Martin Luther an die Evangelischen in Venedig, Vicenza und Treviso, 13. Juni 1543
[Antwort auf deren Schreiben vom 26. November 1542]
Gott unser Vater und unser Herr Jesus Christus, der sich selbst zum Opfer für unsere Sünden dahingegeben hat (Eph. 5, 2), gebe Euch viel Gnade und Barmherzigkeit und Frieden (1. Petr. 1, 2) Amen. Beste und überaus teure Brüder!...
Ich finde bei Euch solche und so große Güter, die Euch der Herr nach seiner Gnade gegeben hat, daß ich mich fast meiner schäme, der ich so viele Jahre in dem Worte Gottes geübt bin, wenn ich erkenne, daß ich Euch so ungleich bin an Tugend und Geist. Denn ich sehe zur Genüge, daß Ihr das, was Ihr mir beilegt, mir nach Eurer Liebe und Freundlichkeit zu Unrecht zuschreibt. In der Tat bin ich doch weit geringer, als Ihr meint und urteilt. Ich bin ein sündiger Mensch, unrein und im Fleische, wie auch Paulus klagt (Röm. 7, 18 ff.), geringen Glaubens und lauwarmen Geistes des Lebens, indem ich so kaum das Gesetz in meinen Gliedern (Röm. 7, 23) in Schranken halte. Es möchte das Gesetz Gottes im inwendigen Menschen (Röm 7, 22) Gott aus allen Kräften lieben und vor Liebe sterben. Aber (1. Petr. 2, 9) »der mich aus der so großen Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat«, der hat mich so untüchtigen und ganz ungeeigneten Menschen auch in ein so großes Amt gesetzt. Doch freue ich mich außerordentlich und wünsche Euch von ganzem Herzen Glück. Gott, den Vater aller Gnaden und allen Segens, benedeie und preise ich, daß er Euch, sei es nun durch die Schriften der Unsrigen oder anderer, sein Heil und dieses unaussprechliche Geheimnis Jesu Christi, seines Sohnes, kundgemacht hat. Denn ich fürchte, daß Ihr von meinen Schriften nicht viel gehabt habt, da ich selten lateinisch geschrieben habe. Denn ich bin, wie wir in unserem Sprichwort zu sagen pflegen, ein deutscher Prediger und ein ungelehrter Lehrer. Aber woher Ihr es auch immer haben möget, es ist wenig daran gelegen. Von Gott habt Ihr mit uns alles und seid viel besser als ich, Gott sei Dank und die Ehre, Amen.
Daher hätte ich mich fast enthalten, Euch zu antworten, da ich nichts Würdiges sah, was ich denen antworten konnte, die der Herr mit so großer Begabung seines Geistes beschenkt hatte. Denn was fehlt Euch an geistlichen Gütern durch Christus, die Ihr so rein den Sohn Gottes erkennt und bekennt, die Ihr so brünstig nach der Gerechtigkeit hungert und dürstet, die Ihr so selig auch Verfolgungen um Christi willen leidet (Matth. 5, 10 ff.), die Ihr die Feinde Christi und den Antichrist so vollkommen haßt? Wer von uns hätte hoffen können, daß solches entweder zu unseren Lebzeiten in Italien selbst geschehen oder im Schwange gehen könnte oder daß es einst geschehen werde im Gebiet des Reiches des Antichrist selbst, welcher uns, die wir außerhalb der Grenzen der Welt sind, nicht leiden wollte?
Aber durch diese Beispiele belehrt uns der, welcher uns befohlen hat zu hoffen und zu bitten, der da mächtig ist zu tun über unser Bitten und Verstehen (Eph. 3, 20) und ohne Zweifel sein Werk vollführen wird, das er angefangen hat (Phil. 1, 6), bis ans Ende, zu seiner Ehre und unserer Seligkeit. Aber damit ich Eure Hoffnungen nicht täuschte und Euren Geist nicht betrübte (Eph. 4, 30), habe ich die Scham abstreifen wollen und Vertrauen fassen zu dem Wohlwollen Eurer Liebe, und dies Wenige und Ungelehrte als Antwort Euch zurückschreiben wollen. Wie dies nun auch immer sein mag, so wollet es bitte nicht nach seinem Verdienst oder Würdigkeit, sondern nach Eurer aufrichtigen Freundlichkeit gütig aufnehmen...
In: Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers in Auswahl für die Gegenwart, hg. von Kurt Aland. Bd. 10 Briefe, Göttingen 1983, S. 321-22
[alles Inhaltliche aus der lateinischen Fassung des Briefes in WA Briefe Bd. 10, S. 328-333, nämlich dass die Schmalkaldener sich beim venetianischen Senat zu Gunsten der Evangelischen in Venedig, Vicenza und Treviso verwenden möchten - sowie zu Fragen der Abendmahlslehre, bei Aland nicht zitiert]
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.