Brief an den Dogen Pietro Lando und den Senat der Republik Venedig, im Auftrag des Schmalkaldischen Bundes von Philipp Melanchthon verfasst, 26. Juni 15431
in: Melanchton deutsch. Band 3. Von Wittenberg nach Europa, hg. von G. Frank und M. Schneider, Leipzig 2011, S.252-254
Der Brief wirft ein Licht auf die Situation der evangelischen Christen in Italien, die Anfang der vierziger Jahre immer stärker verfolgt werden, auch in Venedig. Auf Bitten von evangelischen Christen aus Venedig, Vicenza und Treviso, die sich schon Anfang des Jahres 1543 an Luther gewandt hatten, intervenieren die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes. Unter den Verfolgten wird der ehemalige Franziskanermönch Baldo Lupetino namentlich genannt, den die Inquisition bereits 1541 hatte verhaften lassen. Er wurde zunächst zu lebenslanger Haft verurteilt und, nachdem er 1547 auch in der Haft seinen Mithäftlingen gepredigt haben soll, zum Tode verurteilt. Zunächst durch den Dogen begnadigt wurde er 1555 erneut angeklagt und schließlich in der Lagune ertränkt. Baldo Lupetino war ein Neffe des bekannten lutherischen Theologen und späteren Gegners Melanchthons, Matthias Flacius. Flacius hat diesen Brief selbst nach Venedig gebracht und er wurde dort dem Senat übergeben, wie einige venezianische Freunde der Reformation in ihrem Brief an Luther vom 30.8.1543 berichten.2
Übersetzungsgrundlage CR 6, 761-763. MBW 3268.
An den vornehmsten Fürsten Herrn Pietro Lando3 und den berühmten Senat der Republik Venedig, unserem Freund und allen von uns außerordentlich geschätzten Herren.
Vornehmster Fürst und berühmter Senat, Freunde und außerordentlich geliebte Herren.
Uns wird berichtet, dass einige fromme und ehrbare Menschen, Anhänger eines unverdorbenen Glaubens in Italien, hart angegriffen und schwer verfolgt werden, nur weil sie das Evangelium von Jesus Christus hochhalten und seinen Ruhm verdeutlichen und ausbreiten wollen. Weil wir aber die Lehre und das Heil des Evangeliums, das durch die Gnade des allmächtigen Gottes gleichsam in die Kirche als seine Heimat zurückgefunden hat, überall bewahren wollen, sind wir mit Recht vom Elend dieser frommen Menschen betroffen.
Ihre vielen Trübsale und Tränen verdienen frommes Mitleid, weil sie um der Wahrheit des Evangeliums willen bedrängt werden, die uns vor allem am Herzen liegt. Weil wir gehört haben, dass einige fromme Männer auf Befehl des römischen Papstes — in Sonderheit aber ein gewisser Baldo Lupetino, ein Mann von einzigartiger Frömmigkeit und Bildung, bei Euch fast mit dem Tode bedroht, in Fesseln gelegt — und bis heute gefangen werden, hielten wir es für unsere Pflicht für ihn und für die anderen frommen Männer mit Briefen und unserer Fürsprache einzutreten.
Wir übergeben Euch (verehrter Fürst) und Euch (verehrte Senatoren) als unseren Freunden diesen Brief, den wir in unserem und im Namen der anderen in der Frage der Religion verbündeten Fürsten und Stände des Reiches herausgegeben haben, und bitten und ermahnen Euch, dass Ihr als Verwalter einer so blühenden Republik und als Förderer der Kirche jene als fromme und unschuldige Männer betrachtet, die sich durch Ehrbarkeit ihrer Sitten und Unbescholtenheit des Lebens auszeichnen, die Wahrheit des Evangeliums hochhalten und die Lehren der Kirche weder untergraben noch neue hervorbringen, sondern jene Irrtümer und Missbräuche, die gegen das Evangelium Christi und die Urteile der reineren Kirche4 schon seit Langem eingedrungen sind, dem Volk aufzeigen wollen.
In Eurer Klugheit werdet Ihr beschließen, dass diese Menschen als Glieder Christi nicht unwürdig behandelt werden dürfen, sondern dass man sie unterstützen und fördern muss, um Gottes Ehre zu mehren, die ganz offenkundig seit vielen Jahrhunderten verfinstert wurde. Obwohl uns Gott in diesen letzten Zeiten in seiner Güte das Licht des Evangeliums wiedergegeben hat, so wird es dennoch an vielen Orten durch die Gewaltherrschaft und den Starrsinn der Päpste und Bischöfe bedrängt und behindert, was gute und frommen Gewissen nicht dulden können und woraus ihnen wiederum auch große Gefahr erwächst.
Wahr ist, dass von einem frommen und christlichen Senat jene zu verteidigen und zu unterstützen sind, was ja seine vornehmste Pflicht ist — wie es auch die heilige Schrift bezeugt, wenn sie sagt: „öffnet eure Toren ihr Fürsten"5 —, darum hat uns dies schon am Anfang dazu bewegt, jene frommen Prediger zu schützen, die wegen des Unmuts der Päpste in Gefahr geraten waren. Darum sahen wir uns auch genötigt, Euch in aller Liebe zu bitten, diese frommen Menschen und namentlich den schon genannten Baldo Lupetino, der mit seinen Brüdern wegen des Namens Christi verfolgt wird, anzubefehlen und Euch auf Grund Eurer Menschlichkeit zu veranlassen, dass sie aus ihren Fesseln befreit unter Eurem Schutz und Protektion Gott verehren und die Herrlichkeit Christi verdeutlichen können.
Damit wir erkennen, dass diese unsere Bitte bei Euch Gehör findet — für welchen Dienst der Frömmigkeit der höchste und beste Gott Euch und Eurer Republik wiederum Glück und für alle anstehenden Aufgaben Erfolg, Frieden und Barmherzigkeit schenken möge —, so wollen wir (unsererseits) Euch und Eurer Republik unseren Dienst und unsere Mühe zuwenden und versprechen und Euch bei nächster Gelegenheit mit Freuden unseren Dank erweisen.
Lebt wohl.
26. August 15436.
1 Datierung nach MBW 3268. Anders in CR.
2 WA Br 10, 376—384 Nr. 3907, bes. Z. 83 ff.
3 Pietro Lando, Doge 1538—1545.
4 Die reinere Kirche ist die alte Kirche.
5 Jes 26,2.
6 Folgt in der Brieffassung die Unterschrift des Kurfürsten von Sachsen.
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