreiwillige zu den Fahnen eilten, da hatten wir andere und wichtigere Sorgen, als eine verfallene Burg zu erwerben und auszubauen. Leider erreichten uns schon bald in der Heimat, wo wir ausgebildet wurden, die Nachricht, daß dieser und jener, mit dem wir noch vor wenigen Wochen durch die Lande gefahren waren, gesungen und getanzt hatten, für immer von uns gegangen war. Wie dann alles kam, weiß ich heute nicht mehr genau. Aber auf einmal - ich war inzwischen schon in Westfrankreich im Einsatz -, da wußte ich: Der Ludwigstein muß das Erinnerungsmal für unsere gefallenen Freunde werden, koste es, was es wolle! Der Gedanke verfolgte mich - im Unterstand durch Flandern, bei Angriffen und in Ruhestellung.
Der Zufall wollte es, daß wir Weihnachten 1914 in St. Quentin lagen und daß ich dort etliche Wandervogelfreunde traf. [...] Als wir sieben uns am Heiligabend 1914 in der Wohnung des Curés der Kathedrale von St. Quentin, bei dem zwei von uns im Quartier lagen, trafen, da erzählte ich den Freunden vom Ludwigstein und von meinem Plan. Begeisterte Zustimmung! Als wir uns spätabends trennten und zum Abschied die Hand reichten, war es wie ein heiliger Schwur: Der Gedanke sollte unaufhörlich weitergetragen werden in Ost und West, auf dem Lande und bei der Marine. Die sechs Getreuen haben Wort gehalten.
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.